Erstellt am: 9. 12. 2010 - 18:03 Uhr
Part Time Pop
Dichtes Gedränge in den Gängen des Wiener Gasometers, wie Bienen schwirren die Besucher zur Bühne, um die Ankunft ihrer Königin zu erwarten. In diesem Falle sind allerdings zwei Prinzen mit surrenden Gitarren und Songs zum Mitsummen, die vor allem wegen ihrer honigsüßen Hits bekannt und beliebt sind.
Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser sind zwei Typen von Nebenan, die Hippie-Folklore haben sie zumindest Outfit-technisch hinter sich gelassen und irgendwie wirken sie auch ziemlich müde, sind sie doch schon seit März fast ununterbrochen auf Tour. Sie bemühen sich den Spannungsbogen zwischen den unterschiedlichen Alben "Oracular Spectacular" und "Congratulations" zu halten, allerdings gelingt ihnen das nicht und das Konzert hat gewisse Längen.

florian wieser
Den Show-Effekt übernehmen die Visuals, denn die fünf Jungs stehen starr und unbeweglich auf der Bühne. Sänger Andrew ist schüchtern, aber höflich, er bedankt sich nach jedem Song artig mit "Thank you" und sucht in kleinen Ansprachen Publikumskontakt. Bei den Visuals scheiden sich die Geister: Kaleidoskope, Ornamente wie auf dem Congratulations-Cover, grobkörnige und pixelige Motive bedienen Symbole wie das Auge der Pyramide, Rosen, Asteroide und Adler. Alles sehr retro, bunt und kindlich gehalten, in seiner Umsetzung eher dilettantisch und platt, repetitiv und ästhetisch nicht sonderlich ansprechend. Aber zumindest tut sich somit irgendetwas auf der Bühne.
Das Konzert beginnt mit "Time to pretend". MGMT holen das Publikum mit dem ersten Ton der Nummer, mit dem ersten großen Hit, ab. Die Menge ist voll dabei und freut sich, dass gleich ein Versprechen eingelöst wird. Weiter geht es mit "Song For Dan Treacy", der Ode an den Television Personalities Frontman, dessen Band sich in den Siebzigern zwischen Punk, Pop und Psychedelic bewegte. Damit führen MGMT die Tradition der Television Personalities weiter, über musikalische Vorbilder zu singen. Waren Television Personalities noch "Part Time Punk", sind MGMT, verglichen mit ihrem Stil auf "Oracular Spectacular" mittlerweile "Part Time Pop".

florian wieser
"I found a Whistle" begrüßt mit einer zärtlichen Akustikgitarre, der Song erinnert an die psychedelischen Phase der Beatles. Eine Rose auf der Leinwand begleitet die Melancholie des Songs, die Menschen wiegen sich im Takt und recken mit geschlossenen Lidern ihre Hände in die Höhe, oder ihre (Handy-)Kamera. Jedes Mal frage ich mich wieder, wie abträglich diese Stative für die Konzertstimmung sind. MGMT bleiben im 60s Psychedelica Rock Delirium mit "It´s Working", der neben dem Titeltrack auf "Congratulations" am poppigsten und eingängigsten ist. Das Mikrophon pfeift schmerzvoll, als Andrew den Song ankündigt, in dem jetzt auch die Visuals mit dem Beatles-Zaunpfahl winken, als drei Spielfiguren, immer wieder über einen Zebrastreifen marschieren.

florian wieser
Songs des ersten Albums wie "Electric Feel", "The Youth" und "Weekend Wars" kommen beim Publikum gut an, das Stimmungsbarometer richtet sich nach den beiden Alben, doch irgendwie erwartet man sich schon mehr. Bei "Brian Eno" tönt die Orgel morbid, und bei "Sibierian Breaks" passiert dann wirklich ein Bruch in der Aufmerksamkeitsspanne. "Sibirian Breaks", ist ja auch nicht nur ein Song, sondern mindestens fünf, genau sowie Sibirien aus fünf der acht russischen Großlandschaften besteht. Es wird kalt.
Ein trost- und blattloser Strauch in den Visuals, der als einzige Veränderung eine Schwarz/Weiß-Blende erfährt, soll wohl auch für die karge Vegetation Sibiriens stehen. Manche finden dieses Bild schön und passend, mir reißt fast der audiovisuelle Geduldsfaden, weil der Bildschirmschoner und der 12 Minuten lange Song das Konzert in der Endphase in die Länge ziehen wie Schmelzkäse. Oder wie Gorgonzola auf einer Quattro Formaggi, mit dem MGMT ihr zweites Album „Congratulations“ im Interview mit Kollege Philipp L`Heritier vergleichen.
War "Oracular Spectacular" noch süß wie Zuckerwatte, beschreiben sie den Nachfolger als Gorgonzola, den sie mittlerweile auch gerne mit einem Glas Wein genießen. Die Reife und Veränderung ihrer (musikalischen) Geschmacksnerven, ist bezeichnend für den/das Weg von zuckersüßen Pop-Perlen zu würzig pikantem Indie Rock, der durch eine psychedelische Edelpilz-Kultur gewonnen wird.
Nach der Folkpassage findet Siberian Breaks sein Outro in einer wabernden Synthie-Fläche, das gleichzeitig das Intro für den Song bildet, mit dem MGMT 2008 den Nerv der Zeit getroffen haben.

florian wieser
Es ist "Kids" und irgendwie macht sich Erleichterung breit. Frenetisch und lautstarkt geht das Publikum mit. Wegen diesem Überhit, der noch ausständig war, sind viele gekommen. Andrew VanWyngarden und Ben Goldwasser wissen darum und spulen "Kids" lustlos, aber pflichtbewusst ab und bemühen sich auch, die naive Lockerheit und Schwerelosigkeit dieser schillernden Kaugummi-Blase auf die Bühne zu bringen. Sie bewegen sich! Sie entledigen sich der Instrumente, hüpfen umher und setzen sich dann am Bühnenboden ganz dicht zusammen, wie kleine Kinder, die einen geheimen Plan aushecken. Es wäre süß, wenn das Ganze nicht so durchschaubar wäre.
Die Pop-Blase von "Kids" hat sich im Laufe der Zeit zu einer Kristallkugel aus Pop-Panzerglas verhärtet, an der sich MGMT mittlerweile selbst die Zähne ausbeißen. Nicht einmal das völlig deplazierte Masturbationssolo des Gitarristen kann einen Kratzer in dieser Hymne hinterlassen. "Kids" ist und bleibt eine der eingängigsten Popnummern des auslaufenden Jahrzehnts, auch wenn sie manchmal schon peinlich ist.

florian wieser
Als Zugabe folgt "Congratulations" und danach finden die kleinen Beatles-Referenzen mit einem John Lennon Tribute anlässlich seines 30. Todestages ihren Ausklang. Mit "Mind Games" beschließen sie ein solides, wenn auch etwas langweiliges Konzert.