Erstellt am: 17. 12. 2010 - 03:03 Uhr
Softwarepatente: Kampf der IT-Titanen 2011
Am Dienstag kündigte Allen, Mitbegründer von Microsoft, an, er werde in die nächste Instanz gehen, nachdem seine Klage gegen Apple, Google, eBay, Facebook, Yahoo und weitere Firmen vorerst abgewiesen worden war.
Die eingeklagten Patente betreffen allerdings nicht eigene Erfindungen Allens, der ehemalige Softwarearchitekt Microsofts ist vielmehr im Venture-Geschäft und da vor allem in der sogenannten "Patentverwertung" tätig. Man kauft im großen Stil Patente auf, bündelt sie und greift dann mit einem solchen Satz verwandter Patente vorzüglich finanzstarke Konzerne an, um diesen "entgangene Lizenzgebühren" abzuverlangen.
Noch einmal Ex-Microsoft
Beinahe gleichzeitig hat ein weiteres Unternehmen dieser Art Klage gegen vier große Softwareunternehmen eingereicht. Das von Myhrvold, dem ehemaligen Technikchef von Microsoft, gegründete Unternehmen Intellectual Ventures (IV) arbeitet nach demselben Modell wie Allens diverse Patentverwertungsfirmen. Was eingeklagt wird, ist zum überwiegenden Teil technisch trivial und bezieht sich nur auf Methoden des Programmierens und Netzwerkens.
So zum Beispiel die Klage von Myhrvolds IV bezüglich eines "Systems zur Identifikation von distribuiertem Content". Dahinter verbirgt sich nicht etwa eine neue Technologie, sondern bloß eine Vorgehenѕweise, nach der zum Beispiel Spamfilter und Virenschutzprogramme weltweit seit Jahren funktionieren: Eine im Netzwerk einlangende Datei wird gescannt und mit einer Datenbank nach bestimmten Charakteristiken abgeglichen.
Die aktuellste Klage ging erst am Donnerstag über die Nachrichtenagenturen. Nokia klagte Apple nach den USA nun auch in mehreren europäischen Staaten, weil Apple angeblich 24 Nokia-Patente nutzt, ohne Lizenzgebühren zu zahlen. Während es hier um Marktanteile bei den Smartphones geht, zocken die Trolle bevorzugt gut verdienende IT-Schwergewichte ab, ohne dabei selbst eine Rolle auf dem betreffenden Markt zu spielen.
Paul Allen hatte im August begonnen, Schwergewichte wie Apple, Google, eBay, Facebook, Yahoo vor Gericht zu bringen, weil sie angeblich gegen vier Patente eines seiner früheren Unternehmen verstießen.
Patente aus der Dot.com-Ära
Wer nun ein solches System verwendet, ohne an IV Lizenzgebühren zu zahlen, verstößt gegen das US-Patent 5,987,610 aus dem Jahr 1999 - auch wenn er es vollständig selbst entwickelt hat. Wer als Netzwerktechniker dann noch auf die Idee kommt, einen Mechanismus einzurichten, der zum Beispiel als verdächtig aussortierte E-Mail-Anhänge in Text- oder PDF konvertiert und dann weiterleitet, hat US-Patent 7,506,155 verletzt.
Allens Firma Interval Licensing wiederum klagt Lizenzgebühren für ein wohl allen Internetbenutzern bekanntes Tool ein, nämlich einen Browser, der auch Audio- und Videodateien abspielen kann. Das US-Patent 6,263,507 stammt aus dem Jahr 1996.
Das Ablaufdatum
Die von Allens Firma eingeleiteten Verfahren betreffen samt und sonders Patente, die von einem im Jahr 2000 abgestürzten Start-up-Unternehmen Allens übrig geblieben sind. Die versucht man nun mit den erwähnten Methoden zu Geld zu machen, was mehr mit dem Eintreiben von Schutzgeld zu tun hat als mit Erfindertum. Da der überwiegende Teil dieser Schutzschriften aus der Dotcom-Ära (1998 bis 2001) stammt, als das US Patent Office die unglaublichsten Trivialitäten als "technische Erfindungen" durchgehen ließ, und die Lebensdauer von Patenten auf zehn bis 15 Jahre begrenzt ist, drängt die Zeit .
Das bedeutet: Man muss jetzt klagen oder nie, was Intellectual Ventures ziemlich erfolgreich angefangen hat. Nach eigenen Angaben wurden bereits zwei Milliarden Dollar "Lizenzgebühren" eingetrieben, Tendenz stark steigend.
"Intellectual Ventures geht in die Offensive, um seine Erfindungsrechte geltend zu machen, heißt es in der Presseaussendung des Unternehmens. Laut dem Patentexperten Dennis Crouch (Professor an der Universität Missouri) stammen diese "Erfindungen" von Ameritech und sind danach mehrfach weiterverkauft worden.
30.000 Patente
Nach eigenen Angaben verfügt Myhrvolds Firmenkonsortium alleine über 30.000 Patente, von denen zwar der überwiegende Teil dem IT-Sektor zuzurechnen ist, im Pool finden sich aber auch Patente aus den Bereichen Biologie und Medizin.
Für 2011 ist also eine Flut an Patentklagen zu erwarten, weil die erwähnten Unternehmen längst nicht die einzigen "Patent-Trolle" sind, wie derartige auf reines Abkassieren spezialisierte Firmen genannt werden.
Novell-Patente an Microsoft
Zu allem Überfluss kommen gerade 822 weitere Patente auf den "freien Markt", die wenigstens teilweise mit dem freien Betriebssystem Linux zu tun haben. Nach dem Verkauf des Linux-Distributors Novell, der seit Jahren mit Microsoft eng kooperiert, soll diese Patentsammlung an ein Konsortium unter Führung von - erraten - Microsoft gehen.
Alle Details über den Status der Novell-Patente sind im Groklaw-Blog nachzulesen , die Patent-Blogs von Dennis Crouch und Florian Mueller sind absolut lesenswert.
Laut den Experten des Fachblogs Groklaw.net gibt es allerdings Abhilfe gegen mögliche Klagen, denn Novells "Open Invention Network" gestattet all seinen Mitgliedern die unbeschränkte, freie Nutzung des gesamten Pools mit einer einzigen, wichtigen Auflage: Patentnutzer dürfen nicht gegen das freie Betriebssystem vorgehen, indem sie etwa eigene Patente geltend machen, gegen die Linux angeblich verstößt.
Patentkampf der Titanen
Doch nicht nur die "Patent-Trolle" beschäftigen die Gerichte, auch die IT-Giganten schenken einander kräftig ein. Apple hat 2010 einen milliardenschweren Patentstreit mit HTC angezettelt, Microsoft klagt Motorola und umgekehrt, Google wurde von Oracle vor Gericht gebracht, wobei es in allen Fällen um das Android-Betriebssystem Googles geht.
Biopatente
Auf dem Sektor Biotechnologie hat das Europäische Patentamt (EPA) in München reihenweise Biopatente erteilt, die Teile des menschlichen Körpers und der Gene umfassen. Ein Patent auf Brokkoli (sic!) der britischen Firma Bioscience steht laut einer Erklärung des EPA Anfang Dezember kurz vor seiner Aufhebung. Ärzte beklagen, dass Genpatente die Präventivmedizin behindern.
Microsoft wiederum zieht gegen das Kleinunternehmen i4i vor das US-Höchstgericht, weil man nicht 290 Millionen Dollar an "Lizenzgebühren" für den Einsatz der "Extensible Markup Language" (XML) im Office-Paket an i4i zahlen will.
Ausblick: teuer
Die Zunft der Patentanwälte darf weltweit 2011 also mit noch viel mehr gut dotierten Aufträgen au dem IT-Bereich rechnen, und das, obwohl es auf europäischer Ebene keine Patente auf Software gibt. Der Grund dafür ist so einfach wie rational: Eine Patentanmeldung dauert in der Regel bis zu 18 Monate, während die Innovationszyklen der Softwarebranche weniger als sechs Monate umfassen.
Weil technisch inkompetente oder korrupte Angestellte des US-Patentamts vor einer Dekade zigtausende Trivialpatente genehmigt haben, steht den Großen der IT-Branche 2011 also ein teures Gerichtsjahr ins Haus. Was Microsoft angeht, so blieb das Unternehmen wundersamerweise von den Rundumklagen der beiden zu "Patent-Trollen" mutierten Ex-Führungskräfte verschont.