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Michael Fiedler

Politik und Spiele, Kultur und Gegenöffentlichkeit.

1. 7. 2010 - 15:19

"Der Aufstand der Anständigen"

Donnerstag Abend wird auf dem Wiener Heldenplatz für den Verbleib von Arigona Zogaj in Österreich demonstriert. Demo-Mitorganisator Robert Misik im Gespräch.

Es ist eine breite Menge an prominenten Österreicherinnen und Österreichern, die sich für den Verbleib der "zur unverzüglichen Ausreise" aufgeforderten Arigona Zogaj einsetzen: Von Elfriede Jelinek bis Michael Köhlmeier, von Robert Palfrader bis Karl Markovitcs, von Andrea Maria Dusl bis Danielle Spera. Für sie alle ist die drohende Abschiebung der bekanntesten Asylwerberin Österreichs nur der letzte unter vielen Gründen, sich gegen die Asylpolitik aufzulehnen.

Sie können nicht verstehen, warum dieses Paradebeispiel gelungener Integration nicht in Österreich leben darf. Sie können mit den teils zynischen Aussagen österreichischer PolitikerInnen zum Fall gar nichts anfangen. Und sie wollen eine Änderung der in den vergangenen zehn Jahren immer wieder verschärften Asylgesetze.

Der Journalist, Blogger und Schriftsteller Robert Misik hat die heutige Kundgebung mitorganisiert. Im FM4-Interview begründet er die Symbolkraft des Falles Zogaj, sieht den Widerstand gegen die Asylpolitik selbst in der ÖVP, der Partei von Innenministerin Maria Fekter, wachsen, und ist sicher, dass der heutige Abend etwas verändern wird.

Sie sind einer der Hauptorganisatoren der heutigen Demo am Heldenplatz mit dem Titel „Genug ist genug“ ... Warum gerade jetzt? Die letzte Verschärfung des Asylgesetzes ist immerhin schon ein halbes Jahr in Kraft.

Robert Misik: Naja, wie soll ich sagen? Es gibt dann immer irgendwelche Punkte und es lässt sich dann auch schwer benennen, warum es genau diese Punkte sind, wo viele Leute das Gefühl haben „Jetzt reichts“ – ja? Also wenn sich gerade viele Punkte aufgestaut haben und alle sind schon so frustriert und keiner sagt mehr was, weil man ist das eh schon so gewohnt und man fügt sich quasi in so eine Gewohnheit, dass es alles immer schlimmer wird und keiner aufsteht, dann ist irgendwann wirklich ein Punkt erreicht, wo dann viele sagen „Aber, jetzt ist dann wirklich genug“ und mein Eindruck war und der Eindruck von vielen ist es - und die Resonanz gibt uns da recht – dass das so ein Punkt war. Es reicht zwar schon lang, aber jetzt reicht‘s wirklich.

Robert Misik

Robert Misik

Robert Misik

Selbst sehr engagierte Flüchtlingsberaterinnen sagen mir, irgendwann kommt der Moment, wo man sich eingestehen muss „Sorry, du hast keine Chance, du musst jetzt ausreisen, du musst jetzt gehen und ich lass dich auch gehen. Der Vater von Arigona Zogaj hat schon seit 2002 einen negativen Asylbescheid ...

Ja, wie auch immer. Arigona Zogaj ist ein 18-jähriges Mädchen, das quasi seit acht Jahren in Österreich lebt und sie ist eine Österreicherin. Sie ist hier verwurzelt, das ist ihre Heimat und nicht der Kosovo. Es gilt für ihre Geschwister auch. Natürlich gibt es keine Verfolgungshandlungen in dem Sinn mehr im Kosovo, die einen Flüchtlingsstatus oder einen Asylstatus rechtfertigen würden. Aber im Jahr 2002, der Krieg war knapp vorbei, die ethnischen Spannungen gab es noch, da gab es diese Gründe sehr wohl, da muss man natürlich auch dem Rechnung tragen. Da hilft der Buchstabe des Gesetzes nicht. Es verändern sich zwar die Verhältnisse in den Ländern, aus denen diese Leute kommen. Aber es verändern sich auch die Leute, wenn sie mal geflohen sind und jetzt gehören sie hierher. Man soll nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Aber das wäre genauso, wie wenn man österreichische Juden, oder was auch immer, die 1938 in die USA geflohen sind und dann dort 10 Jahre gelebt haben, da hat auch keiner mehr im Jahr 1948 gesagt: „Wir schicken die zu tausenden in Booten zurück.“ Die USA haben gesagt: „Das sind jetzt Amerikaner. Das ist doch selbstverständlich.“ Und wir haben auch nicht alle Ungarnflüchtlinge, die 1956 zu uns gekommen sind, im Jahr 1989 zurück geschickt. Obwohl sich in Ungarn die Verhältnisse geändert haben. Dem muss man halt einfach auch Rechnung tragen.

Trotzdem ist es verwunderlich, warum gerade die Familie Zogaj und Arigona Zogaj als Person so im Brennpunkt der Öffentlichkeit stehen, wenn man bedenkt, dass die Lage in Tschetschenien oder in vielen Teilen Afrikas wesentlich schlimmer ist als im Kosovo, der jetzt politisch mittlerweile relativ stabil ist.

Naja, erstens mal, wir leben in einer medialen Öffentlichkeit und in einer medialen Öffentlichkeit konzentriert es sich immer um symbolische Figuren, zumal es ja auch Gründe gibt, warum es sich um die konzentriert. Arigona Zogaj ist ja mit 15 oder so, untergetaucht, wie man sie von der Schule abholen wollte, um sie außer Landes zu schaffen, quasi in Handschellen und hat gesagt: „Ich geh nicht“ und hat das noch dazu im breitesten oberösterreichischen Dialekt gesagt, sodass jeder weiß, „Ja, die gehört wirklich zu uns.“ Sie hat das nicht einfach hingenommen. Viele nehmen es einfach hin oder haben auch keine Chance, aufzustehen, aber sie ist aufgestanden und hat gesagt: „Nein, ich füge mich dem nicht. Ich kämpfe um mein Recht, hierzubleiben.“ Ich glaube, dass man an solchen Beispielen, an solchen Fällen ganz deutlich machen kann, wie absurd diese Abschiebepraxis ist.

Wie stellen Sie sich und die Plattform „Genug ist genug“ ein österr. Asylgesetz im Idealfall vor?

Erstens mal geht es nicht nur um Gesetze. Es geht ja dann auch um den Vollzug der Gesetze. Natürlich sind die Zogajs, und viele die das betrifft, gar kein Fall mehr fürs Asylgesetz. Das sind Fälle für das Bleiberecht. Und die restriktive Asylgesetzgebung führt auch in jenen Fällen, wo es tatsächlich Asylgründe gibt, immer mehr zu absurden Folgen. Also wenn die Leute, die Asylanträge stellen, so schwindlige Asylanträge stellen würden, wie der Asylgerichtshof an Gutachten benützt, dann hätten die überhaupt keine Chance.

Heute Abend gibt es die Demonstration am Heldenplatz, prominente Rednerinnen und Redner. Es werden Bands auftreten. Wie viele Menschen erwarten Sie denn?

Wir haben das vergangenen Mittwoch relativ spontan aus einer Wut im Bauch heraus beschlossen zu machen. Das ist eine relativ kurze Vorbereitungszeit. Lichtermeer mit 350.000 Menschen oder die Demonstration gegen Schwarz-Blau am 19 Februar 2000, also sowas werden wir nicht schaffen. Deswegen sagen wir, alles was fünfstellig ist, ist natürlich ein Erfolg. Jetzt ist natürlich 10.000 auch schon fünfstellig und 90.000 auch fünfstellig. Also – wir lassen uns überraschen.

Was kann denn die heutige Kundgebung bewirken?

Ich glaube, sie kann relativ viel bewirken. Man sah ja in diesen letzten fünf Tagen, wo wir für viele Leute eine Schleuse geöffnet haben, dass jetzt wirklich wieder etwas geschieht und dass man aufstehen kann und ned dauernd frustriert und verärgert die Zeitung weghauen muss und ansonsten nichts tut. Dass ganz viele Leute uns zugesprochen haben. Auch aus dem politischen und medialen Bereich. Das muss man auch dazu sagen. Ich glaub sogar, dass es so etwas , wie einen, wenn auch stillen, Aufstand der Anständigen innerhalb der ÖVP gibt, die es ja auch nicht mehr es gewagt haben, ihrer Innenministerin zu widersprechen. Und sei es bloß, weil sie die dann eine Dreiviertelstunde niedergemäht hätte mit ihrer Kampfrede. Und wer würde sich schon gern eine Dreiviertelstunde die Schottermitzi anhören? Also ich gehe im Grunde genommen davon aus, dass die Familie Zogaj mithilfe von ganz vielen Leute, die jetzt ihre Stimme erhoben haben, eine Zukunft in Österreich haben wird. Und es geht auch ein bisschen drum, ein Meinungsklima zu verändern, das dann auch den anderen, den künftigen Arigonas, zum Vorteil wird.

Zum Anhören

Das Interview mit Robert Misik gibt es hier auch zum Anhören und als Download.

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