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Daniela Derntl

Diggin' Diversity

6. 12. 2010 - 10:26

From Detroit to Disco

Juan "Magic" Atkins überrascht bei der La Boum Deluxe Party im Wiener Flex.

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Große Erwartungen sind der natürliche Feind eines jeden Konzert- und Partybesuchers. Die Wahrscheinlichkeit, enttäuscht zu werden, ist hoch, die Wahrscheinlichkeit, überrascht zu werden, sehr niedrig. Die erfrischende Hebelwirkung des Überraschungsmoments torpediert einen aus der Isolation der Erwartungshaltung heraus und wirft ihn zurück auf den Tanzboden des Hedonismus und des Augenblicks. Don´t be afraid baby, it´s only La Boum - die Fete - deluxe und die Red Bull Music Academy.

From Detroit to Detroit

juan atkins

felix fuchs

Wenn Juan Atkins, "The Godfather of Techno" nach Wien kommt, herrscht in der ganzen Stadt Partyausnahmezustand. Wie schon bei seinem letzten Besuch im Oktober 2009, gibt es am Samstag Abend einen kompletten Overkill an elektronischem Excitement und eklektischer Extravaganz. Wobei dieses Mal die Wahl zwischen Caribou, Jimmy Edgar und Mountain People für die bekennenden Technotender weit leichter fällt als letztes Jahr, als neben Juan Atkins in der Fluc Wanne ein weiterer Detroit-Haudegen, die (Remix-)Edelfeder Carl Craig die Regler in der Pratersauna drehte. Ein Booking-Super-Gau! Dass die beiden Clubs nicht weit auseinander liegen, war nur ein schwacher Trost der Partyhopper. Spione bestätigten, dass Carl Craig schon früher anfängt und deshalb überlassen wir ihm das Vorspiel, was sich allerdings als Fehlentscheidung herausstellt. Fad und uninspiriert, widmete sich Carl Craig mehr seinem Handy und dem Laptop, als der um Aufmerksamkeit bettelnden Partycrowd. Meine Erwartungen wurde zerschmettert wie das Crashed Ice in meinem Cocktail, in dem ich mittlerweile genauso lustlos mit dem Strohhalm herumstochere wie Carl Craig im MP3-Backup des DJ-Traktors. Ohne musikalischen Strohalm zum Festhalten bleibt nur zu sagen, dass sein DJ-Set leider nicht so überzeugend wie seine Produktionen und Remixes war. Carl Craig hat seine Chancen verspielt und nach einer guten Stunde hetze ich aus der Sauna Richtung Fluc zu Juan Atkins.

juan atkins

felix fuchs

Nach der Enttäuschung macht sich wieder Aktivierung bereit, das Herzrasen verschlingt der dunkle Schlund der Fluc Wanne und was dort zu hören und zu spüren ist, ist "Magic" - Juan Atkins. Mit stoischem Blick hypnotisiert er die elektrisierte Menge, die Spannung steigt mit jeder Platte, die er wie einen Fön in die randvolle Wanne wirft, bis alle Sicherungen fliegen, die sich im euphorischen Taumel am Dancefloor entladen. Nur kurz wendet er seine Augen vom Publikum ab, wenn er nach den neuen Platten des Wiener Markets (sein Plattenkoffer wurde ihm kurz vor dem Wien Gig gestohlen) fischt, sie bei offenen Kanälen mixt und binnen Sekunden ein neues Amalgam formt: ein Klangkaramell aus dem Technotransformator, dass sich in den Amboss plombiert. Das ist Augenblicklichkeitskunst – wie sie im "Rave"-Buche steht.

From Detroit to Disco

Dezember 2010. Das abermalige Partyeldorado an diesem Abend hat die positive Begleiterscheinung, dass sich ein angenehmes Publikum im Flex tummelt, das wegen der Acts und nicht aus Mangel an Alternativen gekommen ist. Keine Poser mit den neuesten Hipster-Hemmschuhen, keine notorischen Negative Creeps.

komaton

felix fuchs

Komaton, bestehend aus Sebastian Lehner und Tomá Ivanov, gehört zusammen mit Dorian Concept, Elektro Guzzi, Ogris Debris und dem A.G. Trio zu den aufstrebenden jungen Elektronikern des Landes, die auch über die Grenzen hinaus bekannt sind. Starthilfe bekamen die Beiden genau vor einem Jahr durch den deutschen Produzenten Basti Grub, der sich allerdings als trojanisches Maultier entpuppte. Er verschaffte Komaton zwar den Kontakt zu Sven Väths Label Cocoon, doch als Provision dafür nistete er sich in die Credits ihres Tracks "In Between" ein, das er auch noch unter dem Titel "Sick" weiterleitete – also doppelt falsch!

Doppelt richtig erwies sich allerdings die Wahl von Labelchef Väth, die Beiden Mitte des Jahres auf der Cocoon Compilation J zu präsentieren und auch auf seiner neuesten Mix-CD "The Sound of the Eleventh Season", sind sie mit "In Between" drauf und dran, international gehört zu werden. In ihrem deep-treibenden und melodischen Set spielen sie auch neue Tracks, welche konzentrierter und gereifter klingen - genauso wie die Beiden auf der Bühne.

komaton

felix fuchs

Mittlerweile können sie es entziffern, sind fokussiert auf den Sound und überlassen die überbordende Feierei fast gänzlich dem Publikum. Als Tomá zu singen beginnt, wird das Flex zum Art Department der Natural Boys auf dOP, die getriggerter Depeche Mode Melancholie spinnt sich weiter zu trancigen Flächen verwobener Strings – bis der Beat das Netz "In Between" zerreißt. Mit diesem Hit beenden sie auch – trotz anfänglicher Soundtechnik-Probleme – ihr gelungenes Set, während Juan Atkins einstweilen seinen Laptop verkabelt. Er ist also auch auf DJ-Traktor umgestiegen, klar – es ist viel (pflege-)leichter für einen vielgebuchten DJ wie ihn, aber trotzdem schade!

juan atkins

felix fuchs

Jetzt ist es schwierig zu sagen, ob der Fokus seiner Aufmerksamkeit auf dem Apple Bildschirm oder unentwegt auf dem Publikum ruht, wie beim letzten Mal im Fluc. Er beginnt druckvoll, ab der dritten Nummer ist Peaktime angesagt, heftig pumpender Technowahnsinn. Dieses Mal ist die Vorstellung von Juan Atkins keine frontale Kanzelpredigt, er steht auch räumlich nicht so sehr im Vordergrund, dennoch bleibt er natürlich der Nucleus, die Leute tanzen um ihn herum wie Elektronen, denen er die Bahn vorgibt. Soweit, so gut. Die Erwartungshaltung vom letzten Mal ist extrem hoch, es scheint unwahrscheinlich, dass Juan Atkins seinen Gig im Fluc toppen kann. Doch dann passiert etwas, mit dem zumindest ich nicht gerechnet habe, denn er überrascht mit einem unerwarteten Stil Wechsel – from Detroit to Disco!

Juan Atkins schmuggelt New Orders "Blue Monday" in sein taffes Techno-Set. Kollektive Überraschung, Jubel, Geil! Musikalisch bleiben wir dann auch gleich im Jahr 1982 mit Sylvesters "Do you wanna funk". Danach Donna Summer - Yes, we feel love - und Juan Atkins beendet den Disco-Ausflug nach einigen anderen Klassikern mit "The Chase" - nein, nicht seinen eigenen Model 500 Hit, sondern mit "The Chase" von Giorgio Moroder. Treppenwitz! Danach schaut der Acid Roland vorbei und wir tanzen glücklich, weil uns - und bis - das Licht aufgeht.