Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der Kaizers neue Platten"

Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

2. 2. 2011 - 11:59

Der Kaizers neue Platten

Mit "Violeta Violeta Vol. 1" legen Kaizers Orchestra nicht nur ein abwechslungsreiches Konzeptalbum, sondern auch gleich den Anfang einer düsteren Trilogie vor.

Kaizers Orchestra der Pianomann mit Gasmaske

Kaizers Orchestra @ www.kaizers.no/

Sie sind bekannt für ihre theatralischen Auftritte, bei denen auf Ölfässern getrommelt wird, man mit aufgesetzter Gasmaske auf ein altes Piano einhämmert. Den Hang zur Dramatik kann man der Ausnahmeband Kaizers Orchestra definitiv nicht absprechen. Man höre sich nur den epischen Gassenhauer und das ultimative Mitsingstück "Maestro" aus dem Jahr 2005 an. Das in dem Video großartig umgesetzte Zirkusumfeld hat sich in meinem Kopf festgesetzt, sodass ich die sympatischen, quirligen und lebensfrohen Norweger auch heute sofort als außergewöhnliche Rockartisten in einer oft recht unspannenden Musikwelt bezeichne.

"Danke! Das ist schön, dass du das so siehts. Schließlich wollen wir gute Entertainer sein", meint Sänger Janove Ottesen am Telefon, während im Hintergrund die restliche Band in einem Café in Oslo hörbar gute Laune verbreitet. Trotz einem schon hinter ihm liegenden Interviewmarathon sprudelt es aus dem Kaizerssänger weiter heraus:

"Wir wollen eine perfekte Show bieten mit viel Live-Energie und visuell beeindruckenden Effekten. Wie haben all die klassichen Rock'n'Roll Tricks drauf, können zu Theater- und Musical-Elementen wechseln, haben aber auch Rap und R'n'B und fast jedes Genre drauf. Das lieben wir an Kaizers Orchestra, dass wir zwischen den Stilen wechseln können."

Ihr neues Werk kann all das, und noch viel mehr.

Kaizers Orchestra Bandfoto

Kaizers Orchestra @ www.kaizers.no

Think Kaizers, Think Big

Nach zaghaften Kontrabasstönen steigen wir mit "Philemon Arthur & The Dung" in die Welt von Violeta, der Hauptfigur in der neuen, sich auf drei Alben ausdehnenden Geschichte von Kaizers Orchestra. Mit Klaschtgeräuschen folgt der für die Norweger so typisch hinkende Beat, zu dem sich schnell ein zitterndes Piano und Janoves unverwechselbare Stimme gesellen und schon geht auch der erste Chorgesang in eine wundervolle Refrainmelodie über, die sich sofort festsetzt. Durchzogen von Breaks, bei denen die Akkorde in glitzernde Gitarrentöne zerfallen, legt das opulente skandinavische Orchestra auch mit Streichern nach.

Kaizers Orchestra Albumcover zu "Violeta Violeta Vol. 1"

Kaizers Orchestra @ www.kaizers.no

Und nach drei Minuten entführen uns Ottesen und seine fünf Musiker mit "Diamant til kull" in ihre gewohnt rockige Parolenwelt, in der man zu den schick verzerrten Gitarrenliedern auch gleich das mitsingende Publikum vor dem geistigen Auge hat. Von Schmatzlauten begleitet, hüpfen hier Orgelklänge durch die Manege, bevor sich eine fast orientalisch klingende Geigenmelodie an einen Shuffle-Beat schmiegt. Im der Welt von Kaizers Orchestra ist alles erlaubt. Da wird mit "Femtakt Filosofi" verliebt im Bealtes-Backkatalog geblättert, das Ganze mit sonnigem, mehrstimmigem Beach Boys Flair verfeinert, nur um kurz darauf mit schrägen Streichern und Gitarren zu verstören und uns mit der Vodkaflasche in der Hand in eine verrauchte, schummrige Bar im norgwegischen Nirgendwo zu entführen. Und wenn zu "En for orgelet, en for meg" munter gepfiffen wird, während Lokomotiven-ähnliche Orgeltöne sich mit Anrufbeantworterpiepsen mischen, haben Kaizers Orchestra wohl ein für alle Mal ihre musikalischen Theateratrappen um uns herum aufgebaut. Auch ein versteckter Dance-Beat blitzt bei "Tumor i ditt hjerte" immer wieder durch, während zwischen fetten Streicherarrangements und betrunkenen Keyboardakkorden zur Rockgitarre gegriffen wird.

Kaizers Orchestra Bandfoto

Kaizers Orchestra @ www.kaizers.no

Was bei anderen Bands mit Sicherheit unweigerlich nach Kraut und Rüben klingen würden, fügen Kaizers Orchestra zu nicht nur einem stimmigen Ganzen zusammen, sondern bleiben extrem hörbar, zugänglich und versprühen dabei derart viel Energie und Spielfreude, dass man nicht anders kann, als sich komplett in ihrern Songs und dem ausgefuchsten Arrangement zu verlieren. "Think Big" lautet da die Devise, nicht nur was die gewagte Mixtur an Stilen betrifft. Schließlich haben die Kaiser der Konzeptalben sich dazu entschlossen, sich nicht zu limitieren, sondern ihre Geschichte diesmal lang auszubreiten.

Janove: "Es ist für uns sogar einfacher, eine Geschichte über drei Alben zu erzählen. Ein Album ist fast zu kurz dafür, um alle Fasetten und Charaktere die mir dazu im Kopf herumgeschwirrt sind, unterzubringen."

Familienaufstellung auf skandinavische Art

Violeta ist ein wunderschönes Mädchen. Sie hat das Aussehen ihrer Mutter, die jedoch nicht nur dem Alkohol verfallen ist, sondern durch ihre psychische Störung immer exzentrischer, eiteler und unberechenbarer wird. Ihr Mann entschließt sich deshalb, Violeta alleine aufzuziehen und entführt die schöne Tochter. Mit geleerter Vodkaflasche schreit Violetas Mutter am Harmonium ihre Trauer heraus und schwört, sich an ihrem Mann zu rächen. Was das alles mit sieben Kübeln voller Tränen zu tun hat, die ein Leben retten und was es bei dieser düsteren Geschichte noch alles an mystischen Vorfällen gibt, sei an dieser Stelle noch nicht verraten. Sicher ist, dass die nicht chronologisch erzählte Geschichte mit ihren durcheinander gewürfelten Szene genug an Tragik besitzt, denn schließlich geht es laut Janove um Entertainment. So meint er auf meine Bemerkung, dass Violetas Leidensgeschichte doch recht dunkel, wenn nicht gar blutrünstig klingt:

Janove: "Eine Geschichte muss außergewöhnlich sein, um unterhaltend zu wirken. Wenn es eine geradlinige, gewöhnliche Erzählung ist, wird es schwierig, Menschen dran zu halten. Aber wenn ein Charakter stirbt, oder wenn du eine Figur umbrigen musst, dann ist das Entertainment, zumindest in der Art, wie es Quentin Tarantino macht. (lacht)"

Die Band Kaizers Orchestra

Kaizers Orchestra

So kommen in allen dreißig Nummern, die bis Frühling 2012 auf drei Platten erscheinen werden, alle Hauptcharaktere zu Wort, verlagert sich der Fokus auf kleinere Nebenhandlungen und führt ein Erzähler durch Violetas Leben, sodass "Violeta Violeta" eine recht komplexes Gesamtkunstwerk wird. Derzeitiger Höhepunkt ist sicherlich die hitverdächtige Single "Hjerteknuser", also Herzensbrecher, die einen unglaublichen Refrain mit garantierter Ohrwurmqualität enthält. Auch das unheimlich wirkende Video lässt Überlegungen zu, dass Kaizers Orchestra ihre Geschichte durchaus auf die Kinoleinwand bringen könnten.

Gespannt darf man auf den Österreichauftritt der Kaizers Orchestra sein, die am 02. April 2011 das Wiener Gasometer aufsuchen werden, mit komplett neuer Live-Show, wie mit Janove versichert hat, in denen es auch "Szenenwechsel" geben wird, was immer das auch heißen mag.

Auch auf der Platte legen die Intros und Outros verschiedener Songs nahe, dass dieses Album (wie wahrscheinlich auch die nächsten zwei) wie ein Soundtrack zu einem düsteren, norwegischen Märchen - unter Tarantino-Regie versteht sich - komponiert wurde. Eine Rockoper oder gar ein Rocktheater bleibt uns aber sicher erspart, dazu ist diese großartige Gespann viel zu sehr im Pop beheimatet. Somit sei Janove das letzte Wort überlassen, der am Ende unseres Interviews meint:

"Wir verbreiten den Kaizers Virus über ganz Europa. Auch ihr werdet infiziert und es gibt keine Heilung dafür!"