Erstellt am: 28. 1. 2011 - 17:00 Uhr
Road Dogs
Der Knast kann ein unbequemer Ort sein. Vor allem dann, wenn einem niemand den Rücken frei hält. Sicher, es hilft schon, wenn man der bekannteste Räuber des Lande ist und knapp zweihundert Banken klar gemacht hat. Da steigt man im Ansehen, trotzdem herrschen im Bau andere Gesetze. Da ist es schon von Vorteil, einen Kumpel zu haben, denn mit solch einem road dogs-Gespann legt sich niemand gern an.
Was aber passiert, wenn man wieder draußen, auf der "wirklichen" Straße ist? Wem gegenüber ist man dann loyal? Vor allem, wenn man seinem Knastbruder auch noch etwas schuldet? Dann sitzt man wohl sofort wieder - mit verlaub - in der Scheiße.
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Ziwschen den Fronten
Jack Foley hatte es schon fast geschafft. Nicht nur, dass er mit einer Bundespolizistin eine romantische Nacht verbracht hat, auch ein "großes Ding", in das er mehr oder weniger "verwickelt" wurde, wäre beinahe zu seinen Gunste gelaufen. Aber anstatt irgendwo an einer südamerikanischen Küste Magaritas zu schlürfen, bekam der smarte Gauner eine Kugel in den Oberschenkel verpasst. Noch dazu ausgerechnet von jener Polizistin, mit der er die Nacht davor ins Bett gestiegen ist. So ist das mit der Liebe. Jetzt sitzt Foley erneut in der Vollzugsanstalt Glades mit der Aussicht, dort die nächsten dreißig Jahre verbringen zu müssen. Wäre da nicht der schwerreiche Kubaner Cundo Rey, mit dem Foley "Freundschaft" schließt. Er hält ihm nämlich die rassistischen Schläger vom Leib und erhält im Gegenzug Unterstützung von einer sündhaft teuren Anwältin, die sein Strafmaß auf dreißig Monate herunterhandelt und die von Cundo bezahlt wird.

Eichborn Verlag
So findet sich Foley plötzlich vorzeitig wieder auf freiem Fuß, wobei er von Cundo in eines seine Luxusvillen eingeladen wird. Jedoch nicht ohne Grund. Er soll auf seine Frau aufpassen, die seit acht Jahren auf ihn "wartet". Allerdings ist sie bei Gott keine Heilige, wie es ihr Gefängnisfreund gerne hätte. Sie ist nicht nur Hellseherin, sondern vergnügt sich auch gern mit anderen Jungs. Foley bemerkt sofort, dass sie nicht nur ihre Reize ihm gegenüber einsetzt, sondern auch plant, ihren Geldgeber auszunehmen. Wäre da nicht Cundos Vermögensverwalter, der natürlich auch ein Blutsbruder aus dem Knast ist. Und schon beginnt ein Buhlen um den gerissenen Bankräuber, der sich zwischen all den Fronten sichtlich wohl und überlegen fühlt. Bis allerdings die Pläne aller Beteiligten langsam aber sicher aus dem Ruder laufen und das große, blutige Chaos bevorsteht.
Der Film im Kopf
"Road Dogs" ist der siebenundvierzigste Roman des Amerikaners Elmore Leonard. In seiner Heimat hat der bereits fünfundachtzigjährige Autor längst Kultstatus erreicht, wurden seine Werke durch Verfilmungen doch weltweit bekannt. Neben "Get Shorty" (verfilmt 1995 mit John Travolta, Gene Hackman und Danny DeVito) oder "Rum Punch" (besser bekannt unter dem Filmtitel "Jackie Brown" von Quentin Tarantino mit u.a. Pam Grier, Samuel L. Jackson, Robert De Niro, Michael Keaton und Bridget Fonda) hat Leonard auch die Vorlage zu Steven Soderbergs großartigem Film "Out Of Sight" geliefert. Genau in diesem Werk hat er den blitzgescheiten und galanten Bankräuber Jack Foley, gespielt von Geroge Clooney, zum ersten Mal aus dem Gefängnis ausbrechen lassen. Und wäre da nicht siene Vorliebe für die von Jennifer Lopez verkörperte Polizistin Karen Sisko gewesen, dann hätte es wohl keine Fortsetzung der Geschichte gegeben.

Dermot Cleary (www.dermontcleary.com)
Insofern beginnt "Road Dogs" genau dort, wo "Out Of Sight" aufhört, nämlich auf der Fahrt in die Vollzugsanstanlt Glades. Doch dieser Roman ist weit mehr als nur eine Fortsetzung. Elmore Leonard versteht es, seine Charaktere derart vielschichtig aufzubauen, dass die lineare Story eigentlich nicht das Wichtigste ist. Sie scheint dem Meister des Krimigenres lediglich dazu zu dienen, aufzuzeigen, wie seine Figuren sich gegenseitig manipulieren und hält der amerikanischen Gesellschaft dabei einen bitterbösen Spiegel vor, der zeigt, dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten das Geld, die Gier und die Triebe regieren und sich dabei jeder selbst der Nächste ist. Ironischerweise sind es genau die "Knastbrüder", die an alten Werten wie "Treue" und "Loyalität" festhalten, während um sie herum im Großstadtdschungel jeder nach seinen eigenen Regeln lebt.
Der Roman besticht durch die extrem witzigen, schnellen und sehr lebensnahen Dialoge, wobei auch die inneren Monologe der Figuren diesen dialogischen Sprachfluss besitzen. Darüber hinaus liebt es Leonard, nicht nur seine Protagonisten, sondern auch seine Leser an der Nase herumzuführen. Dabei werden die überraschenden Wendungen jedoch nicht mit dem Holzhammer durchgeführt, sondern schleichen sich langsam an, lassen ein Kribbeln und eine permanente Spannung entstehen, die sich bis zur letzten Seite hält.
Elmore Leonards Stil ist rauschhaft, man hat das Gefühl, während der Lektüre mit Jack Foley mehrere Flaschen Whiskey vernichtet zu haben. Schnell taucht man in die Welt des Bankräubers ein, zittert mit ihm dem Ende entgegen und stellt sich permanent die Frage, auf welcher Seite der smarte Gangster schlussendlich stehen wird.
So steht dieses Buch anderen dieses Genres diametral gegenüber, die mit Hi-Tech-Ermittlungen oder blutrünstigen Serienmorden versuchen, Aufmerksamkeit zu erhaschen. Elmore Leonards Bücher leben vielmehr von seiner sehr präzisen und humorigen Analyse verschiedenster Milieus und durch seinen bildhaften Stil läuft unweigerlich ein Film im Kopf ab, der ist nicht nur spannend und unterhaltsam ist, sondern auch - wie bei großartigen Geschichten üblich - lange nachwirkt.