Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Berlin Music Week II"

Susi Ondrušová

Preview / Review

11. 9. 2010 - 14:27

Berlin Music Week II

Mau in Berlin.

Warum sich auf den Objektivitätsstuhl hieven, wenn das, was als meine Interessensgrundlage dient so ganz und gar nichts mit Objektivität zu tun hat. Ich stehe mit Musik auf, ich gehe mit Musik schlafen. Subjektive Lebensbeobachtungen in Form von Songs, von Menschen geschrieben, gesungen, gelebt, die sich alle irgendwann damit auseinandergesetzt haben sich in Musik zu verlieren (Beispiel I oder II), zu vertiefen, sich von dieser zu ernähren, ideologisch und/oder ökonomisch.

Gestern eingeschlafen zu The Jesus&Mary Chain´s "I Hate Rock'n'Roll" und aufgestanden zu The Jesus&Mary Chain´s "I Love Rock'n'Roll". Bin also in Berlin und sauge auf, was unter dem Titel "Berlin Music Week" angeboten wird. Ein Warm Up Diskussionsprogramm in der Kulturbrauerei namens "all 2gether now", eine Branchenmesse namens "Popkomm" und ein Festival namens Berlin.

ondrusova

Francis International Airport wandern aufs TapeTV Dach.

Dazwischen werden Termine eingeschoben, mit Fran Healy von Travis über sein Soloalbum sprechen, Carl Bârat von den Libertines von den Lippen die Informationen über sein Soloalbum ablesen, die wahrscheinlich wildeste und beste norwegische Noise-Band Killl über Licht- & Zukunftskonzepte von Musik zu befragen und Christof Ellinghaus von City Slang zu seiner bald 20-jährigen Labelkarriere gratulieren.

Zwischendurch besuche ich eine Tape Tv Aufzeichnung mit Francis International Airport und bleibe gleich länger um Aloe Blacc auch noch zu sehen, besuche "Wien Machine" im Maria am Ostbahnhof und freue mich über ein Punk Baby ähm Tanz Baby Konzert.

ondrusova

Tanz Baby!

Wir können von vorne anfangen mit meinem unermüdlichen Enthusiasmus von dem ich mich mittlerweile hinters naive Licht geführt fühle, denn die von mir besuchten Panels sind alles andere als inhaltlich erleuchtend.

Die Gesprächsrunde zum Thema "Jetzt reichts! Für eine Unterhaltungskultur mit Haltung" ermüdet sich in der Echtheitsanalyse einer Lena. Beim Vortrag über "Expatriotism" mit in Berlin lebenden MusikerInnen und MusikarbeiterInnen werden die wichtigen niedrigen Lebenserhaltungskosten Berlins gelobt, die Tatsache, dass (Vorsicht: westliche/r KünstlerIn) man sich hier als ausländische/r KünstlerIn nicht integrieren muss, um Teil einer der vielen dezentralen "Szenen" zu werden. Inhaltliche Diskussionen verlaufen sich auf Grund mangelndem ModeratorInnen-Können in themenverfehlende Fahrwasser.

ondrusova

Gespräche in blau.

Im Gespräch zur "Krise der Musikkritik" die ihren - für mich falschen - aber nicht uninteressanten Ausgangspunkt darin findet, zu loben, dass die Spex mit dem "Popbriefing" den Tod der Musikkritik ausgerufen hat, beginnt eine Grundsatzdiskussion darüber ob MusikjournalistInnen bezahlt werden sollen und ob Blogger überhaupt MusikjournalistInnen sind. Natürlich alles für sich genommen interessante Anhaltspunkte, für deren Diskussion unter dem Dachthema "Krise der Musikkritik" es eine/n wirklich gute/n ModeratorIn gebraucht hätte, damit sich 90 Minuten nicht wie eine ausgefranste David Lynch Hommage anfühlen.

Stellvertretend für die Theorie aller Musikindustrie-Theorien nämlich die des Long Tails, und der These, dass in der Nische die Zukunft liegt, waren die GewinnerInnen der Berlin Music Week jene Bands, die am Nachmittag des Festivalgelände des Berliner Tempelhof Flughafens eröffnet haben. Bevor das Gelände wegen Überfüllung zusperren musste und frustrierte FestivalbesucherInnen keinen Einlass zu den Bühnen gefunden haben und demnach in die "Berliner Nacht" entlassen wurden.

Mit Nachmittagbands meine ich zum Beispiel die Blood Red Shoes, die ich schon ca. zum gefühlt hundertsten Mal gesehen habe und nicht müde werde noch zum tausendsten Mal zu sehen. Oder Zola Jesus die ich zwar am Nachmittag zum Interview treffen durfte, deren Liveauftritt ich aber aus analphabetischen Gründen einfach verpasst habe. Verpasst habe ich auch mein Ladegerät, das hat in der Ladestation auf mich gewartet, was mich dazu zwang, mich selber von allen Berichterstattungspflichten zu feuern und das zu tun was die meisten am Tempelhof gemacht haben: Festival genießen (versuchen).

Als ich abends den mittlerweile mit dem leider üblichen Pfandmüll versehenen Weg vom Platz der Luftbrücke zum Flughafen-Gelände einschlage, sind überall schon Menschenschlangen, der Platz vor der Hauptbühne wo sich LCD Soundsystem gerade durch ihr Abschiedskonzert spielen, schraubt das Stimmungsbarometer in ungeahnte Höhen. So verhält sich also ein Festivalpublikum. Bis in die hintersten Reihen wird getanzt, geklatscht und gefeiert. Sehr schön. Vielleicht war es akustisches Bühnenkonzept auf jeden Fall war das dominante Schlagwerkspiel hervorragend!

ondrusova

Die ersten Zweifel am Geländekonzept, kommen einem erst hoch, als sich das euphorisierte Ego in Richtung Robyn bewegt, wo die lose angesiedelte in Richtung zweite Hangarbühen strömende Menschentraube durch ein Absperrgitter gezählt und langsam aber sicher reingelassen wird. Gemessen an der Grösse des Geländes, das in seiner Länge über einen Kilometer lang und demnach auch wieder ein gefühltes Schlauchen-Festival ist, scheint die Konzentrierung der Menschenmasse an nur einer Ein und Ausgangsschleuse etwas unverständlich. Vollzeit-FestivalbesucherInnen sorgen vor und rechnen sich demnach schnell aus, wie lange man bei jedem Act verweilen wird können um noch unbeschadet und rechtzeitig zur anderen Bühne zu gelangen.

Zwei Songs Robyn, ein paar Songs Editors inkl Feuerwerk, Anstellen für Fever Ray, Herumlaufen zur Toilettensuche, warten auf Junip, sich selber im Niemandsland der Verkaufsstände und einer Silent Disco widerfinden, versuchen zu Fever Ray wieder Einlass zu finden, auf Twitter lesen, dass sie gerade "Stranger Than Kindness" von den Bad Seeds covern, sich mit dem schönen Gedanken an eine schöne Melodie ein ruhiges Plätzchen suchen, auf Caribou warten, von den unfreiwillig vor der Hangar Bühne verweilenden Festivalströmen genervt sein, sich auf den 4.Dezember vertrösten und den schnellsten Weg nach draußen finden. In der Gewissheit, dass Alec Empire mir den Gute Nacht Monolog per social platform mitteilen wird. Revolution und Anarchie und so.

Die Nachlese bringt die Erkenntnis, dass ein schönes Logo nicht gleich schönes Konzept bedeutet. Die Polizei hat dem Berlin Festival gestern um halb drei in der Früh ein jähes Ende bereitet und so wurden wegen Überfüllung die Auftritte von Fat Boy Slim und 2Many Djs in einem der zwei Hangar abgesagt.
Das für heute angesetzte Programm ist vorverlegt worden, für mich und meinen "Letzte U-Bahn! Ich fahr heim!" Spaßbremsen-Ruf zwar pervers entgegenkommend, dass das Liveprogramm nun nur bis 23 Uhr dauern wird, aber für ein ambitioniertes Berlin Music Week Programm, das seinen Abschluss in diesem Festival finden sollte - und zwar bei Sonnenaufgang -, eher beschämend.

Der Fotoarmut wird spätestens beim morgigen Bericht ein Ende gesetzt! Es grüßt das Ladegerät!

Kollege Christian Fuchs ist auch hier und wird noch von seinen Konzerterlebnissen berichten, meine vorzeitige Antwort auf die Berlin Music Week heisst so far:

Ich gehe jetzt Platten kaufen. Vielleicht gönne ich mir auch einen Download Code. To go.