Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Randnotizen aus Berlin IV"

Susi Ondrušová

Preview / Review

22. 2. 2011 - 19:59

Randnotizen aus Berlin IV

PJ Harvey. PJ Harvey. PJ Harvey.

"Eigentlich ein Wahnsinn", meint Mick Harvey und er lacht. Mit dem neuen PJ Harvey Album "Let England Shake" nicht in Wien aufzutreten, ist ihm eigentlich unverständlich. Noch unverständlicher, als wenn ich ihm sage PJ Harvey habe eigentlich noch nie in Wien gespielt. Und wann wenn nicht mit "Let England Shake"? Wir reden von dem Album auf dem sich PJ Harvey mit den Auswirkungen von Krieg auf Menschen im Kleinen und Gesellschaft im Großen auseinandersetzt. Der erste Weltkrieg, Bosnienkrieg, Irakkrieg usw.

Ich erzähle ihm, vom Sarajevo-Saal im Heeresgeschichtlichen Museum Wien, wo das Auto Franz Ferdinands zu sehen ist und vergesse das blutige Unterhemd zu erwähnen, als wir uns zum Abschied die Hände schütteln.

PJ Harvey

nafi admiralspalast

Mick "ehemalige linke Hand von Nick Cave (als dieser noch seine Bad Seeds umarmt hat) und Gainsbourg-Überfan" Harvey ist neben John "soulmate" Parish und dem französischen Schlagzeuger Jean Marc Butty einer der drei Musiker, mit denen sich PJ Harvey für die nächsten Monate die Konzertbühnen teilen wird. Vom Berliner Admiralspalast, wo die Band gerade zwei Konzertgastspiele absolviert, bis zum Coachella oder dem Primavera Festival.

"Polly´s original list only included songs from "Is This Desire" and "To Bring You My Love". John Parish and I worked really hard in getting other songs into the setlist. The stuff from "White Chalk" fits really fantastically well into the liveset. Where they get placed is really important too. It´s taken a lot of work to make it function actually!", meint Mick Harvey und beantwortet mir eine Frage, die sich beim kurzen Interview mit PJ Harvey nicht mehr ausgegangen ist: Nämlich die, wie sie ihre verschiedenen künstlerischen Phasen in einem Set vereinen will. Ob sich ältere Songs nicht wie aus einer anderen Zeit reisende Fremdkörper anfühlen. Denn eines ist klar: mit "Let England Shake" ist PJ Harvey ein kompaktes Album gelungen, das thematisch und musikalisch zusammengehalten wird.

Die Rockgeste hat eh schon in der "White Chalk" Phase keinen Platz mehr gehabt, aber dieses neue Album, das seit Veröffentlichung nur hymnische Kritiken erntet, wirkt in seiner inhaltlichen Schlüssigkeit noch mehr abgetrennt von PJ Harveys alten Songs. Ein Grund dafür ist, dass ihr ein Album-Album gelungen ist, die Songs sind ungeeignet für skipping forward Spiele. Die große Frage also: Wie war das Konzert?

PJ Harvey

nafi admiralspalast

Danke an N für die Fotos aus 1.Reihe Perspektive.

Bestens. Einfach nur bestens. Natürlich hat das Songmaterial auf "Let England Shake" der Vermischung von B-Seiten Material den beiden Autoharp-Werken "White Chalk" & "Let England Shake" sowie dem fragilen wunderbaren "Is This Desire" und "To Bring You My Love" standgehalten. "C'mon Billy" klingt auf der Autoharp noch unschuldiger als auf der akustischen Klampfe. Das nur als Beispiel. (Zur weiteren Überprüfung sei auch dieses Valentinskonzert hier empfohlen.)

Die Autoharp ist für Schulkinder in UK, was die Blockflöte für Schulkinder in Österreich ist. Das am leichtesten zu erlernende Instrument. "It´s a beautiful, very melodic, very delicate, it has almost like a miniature orchestra at your fingertips...It´s lovely to sing with and it has a great breath of sound, huge sound for a very little instrument.", meint PJ Harvey beim Interviewmarathon am ersten Tag ihres Berlin-Gastspieles.

PJ Harvey

nafi admiralspalast

"I knew that the words had a lot of weight in them and I didnt want to weight them down further with music. I didn't want to make heavy bombastic opinionated music. I wanted the music to be light, indefinable, fluid, mellifluous. I wanted it to be difficult to pin down to any particular time or genre. And I wanted it to be very melodic, very uplifting, very energizing."

Was Polly Jean Harvey auf Albumlänge versucht hat, ist ihr auch im Liverahmen gelungen. Mit keinem Moment war man von der Schwere der beschriebenen Kriegs-Thematik erschlagen oder fühlte sich – wie so oft bei Konzerten – in das Epizentrum eines emotionalen Abgrunds hineingezogen, das man glaubt nacherleben (haha!) zu müssen: PJ Harvey lässt einen zuhören, aufsaugen und gestärkt weiterziehen. Und dieses Weiterziehen ist wichtig.

PJ Harvey

ondrusova

Von weiter hinten im Admiralspalast beim gestrigen PJ Harvey Konzert in Berlin.

Mein größtes Problem mit "Let England Shake" (und es ist mir beim Interview nicht und nicht gelungen, das in eine Frage zu verpacken) war dann eigentlich das "Warum?". Warum wird hier unter der England Flagge ein Album gemacht auf dem die Auswirkungen politischer Kriege behandelt werden, wenn einer der größten Nebeneffekte von Krieg die komplette Entwurzelung ist? Bezieht sich das "shake" im Albumtitel etwa auch auf die kulturelle Verwirrung die Menschen (ich, du vielleicht auch) durchmachen, weil sie nationale Identitäten nicht verstehen? Nicht die vergangenen und nicht die aktuellen, sie sich also demnach auch zukünftig nicht über ein Land definieren werden?

Das weiß ich nicht. Also lasst uns diesen Gedankenwirbel mit PJ Harveys Meinung zur Heimatdefinition ergänzen und schön auf einen humanistischen Punkt bringen.

"Home for me is wherever I am at this moment. That´s how I feel about the notion of the word "home". It´s just wherever I am presently... In some ways we´re all connected really. Wherever we´re happen to have been born we´ve all come from various diff corners of the globe to have got there through hundreds of thousands of years and so for me it comes right back down to the individual and that way you are at present and the way you treat each other at the present time. The way I am speaking with you now. To me that´s what is more important than rooting yourself to the place that you were born in."

Mehr über den akademischen Songwriting-Zugang von Polly Jean Harvey, ihr erstes Instrument (das Saxophon) und die Recherche-Arbeit an "Let England Shake" könnt ihr hier im Interview nachhören. (Kleine Anleitung für das IV: ich weiß, dass "cheese" nicht dasselbe wie "cheesy" ist. Other than that: Viel Spaß.)

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