Erstellt am: 20. 11. 2010 - 21:29 Uhr
Don't you want me, baby?
Zuviel Langeweile im ehemaligen Technotempel Wiens verhindert, dass die Party wirklich zündet. Das zeichnet sich bereits bei der ersten Band ab. Nouvelle Vague - das ist normierter Wohlklang und akustische Bedürfnisbefriedigung ohne Ecken und Kanten. Perlen der Popkultur entstellt diese Coverband, eingelullt in chlorfreigebleichten Weichspüler und biedermeierlichen Bossa Nova. Die neue Platte "Couleurs Sur Paris" des Casting Projekts von Marc Collin and Olivier Libaux hat sich ganz dem Chanson verschrieben, live rocken die ersten Nummern ziemlich ungewohnt, aber solide. Das liegt auch vor allem an der Rockröhre Nadeah Miranda, dem blonden Wildfang der sich die Bühne mit einer zierlichen silber-gekrönten Schwarzhaarigen teilt. Ist es Melanie Pain oder Marina Celeste? Es ist ziemlich schwer, im Nouvelle Vague Sängerinnen Backup-Camp den Durchblick zu behalten (laut NV-Homepage sind es 24!), stehen sie doch nur als singende und laszive Animierdamen in der Auslage.

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Nouvelle Vague hat mehr mit einem Marketingkonzept als mit Musik zu tun. Vielleicht wurde deshalb diese Band für diesen Event gebucht, denn mit „Electronic Beats“ hat das Ganze nichts am Hut.
Das Konzert plätschert dahin, der Schmerzpegel steigt mit jedem Ton, der aus den Boxen tränt. Bei ihrer Version „Bela Lugosi's Dead“ wird aus Bauhaus ein Kasperltheater, mit dem ersten seelenlosen Takt „Love will tear us apart“ muss ich fluchtartig das Weite suchen. Eine Konzertbesucherin mit einer „Kauf dich glücklich“ Stofftasche kreuzt meinen Weg – gnadenlose Ironie.

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Im Barbereich läuft einstweilen die „Greatest Hits“ CD von The Human League als Einstimmung?! Da hat jemand wirklich mitgedacht, genau wie bei der Programmierung des Line-Ups. Je weiter der Zeiger Richtung 11 Uhr rückt, steigt auch die Erwartungshaltung der Human League-Fans. Das letzte Wien Konzert der Synthie-Spezialisten ist schon einige Jahre her. 2001 waren sie im U4, wo sich Sänger Philip Oakey nach längerer Bühnenabstinenz und damit verbundener Nervosität nicht vors Publikum getraut hat: "Can I ever do it again?". We'll see.

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Ihre ruhmreichen musikalischen Verdienste Ende der Siebziger und im glitzernden Synthie-Pop und New Wave Jahrzent darauf, bescherte The Human League 2004 auch den Musikmagazinpreis „Q Innovation In Sound Award“. Sie zählen neben Gary Numan zu den Pionieren der elektronisch induzierten Popmuzik aus UK. Referenzen in aktuellen Produktionen finden sich nach wie vor, ihre eingängigen Hooks und Basslines inspirierten zahlreichen Künstler oder wurden als Samples weiterverwendet. Akustische AHA-Erlebnisse sind bei The Human League garantiert.
The Human League, das sind neben Philip Oakey, Susan Ann Sulley (die bitte mehr essen sollte!) und Joanne Catherall. Ebenfalls blond und schwarzhaarig, sind sie nicht nur alterstechnisch den Mädls von Nouvelle Vague um Meilen voraus. Authentische Weiblichkeit vs. ferngesteuerter feuchter Männertraum. Sie eröffnen das Konzert mit "Open your Heart", das Publikum freut sich und jubelt. Die Zeitreise beginnt im Jahr 1981 und macht mit „Heart like a wheel“ einen Sprung in die Neunziger. Elf Jahre später wurde die Nummer mit Textzeilen wie "Sell your soul tot he holy war. Set the captive free" anlässlich 9/11 und des Irak-Krieges wieder aus der New-Wave-Mottenkiste geholt.

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Von New Wave zu New Romantic ist es zwar kein weiter, aber mitunter ein sehr peinlicher Weg, der mit "Love Action" beschritten wird um dann doch kurz mit "All I ever wanted" in die Naughties auszubrechen. Am Anfang noch spannend und dunkel treibend, verliert dieser Song live wie auch auf Platte seinen Reiz. Generell lässt die Spannung bei "The Things That Dreams are Made Of", das 2008 anlässlich des 30-jährigen Bandbestehens mit ein paar Remixen wieder veröffentlicht wurde, nach. Unter anderem drehte Justus Köhnke die Nummer durch die Spiralen der Erinnerung. Gerade bei diesem, eigentlich eingängigen Popsong fällt es auf, wie out-of-time The Human League ist. Das Publikum sieht das anders und feiert zumindest in den ersten Reihen munter weiter und spielt Luftgitarre. Beim ersten Ton des Überhits "Don´t you want me" – Jubel! Es ist klar, dass das Konzert jetzt vorbei sein MUSS. Zwei Zugaben folgen, der Klassiker "Being Boiled" aus dem Jahr 1978 ist natürlich auch dabei.
Die Nummer ist einer der ersten, ausschließlich elektronisch produzierten Tracks – und somit für mehr als nur ein Genre richtungsweisend. Die dunkle, hypnotische Synthie-Line, garantiert nach wie vor Gänsehaut. Zwanzig Jahre nach dem Erscheinen sampelte die Wiener HipHop Combo Aphrodelics "Being Boiled" für ihrem Track "Rollin on Chrome". Damit katapultierten sie (sowie der Wild Motherfucker Dub Remix von Kruder & Dorfmeister) The Human League in das popkulturelle Gedächtnis einer jungen Generation. Philip Oakey überlässt dabei die Bühne dem 25-jährigen Gitarristen, der sich erfreut in Szene setzen darf und das Publikum zum Mitklatschen motiviert, dabei aber eher deplatziert wirkt. „Together in electric dreams“ ist die Stichwort-gebende letzte Nummer: Time to go away. "Soundtrack to a generation" ist The Human League längst nicht mehr.

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Ein Großteil der Besucher ist wegen Roisin Murphy hier. Doch bei ihrer Live-DJ-Performance veranstaltet sie ihre eigene Karaoke Show mit Halbplayback. Während sie sich ihrem Laptop widmet, wirkt sie so abwesend, als würde sie gerade ihre Mails oder Facebook checken. Sie performt hauptsächlich zu neueren Songs, doch ihre Rampensau-Qualitäten halten sich - verglichen mit einem regulären Konzert - sehr in Grenzen. Bei der letzten Nummer inszeniert sie sich wie ein Model auf dem Catwalk, davor posierte sie lasziv auf dem DJ-Pult. Geh bitte! Aber Roisin Murphy kann man trotzdem nicht lange böse sein und das Publikum hat sie sowieso auf ihrer Seite.