Erstellt am: 16. 9. 2010 - 17:15 Uhr
Getting it Wrong, Teil 7
Es sei vorausgeschickt: Ich bin kein Katholik, nie einer gewesen, habe mich überhaupt nie einer Religionsgemeinschaft zugehörig gefühlt und bin auch mit einem „o.r.B.“ auf dem Schulzeugnis aufgewachsen.
Insofern bin ich also ein Kind der mutmaßlichen Säkularisierung Europas, auch wenn das freiwillige Heidentum in meinem Fall sicher nicht auf den viel beklagten spirituellen Verfall der modernen Welt, sondern schon auf die Großelterngeneration zurückgeht.
Insofern sollte ich mich also auch einigermaßen wohl fühlen in Großbritannien, wo man bekanntlich ein pragmatisches Verhältnis zur Religion pflegt. Tatsächlich ist schon was dran an dem alten Eddie Izzard-Sketch, der sich die Verhöre der Heiligen Inquisition, wenn sie der Church of England überlassen gewesen wären, als höflich gestellte Option Cake and tea or death? beim Pfarrnachmittag in der Church Hall ausmalt.

Robert Rotifer
Die Church of England, mit ihrem von Grund auf eher prinzipienfreien Protestantismus (auch das weiß Eddie Izzard zu erklären) besteht eigentlich nur dann vehement auf dem Besuch des Gotteshauses, wenn Eltern gedenken, ihr Kind in eine von ihr betriebene Schule einzuschreiben. Ansonsten ist man eher entspannt, sperrt hin und wieder eine Kirche zu und lässt sie in eine Luxusimmobilie oder – zumindest als die Musikindustrie noch Geld hatte – in ein Tonstudio umbauen.
Kein Wunder also, sollte man meinen, dass so ein weltlich gepoltes Land keinen idealen Boden für einen Papstbesuch hergibt.

Robert Rotifer
Nicht weniger legitim ist, dass der britische Medienmainstream Papst Benedikts Kommen in den vergangenen Wochen mit jeder Menge Berichten über sexuellen Missbrauch in Institutionen der Katholischen Kirche bzw. durch Mitglieder des katholischen Klerus, sowie allerhand Diskussionen über die Kirche und ihr Verhältnis zu Zölibat, AIDS-Bekämpfung, Empfängnisverhütung oder Homosexualität vorbereitet hat.
Schließlich gibt es sonst keinen Anlass, bei dem diese Themen derart viel Öffentlichkeit erlangen würden.
Diskutieren lässt sich auch darüber, ob der von den SteuerzahlerInnen eines zu 90% nichtkatholischen Landes finanzierte Staatsbesuch des Papstes überhaupt einer sein sollte oder nicht, wie etwa die 50 Unterzeichneten eines Briefs an den Guardian, darunter Richard Dawkins und Stephen Fry, meinen.
Und schlussendlich war die Bemerkung des Kardinals Kasper im Focus-Interview, er habe auf dem Londoner Flughafen das Gefühl, in einem Dritte Welt-Land anzukommen, ein verbaler Ausritt, der die ihm angediehene Verdammung verdient – auch wenn ich wie viele andere hier zunächst naturgemäß annahm, der Kardinal beziehe sich damit nicht auf die Multikulturalität der Stadt, sondern auf den Zustand ihrer Flughäfen.
So oder so ist das mit der Kritik am Katholizismus aus britischer Perspektive aber keine unproblematische Sache.

Robert Rotifer
Wer sind in Großbritannien denn die KatholikInnen? Zum Beispiel jener Teil der NordirInnen, die sich nicht ohne historische Gründe von der protestantischen Mehrheit zutiefst unterbuttert fühlen (um es mit dem Euphemismus des Jahrhunderts auszudrücken).
Oder die aus Irland eingewanderten katholischen Enklaven nördlicher Städte wie Manchester, Liverpool oder Glasgow, um es nur mit drei Stadtnamen zu sagen, wo sich die katholisch/protestantischen Gegensätze auch in Fußballvereinen (United/City, LFC/Everton, Celtic/Rangers) nachvollziehbar ausdrücken lassen.(or do they? Erratum siehe (2))
Was die katholischen Hochburgen verbindet, ist ihr proletarischer Charakter (logisch, die irische Migration war schließlich auch kein Wohlstandsphänomen) und somit ihr tendenziell niedriger Status in der britischen Klassengesellschaft. Und wer je Evelyn Waughs „Brideshead Revisited“ gelesen hat, weiß, dass es auch der katholische englische Adel, wo es ihn noch gab, selbst in toleranteren Zeiten nie leicht hatte. Das Spotten über KatholikInnen ist hier also tendenziell ein Spotten von oben nach unten.
Zugegeben, viele protestantische Briten hegen eine gar nicht so heimliche Vorliebe zum Katholizismus, indem sie ihn im Gegensatz zur blutleeren anglikanischen Praxis als die leidenschaftlichere, feurigere Variante des Christentums romantisieren, und in einem Land, wo selbst ein eingefleischter Populist wie Tony Blair die Kraft seines Glaubens beweist, indem er dem katholischen Glauben beitritt, kann es mit der Diskriminierung der Lehre Roms nicht weit her sein.

Robert Rotifer
Wohlgemerkt, Blair tat dies aber erst nach der Niederlegung seines Regierungsamts. Ein katholischer Premier, das wäre nämlich verfassungstechnisch ein Problem. Schließlich untersteht er der Königin, ihrerseits Supreme Governor of the Church of England und berät diese bei der Vergabe hoher Kirchenämter.
Eine archaische Konstruktion, die etwa im Vergleich zum Laizismus der katholischen Franzosen eigentlich erstaunlich unaufgeklärt aussieht und dem vermeintlichen britischen Säkularismus fundamental widerspricht.
Die Church of England muss folglich gerade wegen dieser fehlenden Trennung vom Staat in ihren Positionen so pragmatisch sein, und nicht etwa, weil sie im Vergleich zum Katholizismus instinktiv progressiver wäre.
Irgendwas an dem Eifer, mit dem sich die Briten in den letzten Wochen vor dem Katholizismus und diesem Papst mit seinem wie für Film-Nazi-Assoziationen geschaffenen Akzent geekelt haben (siehe diese bigotte Blüte von Julie Burchill), riecht jedenfalls verdächtig nach dem Hohn der Mehrheit. Nach dem Bedürfnis, die Dinge, die in der katholischen Kirche falsch laufen, rein auf ihr Katholischsein zu reduzieren, um sich so in seinem eigenen mehrheitlichen Nichtkatholischsein noch ein bisschen besser zu fühlen.
Nur so ein Eindruck eines Agenten der agnostischen Weltverschwörung.
ad (1): Rhetorische Frage als Redensart zur Bezeichnung einer Selbstverständlichkeit, analog zum Wienerischen „no na ned“.
ad (2); Nach Fragen im Forum und Nachforschungen meinerseits stelle ich fest, dass diese Aufteilung in Manchester natürlich bei weitem nicht so eindeutig ist wie in Glasgow, und dass ich in Sachen Liverpool möglicherweise einer urbanen Legende aufgesessen sein mag. Ich werde mich schlauer machen und zum Thema zurückkehren.