Erstellt am: 26. 7. 2010 - 16:00 Uhr
"Die meisten bekommen gar nichts mit"
20 Tote und über 500 Verletzte, das sind die erschütternden Zahlen der Tragödie bei der Loveparade, die vergangenen Samstag am alten Güterbahnhof von Duisburg stattgefunden hat. Die Veranstalter, das Team rund um McFit-Gründer Rainer Schaller, verkündeten, dass es aus Respekt vor den Opfern die letzte Loveparade gewesen sein soll. Vor Ort erinnern hunderte Kerzen, Blumen, Plüschtiere und Briefe nun an die dramatischen Ereignisse von Samstag. Und während die einen versuchen, das Erlebte zu verarbeiten, suchen die anderen nach den Verantwortlichen.
- Mehr Infos zur Massenpanik auf der Loveparade auf orf.at
- Loveparade ist Geschichte: Massenpanik, 19 Tote, hunderte Verletzte - aus Respekt vor den Opfern wird es keine Loveparade mehr geben.
Die Veranstalter und die Vertreter der Stadt verteidigen bislang ihr Sicherheitskonzept, auch wenn es bereits vor der Loveparade Kritikpunkte gegeben hätte: Die Fluchtwege seien nicht breit genug gewesen, auf Feuerwehrpläne hätten die Verantwortlichen verzichtet und das Areal wäre nur für etwa 350.000 Menschen zugelassen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung. Und immer wieder wird die Frage gestellt: Hätte man das Unglück verhindern können?
Wie entsteht eine Massenpanik? Was spielt sich dabei in den Köpfen der Betroffenen ab? Und wie reagieren Menschen in solchen Extremsituationen? Robert Zikmund hat in Connected mit dem Notfallpsychologen Professor Dr. Gernot Brauchle vom UMIT in Hall in Tirol gesprochen.

UMIT
Wie ist ein paar Tage nach dem Unglück bei der LoveParade ihr Resümee? Was ist da passiert, wen trifft die Schuld?
Das was hier passiert ist ist ein Effekt, dass einfach zuviele Leute in einem zu kleinen Raum waren. Panik entsteht, wenn viele Leute eine unmittelbare Gefahr wahrnehmen, sich die Flucht auf wenige oder einen Weg reduziert und - und das ist entscheidend und wird immer übersehen - die Kommunikation in der Situation kaum oder nicht möglich ist. Es war dort mit Sicherheit extrem laut, sodass Leute sich nicht verständigen konnten. Fällt dann jemand von oben herunter, und eine kleine Gruppe, von wahrscheinlich 20 bis 50 Leuten, versucht, den Personen auszuweichen, setzt sich die Masse und Bewegung und die pflanzt sich in dem engen Raum fort.
Jeder kennt wahrscheinlich Situationen, wo mehrere Menschen auf sehr engem Raum zusammenkommen, und Menschen dann nicht die optimalen Entscheidungen treffen. Was spielt sich da in den Köpfen der Betroffenen ab? Es gibt immer ein paar, die versuchen zu schlichten und eine kopflos wirkende Masse, die suboptimale Entscheidungen trifft. Wie erklären Sie die verschiedenen Verhaltensmuster?
Wenn man sich die Forschung anschaut, dann ist Massenpanik eher ein Mythos, so wie es in Hollywood und in den Köpfen der Menschen verankert ist. Es gibt ein paar wenige, die Angst haben und aus Angst instinktiv handeln - also versuchen wegzukommen, zu fliehen. Aus deren Sicht ist das eine vernünftige Handlung. Der größere Teil der Menschen hat sicher nicht in Panik gehandelt, die sind geschoben worden, die werden aber sicher nicht panisch.
Wie erleben Betroffene so etwas, wie hoch ist da der Stressfaktor, ist da wirklich Todesangst im Spiel?
Es gibt, wenn man so will, grob drei Gruppen: Die erste Gruppe, die von herabstürzenden Menschen oder Gegenständen bedroht und verletzt wird, diese Gruppe erlebt wirklich einfach Angst. Die zweite Gruppe, die dann geschoben wird, die wohl sieht, dass da was passiert, aber selbst nicht mehr handeln kann, weil sie einfach von der Menge geschoben wird, diese Gruppe erlebt Hilflosigkeit. Und die dritte Gruppe, die weiß gar nichts, das ist die größte Gruppe, die sieht nicht, was passiert, die bekommt eigentlich nichts mit. Die erfahren nur den Effekt, dass plötzlich eine Menschenmenge vor ihnen zurückdrückt und sie dazu zwingt, auch einen Richtungswechsel vorzunehmen.
Haben die Ordner oder die Einsatzkräfte des Veranstalters, wenn sowas passiert, dann überhaupt noch eine Chance zu deeskalieren? Gibt es da noch Eingriffsmöglichkeiten, ohne die Panik zu verschlimmern?
Wenn man den Raum nicht aufmachen kann, kaum. Bei der Tragödie von Berg Isel zum Beispiel, da gab es keine Massenpanik, da hat ein Polizist versucht, die Menschenmenge aufzuhalten und hat auch einen Warnschuss abgegeben, der aber aufgrund des enormen Lärms kaum wahrgenommen wurde. Die Leute, die eher ein paar Meter weiter hinten stehen, hören dann ja nur einen lauten Knall und wissen nicht, was das bedeuten soll. Die Ordner auf der Loveparade selber hatten kaum Möglichkeiten solche Mengen zu leiten - außer sie können einen weiteren Fluchtweg aufmachen. Das war in dem Fall nicht möglich.
Das heißt das Wichtigste ist, im Vorfeld solche Nadelöhre zu vermeiden und Raum zu schaffen?
Laut Medienberichten gab es ja solche Überlegungen, mehrere Zufahrtsmöglichkeiten und Zustrommöglichkeiten zu schaffen, das war nur auf diesem Gelände anscheinend nicht möglich - wäre aber natürlich ideal gewesen.