Erstellt am: 11. 11. 2010 - 19:10 Uhr
Die Befreiung des OpenOffice
Open Office und die Zukunft
Mehr zum Thema gibt es am Freitag, 12.11. in FM4 Connected (15 bis 19 Uhr).
Michael Fiedler berichtet über die Abspaltung von LibreOffice von OpenOffice und Erich Moechel ist live zu Gast.
Gut einen Monat nach der Trennung vom IT-Konzern Oracle sehen die Entwickler ihr freies Nachfolgeprojekt LibreOffice auf gutem Kurs. Es werde etwa noch ein halbes Jahr dauern, bis die Stiftung rechtlich etabliert sei, erklärte Thomas Krumbein, einer der Entwickler des freien Office-Projekts. "Im Moment beschäftіgt uns die Frage, wie wir den Stiftungsrat so besetzen können, dass Einflussnahmen von außen nicht mehr möglich sind."
Wegen des günstigen Stiftungsrechts sei zwar auch Österreich als Standort in Betracht gezogen worden. Da Steuerfragen bei einem Open-Source-Projekt jedoch nur eine sekundäre Rolle spielten, seien Großbritannien, Frankreich und Deutschland in die engere Wahl gekommen - dort, wo die meisten LibreOffice-Entwickler zuhause sind.
Start als deutsches Qualitätsprodukt
In Deutschland hatte das Projekt als "Star Office" der Hamburger Firma Star Division in den späten 90er Jahren begonnen und wurde schon wenig später als Waffe eingesetzt: Sun Microsystems hatte die Star Division 1999 aufgekauft und den Quellcode im Jahr 2000 zur Weiterentwicklung freigegeben - sehr zum Verdruss von Microsoft. Neben den Betriebssystemen war MS-Office seit jeher das zweitprofitabelste Produkt der Redmonder Quasi-Monopolisten, der sich damals mit Sun gerade milliardenschwere Auseinandersetzungen vor US-Gerichten lieferte.
Und damals hatten auch jene Probleme begonnen, die schlussendlich zum "Fork" (Abspaltung) geführt hatten. Diese - weil eigentlich negativ besetzte - Bezeichnung lehnen die Entwickler von LibreOffice ab. Die Gründung einer unabhängigen Stiftung sei vielmehr eine seit zehn Jahren bestehende Forderung, die zuerst Sun und dann Oracle geflissentlich ignoriert hätten, sagt Krumbein.
Spielball der Mächtigen
Sun hatte sich vielmehr Markennamen und andere Copyrights auf OpenOffice eintragen lassen, IBM, Novell und ein paar kleinere Unternehmen stiegen ebenfalls in die Entwicklung ein. Diese Konzerne konnten einerseits Teile des Quellcodes sehr gut für ihre eigenen Softwaresuites brauchen, zum anderen war es das einzige Office-Projekt mit Potenzial, um den Quasimonopolisten aus Redmond anzugreifen.
Als "schwieriges Spiel mit den großen Konzernen" umschreibt Krumbein den Zickzackkurs, den das Projekt fahren musste, zehn Jahre lang war es der sprichwörtliche Spielball der Mächtigen. Wann immer die großen Player des IT-Markts Microsoft oder auch einander an den Karren fahren wollten, geriet das jeweils bevorstehende Release einer OpenOffice-Version in Schieflage.

libreoffice
Die Document Foundation, die hinter LibreOffice steht, hält am 16. und 17. November ihren ersten Kongress in München ab. Oracle hat die Entwickler von LibreOffice wiederum aufgefordert, das OpenOffice-Projekt zu verlassen.
Der Befreiungsschlag
Wenn die neue Version in der Endphase war und bereits die Qualitätskontrolle mit einer Unzahl freiwilliger Helfer lief, kam stets irgendeiner der Großen mit einem Last-Minute-Zusatzfeature an, das unbedingt noch integriert werden musste. Entweder, weil der betreffende Konzern das Feature für die eigene, proprietäre Software brauchte oder weil man auf einen Schachzug Microsofts reagieren wollte: Stets wurden die Entwickler in schnöder Regelmäßigkeit "nach getaner Arbeit overruled", so Krumbein weiter.
"Mit der Übernahme Suns durch Oracle kamen noch ein paar Härtegrade hinzu und das hat sich dann irgendwie addiert". LibreOffice und die Gründung der Ope Document Foundation sei also kein "Fork" sondern eine Art Befreiungsschlag.
Red Office in der Volksrepublik
Als echten "Fork" kann man die allererste Code-Abspaltung durch die Volksrepublik China zu bezeichnen, die 2002 offiziell ankündigte, auf Basis von OpenOffice eine eigene, chinesische Version zu entwickeln. Wenig später kam in China Red Office heraus, das auf dem Quellcode der Version 1.0 aufsetzte und heute in Version 4.0 vorliegt.
Mit Star Office, das Sun als proprietäre Version auch weiterhin verkaufte und den Anfängen von NeoOffice für den Mac waren 2003 bereits vier Versionen parallel in Arbeit. Neben Go-Office von Novell (seit 2007) sind noch ein halbes Dutzend weitere, auf diese oder jene Funktionen optimierten "Geschmacksrichtungen" frei oder auch käuflich zu haben. IBMs Lotus Symphony enthält ebenfalls große Teile des Open-Source-Projekts.
Forks, Verbreitung
Diese grafische Timeline zeigt die Entwicklung der verschiedenen Varianten. Bei 40 Millionen Downloads pro Version gehen Studien - je nach Ansatz - von 5 bis 20 Prozent tatsächlicher Marktdurchdringung aus. In Deutschland wird laut Krumbein auf mindestens sieben Prozent aller PCs Open Office eingesetzt.
Optimistisch in die Zukunft
Wie aber geht es jetzt mit LibreOffice weiter? "Wir haben eine gute Ausgangbasis und ich persönlich hoffe natürlich, dass die Stiftung nach Deutschland kommt", sagt Krumbein. In Sprachräumen gerechnet, stellten die Deutschen mit den Schweizer und Österreichern zusammen die größte Entwicklergruppe. Grund für den Optimismus aber ist nicht nur, dass mit Google, Red Hat und Novell als Hauptunterstützer der Fortbestand des Projekts gesichert ist.
In den wenigen Wochen, die seit dem Befreiungsschlag verstrichen sind, seien 40 neue Entwickler dazugekommen und dieser Zulauf halte an. Auch Oracle habe man übrigens zur Mitarbeit an LibreOffice eingeladen, eine Antwort stehe jedoch noch aus, sagt Krumbein abschließend.
Oracle hatte zu den Vorgängen nur lapidar angekündigt, man werde OpenOffice auch nach der aktuellen Version 3.3 weiterentwickeln. LibreOffice liegt aktuell in 3.3 Beta vor, die fertige Version soll noch vor Jahresende veröffentlicht werden.