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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

2. 7. 2010 - 10:25

War es wirklich genug?

Tausende Menschen haben gestern unter dem Motto „Genug ist genug!“ für ein humanitäres Bleiberecht für die Familie Zogaj und eine menschenwürdige Asylpolitik demonstriert.

Was als Großdemonstration angekündigt war, war keine Demonstration im klassischen Sinn. Zu sagen, es habe sich nichts bewegt, wäre falsch. Nur viel war es auch nicht.

Die Polizei spricht von 7.000 TeilnehmerInnen.

Das soll die Leistung des OrganisatorInnenteams rund um Autor und Journalist Robert Misik nicht herunterspielen. Sie haben es geschafft, innerhalb einer Woche - laut eigenen Angaben – zwischen 14.000 bis 20.000 Menschen zu mobilisieren, die mit Pfeifen und Transparenten, zwar nicht wie angekündigt den Heldenplatz, immerhin aber den kleineren Ballhausplatz daneben gefüllt haben.

Demonstranten am Ballhausplatz

APA/GEORG HOCHMUTH

Unterstützt wurde die Demonstration von Organisationen wie
SOS-Mitmensch, Grüne, SJ, ÖH, ÖGB und vielen anderen.

Gesprochen haben:
Barbara Blaha, Pfarrer Josef Friedl, Araba Evelyn Johnston-Arthur, Terezija Stoisits, Willi Resetarits, Rudolf Scholten, Robert Misik und Elfriede Jelinek in der Tonspur einer Videobotschaft.

Gesetz, Gnade und Vernunft

Und sie haben SprecherInnen auf die Bühne gestellt, die wirklich genug haben. Die emotionalsten Ansprachen hielten Ex-ÖH-Vorsitzende Barbara Blaha und Pfarrer Josef Friedl, bei dem Arigona Zogaj im Herbst 2007 untergetaucht war, um ihrer Abschiebung zu entgehen.

Blaha griff, wie später auch Robert Misik, Innenministerin Fekter, die übrigens gestern ihr zweijähriges Amtsjubiläum feierte, scharf an. Sie wetterte gegen das geltende Asyl- und Fremdenrecht, mit dem Fekter und der Verfassungsgerichtshof die Ausweisung der Familie Zogaj legitimieren: „Gesetze sind die Regeln, die wir uns selbst geben. Und wenn die an der Menschlichkeit vorbei gehen, dann ändern wir sie eben!“ Ein Satz der so oder ähnlich an diesem Abend noch öfter gefallen ist.

Pfarrer Josef Friedl

APA/GEORG HOCHMUTH

Josef Friedl

Willi Resetarits zum Beispiel widerlegte die Gültigkeit der „Recht muss Recht bleiben“-Parole charmant, indem er daran erinnerte, dass das Asyl- und Fremdenrecht „eh net bleibt, weil es jedes Jahr verschärft wird“, und forderte außerdem ein eigenes Ressort für Diversität und Integration außerhalb des Innenministeriums, weil Zusammenleben keine Polizeisache sein dürfe.

Pfarrer Friedl, der neben den Zogajs auch andere Familien in ihren Bleiberechtsangelegenheiten unterstützt und dafür schon Morddrohungen erhalten hat, sprach als Geistlicher von Gnade. Ein Appell, den Ex-Minister Rudolf Scholten später durch „Gerechtigkeit und Vernunft“ wenn schon nicht ersetzen, so zumindest ergänzen wollte: „Tun Sie das Vernünftige, Frau Minister, es wird Ihnen danach besser gehen.“
Am Ende seiner Rede sagte Friedl jedenfalls mit gebrochener Stimme: „Ich werde Euch nicht vergessen.“ Zum Abschied, denn sobald die Zogajs ihre Angelegenheiten zur Ausreise geregelt haben, müssen sie zurück in den Kosovo.

Musikerin Gustav

Barbara Köppel

Gustav

Dramaturgisch nicht ungeschickt, gab es bereits zwischen den Ansprachen, und nicht erst danach, Musik von MC Fuchs, Gustav, Violetta Parisini und Ginga. Schriftsteller Doron Rabinovici und Philosophin Isolde Charim wiesen in ihren Moderationen fast mantraartig darauf hin, dass Arigona kein Einzelfall sei und erinnerten beispielsweise an Vincent und Cletus aus Nigeria, die vor acht Jahren nach Österreich gekommen waren, und Ende April 2010 während eines Fußballspiels des FC Sans Papiers festgenommen und anschließend abgeschoben wurden, und jetzt in einem Slum in Lagos leben.

Sie erzählen auch, dass Arigona Zogaj selbst nicht zur Demonstration kommen konnte, weil sie lieber mit ihren FreundInnen einen letzten Schulausflug in den Kletterpark machen wollte. Später allerdings hat sie die Demo via Livestream verfolgt und sich telefonisch bei den DemonstrantInnen bedankt.

Demonstranten am Ballhausplatz

Barbara Köppel

Beim Lichtermeer gegen Fremdenfeindlichkeit, zu dem 1993 mehr als 300.000 Menschen gekommen sind, folgten die erhofften Änderungen im Asyl- und Fremdenrecht nicht.

Zu all dem gab es Applaus, zustimmendes Pfeifen und Tröten. Doch vonseiten des - man muss fast sagen - Publikums hat man keinen einzigen Zwischenruf, keine einzige Parole gehört. Die Menschen sind dagestanden und haben zugehört. Das, obwohl sich Misik zu Beginn der Veranstaltung noch „ein unüberhörbares Signal“ an die Politik und an „die frustrierten Menschen, die sagen, dass eh nichts passiert“ erhofft hatte. Es ist zu befürchten, dass das Signal zu leise ausgefallen ist.
Denn nach etwa drei Stunden sind die Menschen zu den Klängen von Ginga in alle Richtungen auseinander gestoben, eher versunken in privates Murmeln als agitatorische Parolen skandierend.

Nur ein einziges vergleichsweise kleines Grüppchen hat seine Stimme nach dem Ende der offiziellen Kundgebung noch einmal erhoben. Ausgehend vom Reiterdenkmal hat sich ein lockerer Demonstrationszug um den Ring in Bewegung gesetzt. Mit Polizeieskorte vorn und hinten so lang wie das Burgtheater, geschätzte 150 Leute, und leider auch nicht besonders laut.