Erstellt am: 2. 9. 2010 - 00:20 Uhr
Ed Banger No Brainer
Nach meiner letzten Geschichte über die Angst der Blauäugigen hat eineR der PostingprinzESSINNen gemeint, ich würde hier Wahlwerbung betreiben. Ist ja auch wahr! Ich bin für Ed.
Miliband nämlich, nicht Balls.
Ich spreche, falls diese parodistisch anmutenden Namen nicht geläufig sein sollten, über die gerade postalisch angelaufene Abstimmung über die Führung der Labour Party. Jawohl, die VerliererInnen der Unterhaus-Wahlen haben sich – ausnahmsweise einmal sehr vernünftig – Zeit gelassen, um eineN NachfolgerIn für Gordon Brown zu finden, auf dass sich eine echte Diskussion über die künftige Richtung ihrer schwer angeschlagenen Partei entwickeln mochte.
Dass sie dabei für die Sommermonate dem frischen Premier Cameron das propagandistische Feld überlassen mussten, wird auf mittlere bis längere Sicht kein Nachteil sein. Im Gegenteil: Die vor allem auf dem Kontinent erfolgreich kolportierte Mähr von der angeblichen Beliebtheit der neuen Regierung hat spürbar wenig Puste (zur Zeiten von Blairs Machtübernahme Ende der Neunziger konnte man durchaus EnthusiastInnen antreffen, die UnterstützerInnen Camerons begegnen mir dagegen nur im Fernsehen – und ich lebe immerhin im konservativen Kent.)
Und wo schon das B-Wort gefallen ist: Jawohl, die Sabotage der Neuerfindung Labours kommt aus gewohnter Quelle.

Robert Rotifer
Wer war doch gleich der, der in seinem Drang, sich vom Geld der Gewerkschaften und damit ihrer verbliebenen Macht in der Partei abzunabeln, Labour an den Rand des Ruins trieb, indem er sich für den Preis der Verleihung von Lordschaften (und ein paar hilfreiche Regierungsentscheide...) die finanzielle Unterstützung von Superreichen in Form von als Darlehen verbrämten Spenden holte, die die Partei bei Auffliegen des Skandals prompt zurückzahlen musste?

Robert Rotifer
Ist das nicht genau der, der sich seither dank seiner diversen Geschäfte als Berater von Finanzinvestoren, Regierungen und Ölfirmen, sowie als Immobilienanhäufer und Gastreferent für alle gutbezahlten Anlässe (gekoppelt mit seiner realsatirischen Netzwerkerrolle als „peace envoy“ im Nahen Osten) selbst so gut gepolstert hat, dass er gut und gern ein paar Labour Parties sanieren könnte, ohne viel davon zu merken?
Jawohl, gerade dieser Tony Blair hat sich ausgerechnet diesen Existenz-entscheidenden Augenblick in der Geschichte seiner Partei ausgesucht, um mit dem Erscheinen seiner Autobiographie „A Journey“ alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Die Erträge des Buchs, in dem er – wie bisher durchgesickert ist – unter anderem seinem alten Rivalen Gordon Brown „null emotionale Existenz“ konstatiert, will er übrigens der British Legion stiften, die sich um Opfer der von ihm angezettelten Kriege kümmert. Ausschließlich die britischen Opfer, wohlgemerkt.
Sogar sein alter Freund Peter Mandelson, der selbst jüngererdings mit seiner eigenen Autobiographie „The Third Man“ für gute Verlagskohle alle seine Brücken in sämtliche Richtungen verbrannte, quittierte das letzte Woche mit den Worten: „Ich bin versucht zu sagen, er [Blair] kann sich das leisten.“
Wir sprechen hier von läppischen vier Millionen Pfund Vorschuss und, wie Blair in seinem exklusiven Interview mit dem Guardian nicht zu erwähnen vergisst, umso mehr, je mehr Leute das Buch kaufen. So wird seine Selbstdarstellung zum guten Zweck. Schlau gemacht.
Aber bevor ich mich selbst noch ablenken lasse, zurück zum eigentlichen Thema: Wer Labour-Chef wird (und es wird nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit ein „er“ sein, siehe unten), könnte durchaus auch der nächste Premierminister sein, wenn er es richtig anstellt.
Wenn der von den butterweichen LiberaldemokratInnen mitgetragene, aus Angst vor der Macht der Credit Rating Agencies durchgezogene (und übrigens von Blair gepriesene) radikale Sparkurs der Regierung seine unvermeidlich brutalen Resultate zeitigt, werden gerade die vom Boom der Jahre des billigen Kredits und der als PFIs (Private Finance Initiatives) und PPPs (Public Private Partnerships) getarnten staatlichen Subventionsschübe verwöhnten Middle Classes, die in Großbritannien die Wahlen entscheiden, sich fraglos verschaukelt fühlen.
Das wiederum wird reichlich Munition liefern für wer immer die Labour Party übernimmt. Die sich dann sicher nicht mehr New Labour nennen wird.

Robert Rotifer
Denn von jenem Erbe distanzieren sich zumindest verbal nun auch wirklich alle der fünf KandidatInnen. Die da wären:
Andy Burnham: in seiner Zeit im Kabinett immer ein braver Pflichterfüller, seit der verlorenen Wahl mahnt er, dass die Partei das Gefühl für die Sorgen ihrer Kernschichten verloren habe. Was er teils durch unangenehmen Populismus kompensiert. Chancenlos.
Diane Abbott: Die Kandidatin, von der alle ParteikollegInnen (GenossInnen nennen sie einander schon lange nicht mehr, ParteifreundInnen wär auch übertrieben) immer gern sagen, dass es wichtig ist, dass eine Frau und auch noch eine Nichtweiße im Rennen ist. Wählen werden sie sie trotzdem nicht. Abbott war vor der Irak-Invasion eine der ausgesprochensten Gegenstimmen und sieht sich gern als linkes Gewissen der Partei, hat sich aber als arrogante Kommentatorin in der Fernsehshow This Week in der Partei nicht gerade beliebt gemacht. Bzw. mit ihrer Entscheidung, ihren Sohn in ihrem Londoner Wahlkreis Hackney nicht in eine öffentliche Schule zu stecken, sondern privat in die elitäre Westminster School. Mit dem Argument, dass Buben karibischer Herkunft es in staatlichen Schulen zu nichts bringen. Was nicht nur Menschen karibischer Herkunft in- und außerhalb Hackneys verständlicherweise als Chuzpe empfanden.
Ed Balls: Crazy name, crazy guy, manische Augen, schüttere Sturmfrisur, spricht schneller als er denken kann, daher gern in flinken Phrasen. Ehemals bekannt als einer von Gordon Browns Männern fürs Grobe. Insofern glaubhaft in seiner Distanzierung vom Erbe Tony Blairs, nicht aber so sehr in seiner jüngsten Wiederentdeckung des Egalitarismus. Wird vermutlich Dritter.
Die Milibands: Söhne des marxistischen anglo-belgisch-polnisch-jüdischen Intellektuellen Ralph Miliband, aufgewachsen in der linken bildungsbürgerlichen Elite am Primrose Hill mit Hausgästen wie Eric Hobsbawm oder Tariq Ali. Als solches nicht gerade der volkstümliche, authentisch proletarische Flügel der Labour Party, aber ideenmäßig, denkt man, muss da doch was hängen geblieben sein. Aber was?
David, der ältere: Ehemaliger Außenminister, Zögling Blairs, galt vor dem Wahlkampf um die Parteiführung wohl als klarer Favorit, vor allem weil ihn die überwiegende Mehrheit der Parlamentsfraktion unterstützt. Die aber mit der dank Tony Blairs ständiger Brüskierungen der Basis auf 160.000 geschrumpften harten Kern der Parteimitglieder gar nicht so gut kann.
Dass Peter Mandelson ihn unterstützt wird ihm bei dieser Klientel noch weniger nützen.
Ed, der jüngere: Ehemaliger Umweltminister, war aber noch nicht in der Regierung, ja nicht einmal im Parlament, als der von seinem Bruder unterstützte Irak-Krieg beschlossen wurde. Meint, dass er damals dagegen war, das Gegenteil lässt sich zumindest nicht beweisen. Hat erkannt, dass die Anbiederung New Labours an die Superreichen mittlerweile selbst schon die Mittelklasse entfremdet hat und erspäht darin eine Möglichkeit, den in Großbritannien lange desavouierten Umverteilungsgedanken in Form von Spitzensteuersätzen für Bestverdiener wiederzubeleben. Ist bekennender Atheist. Wird von den Gewerkschaften und vom Altparteichef Neil Kinnock unterstützt (und somit von Mandelson und Blair als Bote eines gefährlichen Linksrucks denunziert).
Fiel mir persönlich zum ersten Mal so richtig positiv auf, als er, angesprochen auf das Thema Migration, statt des üblichen Mitgefühls für die verständlichen Sorgen der verunsicherten Eingeborenen direkt zum Kern des Pudels vordrang - nämlich dem seit den späten Siebzigern des letzten Jahrhunderts bis an den Rand der Non-Existenz ausgehöhlten britischen Arbeitsrecht, das Agentur-Arbeit und infolgedessen Lohndumping geradezu ermuntert.
So, und heute hab ich mit meinem Freund Richard telefoniert, den alle in seinem Bekanntenkreis als Red Richard kennen, und ihn sicherheitshalber gefragt, wen er gewählt hätte, wenn er nicht aus der Labour Party ausgetreten wäre (wenn schon ein unheilbarer Loyalist wie Richard austritt, dachte ich mir, wer bleibt dann überhaupt noch übrig?).
„Wovon sprichst du,“ sagte er, „ich bin wieder eingetreten!“ Und wem zuliebe? „Ed Miliband natürlich.“ Sag ich ja.