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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

21. 1. 2011 - 14:11

Quite traditional

Wenn Pop zur Volksmusik wird. Letztens bin ich der Band Beady Eye begegnet. Inklusive Liam Gallagher.

Es ist nicht zu leugnen, ich hatte immer schon ein Problem mit der Britpop-Sache. Stellen wir einmal die Begrifflichkeiten klar: Britpop war im deutschsprachigen Raum schon Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger der gängige Begriff für alles, was so an Popmusik aus Großbritannien kam.

Klaus Nüchtern begrüßte mich etwa in der Falter-Redaktion anno '92 mit den Worten: „Ich hab gehört, du schreibst über Britpop? Sowas brauchen wir hier eh dringend. Außer mir mag ja hier keiner die Soft Machine.“

Und dann, ein, zwei Jahre später, passierte jenes Phänomen, das die Briten forthin Britpop nennen sollten, und das Wort machte eine rapide Metamorphose durch, von der Wiederentdeckung einer rund um die Riff-zentrierte Madchester-Phase Ende der Achtziger zeitweilig fallen gelassenen, britischen Schule des Songwriting bis zu einem aufgeblasenen, chauvinistischen Hype, der bei allen mir bekannten, vernünftigen Briten - inklusive der bald von dem Monster, das sie miterschaffen hatten, verstörten Blur - allergische Ausschläge und tiefe Scham verursachte.

Ein Ausschnitt aus meinem Interview mit Beady Eye ist heute in FM4 Connected zu hören.
Mehr folgt, wenn das Album Ende Februar rauskommt.

Der weithin sichtbare Kopf dieses Monsters hieß Oasis, und es dauerte Jahre, bis ich es aufgab, ihnen die alleinige Schuld dafür zuzuschieben, wie schnell die Szene rund um einen lebhaften kleinen Klüngel von Bands wie Pulp, Blur, Suede oder Elastica und das ursprünglich ziemlich spannende Creation Label sich zu einer dumpf machoiden Kokserparty im Stadionrock-Format transformierte.

In der Zwischenzeit hatte ich meine Begegnungen mit dem wirklich witzigen, ja durchaus sympathischen Noel Gallagher und seiner entwaffnenden Selbstironie hinter mich gebracht.

Allzu sehr gewundert hat es mich jedenfalls nicht, als Noel vor zwei Jahren schließlich selbst abtrünnig wurde und seinen Bruder Liam mit dem Rest der seit Jahrzehnten auf bewährten Pfaden dahinrockenden Oasis stehen ließ.

Vorgestern hab ich nun in einem Londoner Hotel den um Liam versammelten, solidarischen Rest der alten Band getroffen. Der harte Kern, firmierend unter dem sehr weit hergeholten Bandnamen Beady Eye.

Beady Eye auf einer Stiege

beady eye records

alles fast wie original

Da war Gem Archer, dessen Band Heavy Stereo zur nachklassischen Hybris-Phase des Oasis-Labels Creation Records gehörte, als Labelchef Alan McGee glaubte, nach der erfolgreichen Mischung aus Beatles und Sex Pistols als nächstes eine Mischung aus T-Rex und The Clash auf die Welt loslassen zu müssen.

Da war Andy Bell, dessen ebenfalls auf Creation erschienene Band Ride schon Anfang der Neunziger auf ihrem Album „Going Blank Again“ einen Weg von frühen Soundscapes und dem Versuch, „so zu klingen wie The House of Love“ (Bassist Steve Querault damals), zu Sixties-inspirierten Song-Strukturen gefunden hatte. Ehe sie sich in eher flachen Klassizismen verlief.

Ich erinnerte mich daran, wie ich denselben Andy Bell knappe 18 Jahre vorher interviewt hatte und er mir von seiner neuentdeckten Liebe zu den Small Faces erzählte. Die nicht alle in seiner Band zu teilen schienen.

Da war auch Chris Sharrock, der als Drummer von The Las 1990 ganz wesentlich an der Erschaffung des immer noch unerreichten Proto-Britpop-Albums beteiligt war. Der sich nach dem Heroin-induzierten Zusammenbruch von Las-Sänger und -Songwriter Lee Mavers unter anderem bei den Lightning Seeds verdingte. Und in der Band von Robbie Williams.

Und da war schließlich auch Liam, der in Abwesenheit seines Bruders, umgeben von diesen eher zurückhaltenden, völlig unarroganten Bandkollegen eine erstaunlich umgängliche Figur machte.

Die Musik von Beady Eye ist so derivativ, wie sie derivativer kaum sein könnte. Auf ihrem Album „Different Gear, Still Speeding“ (immer gut: die subtile Drogenreferenz) ist ein 12-Takte-R&B(im originalen Sinn der Abkürzung)-Stück namens „Beatles & Stones“ drauf, das nichts anderes sein will als ein ungefiltertes Bekenntnis zu großen Vorbildern und nichts mit dem postmodernen Sentiment des fast gleichnamigen, ca. 20 Jahre alten Songs von The House of Love gemein hat.

Und als ich mit meinen Vergleichen daherkam (Phil Spectors Lennon-Produktionen, die Hollies, die Zombies, die Kinks, die Who der frühen Siebziger, The Las selbst) waren die Beadies nicht nur einverstanden, sondern geradezu begeistert. Endlich einer, der nicht dauernd nur von den Beatles redet.
Das Spiel kenne ich. Es heißt „knowing your shit“ und kann sehr verbrüdernd sein.

In diesem Sinne einigten wir uns gütlich auf eine meiner alten Thesen zum Thema „Britpop nach Britpop“: Diese Art von Popmusik ist eigentlich kein Pop, wie er es zur Zeit der Erfindung seiner Bestandteile in den Sechzigern war, sondern eine Art britischer Volksmusik, „quite traditional“, wie Andy Bell sagt. Eine Musik, die nicht vorwärts strebt, sondern ganz bewusst „im Kreis geht“ (Liam).

Ich muss zugeben, ich kann das Unverständnis dieser Musiker für die Kritiker nachvollziehen, die ihnen aus dieser Einstellung einen Vorwurf machen. Einem Country-Sänger oder einem Gospel-Chor oder einer Blaskapelle beharrliche Stiltreue vorzuwerfen, wäre schließlich völlig lächerlich, und im Fall von Beady Eye ist es nicht viel anders.

Sie machen britische Traditionsmusik mit viel Liebe zum Detail und pädagogisch platzierten Verweisen. Instinktiv, ohne das Getane zu analysieren (schadet wohl der naiven Spielfreude). Ohne jeden Bezug zur Gegenwart. Ohne Anspruch auf weitergehende Relevanz. Mit Zorn drin, aber als dazu gehörige Pose, ohne zu wissen, worauf man eigentlich zornig ist.
Jedenfalls kam während unseres Gesprächs keine Spur des ärgerlichen, alten Oasis-Irrtums auf, aus der Herleitung des eigenen Schaffens von der historischen Muttermilch des Pop globale Dominanzfantasien zu derivieren.

Sagen wir es so: In den Achtziger Jahren pflegte ich mit großem Vergnügen in die anachronistische Parallelwelt der Neo-Mod-, Neo-Psychedelic und Neo-Garagen-Beat-Bands abzutauchen. Und Beady Eye hätten in diese Szene wunderbar hineingepasst. Dass sie nicht in Kellerlokalen oder bei Scooter Rallyes, sondern in großen, ausverkauften Hallen spielen werden, mag eine der großen Ironien der Popgeschichte der letzten zwanzig Jahre sein, ist der Band und ihrem Publikum aber (mit Recht) egal.

Und wenn ich all das miteinrechne, fällt mir bald schon nicht mehr ein, was es gegen all das eigentlich Schlaues zu sagen gäbe. Nur Britpop bzw. Pop sollte man es halt nicht nennen. Das wäre hochgradig irreführend.