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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

4. 11. 2010 - 13:29

US-Behörden jagen "Unterhosenbomber"

Tage bevor die Paketbomben aus dem Jemen abgefangen wurden, traten an US-Flughäfen der Ostküste verschärfte Sicherheitsbestimmungen in Kraft. US-Passagiere berichten von entwürdigenden Genitalabtastungen - am Körper verborgener Plastiksprengstoff wird nämlich auch von den neuen Nacktscannern nicht entdeckt.

Seit das US-Ministerium für Heimatschutz in der vergangenen Woche praktisch über Nacht eine "aggressivere Vorgangsweise" bei den Körperkontrollen der Flugreisenden verlauten ließ, häufen sich auf US-Flughäfen die Beschwerden. Die auf dem Bostoner Airport Logan bereits seit August getesteten Methoden des sogenannten "Enhanced Screening", also des intensivierten Abtastens von Reisenden, wurden quasi über Nacht auf eine noch unbekannte Anzahl von Airports ausgedehnt. Alle aktuell vorliegenden Informationen betreffen Flughäfen an der Ostküste der USA.

"Abtatscherei mit Shiatsu"

Schuhe und Unterhosen

Richard Reid hatte 2001 vergeblich versucht, an Bord eines Fliegers einen Sprengsatz in seinen Bergschuhen mit einer Zündschnur zur Explosion zu bringen. Ende 2009 hatte Umar Farouk Abdulmutallab einen in der Unterhose verborgenen Plastiksprengsatz nicht zünden können.

Auslöѕer für die ausgesprochen demütigenden Durchsuchungen waren stets entweder die Weigerung des Passagiers, einen Nacktscanner zu durchschreiten, oder weil der Metalldetektor Alarm ausgelöst hatte. "Ich habe gerade eine solche luxuriöse Abtatscherei mit Shiatsu am Reagan Airport in Washington hinter mir. Das war höchst entwürdigend" schreibt einer der Abonnenten der Netzpolitik-Mailingliste des US-Informatikprofessors Dave Farber. Außerdem sei "so viel Zeit mit Profiling und dem Abtatschen von Menschen vertan worden, dass unter Garantie andere, grundlegende Sicherheitsmaßnahmen außer acht gelassen" worden seien.

Flugpassagiere, die aus irgendeinem Grund zur Sonderbehandlung ausgewählt werden, können zwar den Körperscan verweigern. In diesem Fall, wie auch bei Alarm im Metalldetektor, wird die betreffende Person vom Heimatschutz dann einer peinlich genauen Abtastung im Schritt unterzogen. Man sucht offenbar nach einem neuen "Unterhoѕenhomber". Die Schuhe waren wegen der "Schuhbombergefahr" (Richard Reid, 2001) schon vorher routinemäßig auszuziehen.

Eine Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes vor einem Monitor.

EPA

Nacktscanner ausgetrickst

Von der Behandlung der Reisenden einmal abgesehen "sei es unsinnig, wieviel Zeit diese Prozedur kostet" meint der Experimentalphysiker Werner Gruber von der Uni Wien und das bei keinem feststellbaren Sicherheitsgewinn. Der überaus rundliche Wiener Physiker wäre nämlich auf jeden Fall durch den "Full Body Scan" gegangen, hatte er doch schon mehrmals Nacktscanner überlistet, indem er Medikamentenfläschchen "in einer Hautfalte" - also "zwischen den Backen" - durchschmuggelte. Die restliche Pseudosprengstoffmenge sowie ein funktionsfähiger Zünder gingen in Sakko und Handgepäck verteilt anstandslos durch die Kontrollen.

Familie Semtex

Die US-Behörden suchen also nach Schuh- oder Unterhosenbombern, aber "was ist, wenn der Sprengstoff in Präservativkugeln im Magen versteckt ist?" meint Gruber. Noch naheliegender wäre es freilich, ein paar der Zellen aus einem Laptop-Akku auszubauen und diese mit irgeneinem Plastiksprengstoff aus der Semtex-Verwandtschaft zu füllen. Die verbleibende Akkukapazität diene in diesem Fall dazu, erst den Laptop bei der Kontrolle anstandslos hochzufahren und später den Sprengstoff zu zünden, so der Physiker.

Für die einschneidenden Veränderungen im US-Flugverkehr seit 2001 ist die seit den frühen 90er Jahren bestehende Mailing-Liste "Interesting People" des emeritierten Professors für "Highspeed Networking" Dave Farber ein verläßlicher Anzeiger. Ob Technik-Intelligentsia, Akademiker, Anwälte oder die höheren Etagen der IT-Branche - der Anteil an Vielfliegern auf der Liste des Netzwerkprofessors ist überdurchschnittlich hoch.

US Senator Dick Durbin im Körperscanner

EPA

Hartes Zupacken

Mehr Details:

  • Mehrere Tage, bevor die aus dem Jemen kommenden Paketbomben an jüdische Einrichtungen in den USA abgefangen werden konnten, wurden an US-Flughäfen an der Ostküste die Sicherheitskontrollen auf die höchste Stufe gedreht.
  • Der Plastiksprengstoff in den zwar professionell gebauten, aber dennoch nicht funktionsfähigen Paketsprengsätzen aus dem Jemen war ebenfalls aus der Semtex-Familie. Die Destination des Flugs von Schuhbomber Reid 2001 war Boston Logan Airport.

Dementsprechend hoch wallt auch der Unmut, weil man neben noch längeren Verspätungen nur noch vor der Wahl steht, seine Geschlechtsteile entweder gegenüber einem Nacktscanner zu entblößen oder von Heimatschutzpersonal befingern zu lassen. In US-Luftfahrtforen wiederum beklagen sich Betroffene über anhaltende Schmerzen in den Weichteilen, weil die Körper-"Screener" so hart zugepackt hätten. Zumindest mehrere dieser hochnotpeinlichen Inspektionen im Schritt wurden vor den Augen aller anderen Passieren in der Schlange durchgeführt.

Die Folge ist eine tiefe Verunsicherung, die sich in Fragen widerspiegelt, ob es für amerikanische Bürger nicht möglich sei, sich gegen eine solche Herabwürdigung zu wehren. Die Antwort eines bekannten New Yorker Anwalts auf Dave Farbers Liste ist ernüchternd: "Wer eine solche Untersuchung verweigert, darf nicht an Bord."

Die "Airport-Gestapo"

Mitten in diese Atmosphäre donnerte John Gilmore, Gründer der Electronic Frontier Foundation und natürlich ebenfalls auf der IP-Liste, im Stil eines mittelalterlichen Fastenpredigers: "Die Unterdrückung misst sich am Grad des Widerstands der Unterdrückten. Ihr habt euch dieser Airport-Gestapo immer wieder unterworfen. Ihr zerrt sie nicht vor Gericht oder verlangt von den Politikern, dass sie diese totalitären Methoden sofort ändern. Also gewöhnt euch daran. Ihr Schafe habt nur gekriegt ,was ihr verdient!"