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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

13. 1. 2011 - 06:00

Wenn die Wehrpflicht wegfällt

Dann bleiben auch die Zivildiener aus. Ein freiwilliges soziales Jahr könnte laut Sozialminister Hundstorfer den Zivildienst ersetzen, sofern es attraktiver gestaltet wird. Erzählt uns eure Erfahrungen mit Zivildienst und Co.

Im Nebenraum werden gerade die Teller vom Mittagessen abgewaschen, während die anderen bereits wieder an der Arbeit sind. Sol de Luna und Chrissi Erber verzieren eine Stofftasche mit bunten Filzblumen. Im Hintergrund hört man einen Jungen lachen, Stofftiere fliegen durch die Luft und Spucke rinnt auf den Fußboden.

Chrissi Erber ist eine von drei jungen Mädchen, die sich für ein freiwilliges soziales Jahr in der Dorfgemeinschaft Breitenfurt entschieden haben, einer Einrichtung zur Betreuung behinderter und beeinträchtigter Menschen. Neben den dreien arbeitet aktuell auch noch ein Zivildiener in der Dorfgemeinschaft. 80 Personen werden hier ganztags in den Werkstätten betreut.

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Sol de Luna und Chrissi Erber

Chrissi hilft den hauptberuflichen BetreuerInnen. Sie schiebt Rollstühle, hilft beim Klogehen und gibt den Betreuten Unterstützung, wenn sie arbeiten. Die Dorfgemeinschaft Breitenfurt setzt ihren Schwerpunkt im Bereich handwerklicher und künstlerischer Tätigkeiten. Haarspangen, Duftsäckchen, Badesalz und Laptoptaschen, das sind nur einige Produkte, die täglich in den Werkstätten gefertigt werden.

Seit September ist Chrissi als Hilfsbetreuerin im Einsatz. Nach der Matura wollte sie sich nicht sofort in ein Studium stürzen - Physiotherapie war angedacht - sondern erstmal in den Sozialbereich hineinschnuppern. Vier Monate nach Antritt ihres freiwilligen sozialen Jahres weiß sie, dass sie für immer in dieser Branche arbeiten will. Der Job macht ihr Spaß, lediglich das viele Geschirrspülen findet sie lästig, das sei schlecht für die Fingernägel, gehöre aber nunmal zum Job.

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Von Luft und Hilfsbereitschaft leben

180 Euro Aufwandsentschädigungen erhalten die FSJler im Monat zuzüglich Fahrtkosten und Verpflegung: zu wenig um davon leben zu können. Ohne finanzielle Unterstützung der Eltern können sich die meisten Jugendlichen ihre Hilfsbereitschaft nicht leisten. Da das freiwillige soziale Jahr rechtlich gesehen keine Ausbildung ist, entfällt auch die Familienbeihilfe. 150 Euro im Monat können jedoch über einen Fördertopf des Sozialministeriums als Ersatz für die Familienbeihilfe beantragt werden. Zivildiener bekommen inklusive Verpflegung und Wohnbeihilfe im Schnitt 713 Euro. Auch nicht viel, aber immerhin mehr als FSJler.

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Flora Prohaska macht ebenfalls ein FSJ in der Dorfgemeinschaft Breitenfurt.

Flora Prohaska findet das unfair. Sie hätte gerne Zivildienst gemacht, darf als Frau aber nicht antreten. Die Dorfgemeinschaft Breitenfurt ist auf die Mitarbeit von Zivildienern und FSJlern angewiesen. Bei schwerst behinderten Menschen ist sogar eine Einzelbetreuung nötig, doch Geld ist im Sozialbereich nun mal Mangelware. Die Arbeit von Zivildienern und FSJlern unterscheidet sich kaum. Auch wenn es Flora nicht ums Geld geht, würde sie sich wünschen, dass der Staat das freiwillige soziale Jahr finanziell unterstützen und gleichstellen würde. Viele FSJler sind außerdem stärker motiviert als Zivildiener, da sie sich freiwillig für das caritative Jahr entschieden haben und nicht bloß der Wehrpflicht entkommen wollen.

Das Update des Zivilersatzdienstes

Doch das soll jetzt alles anders werden. Auf dem Weg in Richtung Berufsheer wurden Mittwoch Nachmittag neue Ideen präsentiert und Bedenken minimiert. Wenn die Wehrpflicht abgeschafft wird, solle das freiwillige soziale Jahr den Zivildienst ersetzen, meint Sozialminister Rudolf Hundstorfer. Möglich sei dies allerdings nur, wenn das freiwillige Sozialjahr attraktiver gestaltet wird: 1300 Euro brutto Mindestkollektivvertrag plus Sozialversicherung, so lautet der extrinsische Motivationsschub aus dem Sozialministerium. Mit dieser Rechnung läutet Hundstorfer nicht nur die Diskussion über die Auswirkungen einer möglichen Abschaffung der Wehrpflicht ein, sondern auch die prekäre Bezahlung vieler, die im Sozialbereich arbeiten.

Norbert Darabos, Werner Faymann und Rudolf Hundstorfer präsentieren ihre Pläne zum freiwilligen sozialen Jahr

APA / ROBERT JAEGER

Verteidigungsminister Norbert Darabos, Bundeskanzler Werner Faymann und Sozialminister Rudolf Hundstorfer präsentieren auf dem SPÖ-Präsidium ihre Pläne zum freiwilligen sozialen Jahr.

Im letzten Jahr waren 13.000 Zivildiener in Österreich aktiv und etwa 400, die ein freiwilliges soziales Jahr gemacht haben. Es kann bezweifelt werden, ob nach dem Wegfall des unfreiwilligen Zivildienstes annähernd so viele Jugendliche für den freiwilligen Sozialdienst gewonnen werden können. Das Sozial- und Pflegesystem Österreichs steht auf der Kippe. Andrea Winter vom Roten Kreuz hat ihre Bedenken, ob FSJler die Lücke, die der Wegfall der Zivildiener hinterlassen würde, wirklich schließen können. Sie ist der Meinung, dass sich das System des Zivildienstes bewährt habe. Beim Roten Kreuz Österreich haben 2010 mehr als 4000 Zivildiener gearbeitet, kein einziger hat ein freiwilliges soziales Jahr gemacht. Dies ist vor allem mit der Spezialisierung des FSJ zu erklären, das hauptsächlich in der Betreuung und Pflege von Kindern, Alten und behinderten Menschen aktiv ist, weniger im Rettungsdienst. Das freiwillige soziale Jahr müsste demnach sein Aufgabenspektrum deutlich erweitern, zum Beispiel im Bereich psychischer Erkrankung oder Drogenmissbrauch, damit es die Tätigkeit von Zivildienern gänzlich abdecken kann.

Jüngster Vorreiter Deutschland

Die Debatte um das mögliche Ende der Wehrpflicht in Österreich geht mit den Entwicklungen in Deutschland einher. Am 1. Januar 2011 wurden die letzten deutschen Rekruten eingezogen. Die Wehrpflicht wird ab 1. Juli 2011 völlig auf Eis gelegt. Das bedeutet auch das Aus für Zivildienstleistende, die oft das Grundgerüst vieler sozialer Einrichtungen bilden. Die deutsche Bundesregierung hat deshalb den "Bundesfreiwilligendienst" ins Leben gerufen, der den Zivildienst nahtlos ablösen soll. Ob es allerdings genügend Freiwillige geben wird, ist unklar. 12 Monate soll der Freiwilligendienst dauern, die ehrenamtliche Tätigkeit wird mit 200-300 Euro Aufwandsentschädigung vergütet, Verpflegung und Unterkunft werden nicht bezahlt. Das führt zu einer weiteren Prekarisierung sozialer Berufe, da deutsche Zivildienstleistende bisher immerhin das doppelte im Monat verdient haben.

Wir wollen mit euch diskutieren

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Elisabeth Wienerroither vom Verein zur Förderung freiwilliger sozialer Dienste ist heute, am 13.01.2010 ab 16 Uhr zu Gast in FM4 Connected. Sie befürwortet eine Erhöhung des FSJ Entgelts. Gleichzeitig befürchtet sie, dass das neue freiwillige soziale Jahr im Sozialministerium angesiedelt wird und damit in direkter Konkurrenz zu ihrem Verein steht, der seit über 40 Jahren in Österreich freiwillige soziale Jahre organisiert. Der Verein zur Förderung freiwilliger sozialer Dienste organisiert jährlich knapp zwei Drittel aller FSJ in Österreich. Wienerroither hat vor sieben Jahren selbst ein freiwilliges soziales Jahr gemacht.

Welche Erfahrungen habt ihr in eurem freiwilligen sozialen Jahr oder während des Zivildiensts gemacht? Ruft an: 0800-226996 oder schreibt uns einen Kommentar.