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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

22. 11. 2010 - 18:15

California's Dreaming

Die erste Welle des Westküsten-Punk. Montag, 22. November in FM4 Heartbeat mit Surf Punk (eben nicht) Jon Savage.

"Der britische Punk wurde sehr schnell sehr dumm. Es war sehr aufregend bis zum Herbst 1977, und dann kamen Bands wie die Stranglers, die völlig scheiße waren. Frauenfeindliche Machos, Rassisten. Sein Chauvinismus machte den britischen Punk reaktionär. It was complete bullshit."

Man möchte es nicht glauben, aber diese Worte kommen aus dem Munde des Betreibers des größten britischen Archivs des Punk.

Die aktuelle Heartbeat Sendung gibt es hier für eine Woche zum Nachhören

Es ist ein Glücksfall, dass es Jon Savage gibt.

Man muss nicht mit ihm einer Meinung sein. Zum Beispiel in seinem offenen Hass auf The Jam oder Elvis Costello oder alles, was Stiff Records je hervorgebracht hat. Oder in der provokanten Schnoddrigkeit, mit der er alles verurteilt, was seiner Meinung nach nicht „new“ war und im gleichen Atemzug die Inspirationen des Garagen-Punk und der Psychedelik der Sixties gutheißt. Für jeden seiner Widersprüche hat er einen legitimierenden Sager parat, in jedem polemischen Schlagabtausch denkt er zumindest zwei Schritte voraus.

Jon Savage zeigt den Stinkefinger

Domino Records

Jon Savage neulich im Rough Trade East beim authentischen Erklären des Punk-Ethos

Grüß dich, ORF-Gesetz, du freust dich über programmbegleitende Beiträge wie diesen (Heartbeat 22-24 Uhr auf FM4, noch heute), aber weißt du auch, dass ich dadurch jetzt total ins Gedränge komme? Ich begleite mich hier schließlich selber und muss erst einmal das Programm zur Begleitung fertig machen.
Deshalb fehlen hier zum Beispiel die Zwischenüberschriften und die Links und die Zierleisten. Ich hoffe, du kannst damit leben.

Wie gesagt, ein Segen, dass der britische Punk in diesem Historiker (auf dessen Kosten unter anderem auch der faszinierende Wälzer „Teenage“ über die Geschichte der Halbstarken vor ihrer mutmaßlichen Erfindung in den Fünfzigern geht) seinen unbestechlichen, forensischen Chronisten gefunden hat.

Gerade weil Savage mit der blinden Götzenverehrung des Fans nichts zu schaffen hat, gilt sein Standardwerk „England's Dreaming“ zurecht als die fundierteste schriftliche Dokumentation des Phänomens.

Savage war schließlich schon von der ersten Stunde an als Fanzine-Autor mit dabei, und eine der entscheidenden Qualitäten der Punk-Szene – bei allen ihren von Savage selbst beklagten Mäkeln – war, dass einE Fanzine-AutorIn denselben Stellenwert hatte, wie einE, der/die auf der Bühne stand.

Als untypischer Teil einer neuen Generation von JournalistInnen, die über die nächsten Jahrzehnte hinweg die britische Presselandschaft mit ihrer Selbstherrlichkeit zumüllen sollten (hallo Julie, hallo Tony), war Savage laut eigenen Aussagen bald gelangweilt von dem neuen Chauvinismus, der sich in den Londoner Redaktionen breit machte. Von „Wir haben den Punk erfunden“ (eh schon strittig genug) bis zum daraus folgenden „Uns braucht sonst keiner was zu erzählen“ (die Grundeinstellung, der der britische Pop noch heute seinen Hang zum Traditionsverein zu verdanken hat).

Fall ihr euch wundern solltet, woher ich solche léger in die Welt geworfenen Weisheiten hernehme, berufe ich mich hiermit auch mein Treffen mit Savage letzte Woche in Soho. Es war nicht das erste, ich wusste also, was mir bevorstand bzw. machte mir um den Unterhaltungswert des Interviews keine Sorgen.

Savage, der sonst abgeschieden in Wales wohnt, war nach London gekommen, um Werbung für seine jüngste Compilation zu machen, die er auf Domino Records herausgebracht hat: „Black Hole“ ist ein Kompendium der ersten Welle des amerikanischen Westküsten-Punk, wie Savage ihn auf seiner ersten Kalifornien-Reise 1978 vorfand. Damals wie heute wollten die britischen Medien (und auch die New Yorker) infolge oben beschriebener Geisteshaltung nicht viel von dieser Szene wissen.

Und so finden sich auf Savages Sampler außer den Dead Kennedys oder X jenseits eingeweihter Spezialistenkreise unbekannte Namen wie The Middle Class, The Screamers, Avengers, Black Randy And The Metro Squad, The Aurora Pushups, The Weirdos oder Urinals.

AuskennerInnen, die das alles schon seit Jahrzehnten kennen, sind herzlich eingeladen, hier im Forum meine Ignoranz zu verlachen, für Leute wie mich ist nämlich dieser Sampler gemacht, der nebst gewohnt saftig formuliert/sachlich fundierten Savage-Sagern in der heutigen Ausgabe von FM4 Heartbeat ab 22 Uhr eurer Zeit zu hören sein wird (genauer gesagt erst in der zweiten Stunde, aber die erste könnt ihr euch auch ruhig anhören).

„Das eine Problem, das ich bislang mit der Reaktion auf diese Compilation habe“ sagt Jon Savage, „ist dass die Leute mich fragen, warum darauf kein Hardcore enthalten ist. Aber das ist die erste Generation, Hardcore Punk war die zweite Welle, die erst später um '79, '80 herum anfing. Und außerdem gefällt mir Hardcore nicht. Und es ist meine Compilation, so fuck off.“