Erstellt am: 27. 6. 2010 - 10:53 Uhr
Peace and Riots

Thomas Gegenhuber
Thomas Gegenhuber studiert Wirtschaftwissenschaften und Sozialwirtschaft an der JKU Linz und absolviert derzeit ein Auslandsjahr in Toronto. Als langjähriger politischer Aktivist nimmt er an den friedlichen Protesten zum G20-Gipfel teil.
Mittags mache ich mich zum dem Treffen der studentischen Protestbewegung auf. Es regnet in Strömen. Ohne Schirm braucht man heute nicht demonstrieren. Die erste Nagelprobe für eine Protestbewegung: Wie wetterfest sind die DemonstrantInnen? Ich komme beim Treffpunkt für die Studierenden an. Rund 300 Studis haben sich hier versammelt. Die Botschaft auf den Transparenten ist klar: Bildung soll in der öffentlichen Hand bleiben und die DemonstrantInnen kritisieren, dass Kanadas Studierende bereits 13,5 Milliarden Dollar Schulden aufgrund von Studiengebühren haben. Daher fordern sie, was in Österreich bereits Realität ist: Abschaffung der Studiengebühren. Der Protestzug marschiert durch den Campus der „University of Toronto“ und skandiert: „Whose Campus, our Campus“. Schließlich kommen wir in Queens Park, dem zentralen Treffpunkt der Großdemonstration an.

Thomas Gegenhuber
„It were not the workers who caused this crisis“
Die Demonstration in Queens Park findet unter der Schirmherrschaft der Dachorganisation der Gewerkschaften Ontarios statt. Abertausende haben sich hier versammelt. Die Protestbewegung hat die Probe bestanden. „Ich bin froh, dass trotz Regen so viele gekommen sind, “ erzählt eine Gewerkschafterin.
Wie von Demonstrationen aus Österreich gewohnt, finden zu Beginn Reden statt. Eine Botschaft zieht sich durch: Die meisten Regierungen haben mit Steuergeldern das Finanzsystem gerettet. Einige Regierungen denken laut über Sparmaßnahmen aufgrund von angespannten öffentlichen Finanzen nach. Es ist ungerecht, wenn die BürgerInnen für die Fehler ihrer Finanz-Eliten gerade stehen müssen. Jene, die dieses Schlamassel verursacht haben, sollen es auch ausbaden. Ein geschlossener Ruf nach Umverteilung also. Die Forderungen: Einführung der sogenannten „Robin Hood“ Tax, Regulierung des Finanzsystems und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Liana Salvador, Vertreterin der Studierenden, ist als letzte Rednerin an der Reihe. Der Schluss ihrer Rede: „Dieser Protest ist Demokratieunterricht. In diesem Sinne: Willkommen zur ersten Unterrichtsstunde. Unser heutiges Thema: Protest. Wisst ihr warum diese Stunde so toll ist: Sie ist frei zugänglich!“ Das Publikum applaudiert. Der Protestzug setzt sich langsam in Bewegung.
Warum protestieren?

Thomas Gegenhuber
Ich nütze die Zeit, um mit den DemonstrantInnen zu reden. Ich möchte mehr über ihre Beweggründe erfahren hier zu protestieren. Liana meint, „die G20 sind ein undemokratischer Club, der hinter verschlossenen Türen Entscheidungen trifft. Wir protestieren hier um uns gehör zu schaffen“. Alex, eine Gewerkschafterin, macht sich für Themen ,die gewöhnliche ArbeiterInnen betreffen - wie zum Beispiel Armutsgefährdung - stark. Ein Stahlarbeiter macht seinem Ärger Luft: „Die Märkte bestimmen die Politik. Niemand stoppt die grenzenlose Gier der multinationalen Konzerne.“
Einige demonstrieren für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Wie gestern berichtet, ist die Polizei in Toronto mit Rechten ausgestattet, die eindeutig die Grundrechte der BürgerInnen einschränken. Ein Aktivist von „Amnesty International“ trägt ein Schild: „Peaceful Protest is a right.“
Ich führe noch Gespräche mit weiteren DemonstrantInnen. Ihre Beweggründe sind zu vielfältig, um sie hier zusammenzufassen. Manche setzten auf kreativen Protest. Die Gruppe „Rythms of Resistance“ sorgt für die passenden Vibes beim Protestmarsch. Dazwischen ist der Spruch „The people united, will never be defeated“ zu hören. Ein Klassiker unter den Demosprüchen. Kurios ist ein junger Mann, der in einem Anzug vor der Polizei steht. Auf seinem Schild ist zu lesen: „Everything is O.K.“ Ich frage ihn: Warum ist alles O.K? Er antwortet mir: „Ich bin weiß, bin ein Mann und habe Geld.“ Er kritisiert also die ungleiche Verteilung von Macht in der Gesellschaft.
Eine Spur der Verwüstung

Thomas Gegenhuber
An der ersten Kreuzung, wo sich die Demonstration nach Westen bewegen soll, balanciert ein halbnackter Mann auf einer Statue. Er bekommt mehr Aufmerksamkeit von den MedienvertreterInnen als der Protestzug. Die meisten DemonstrantInnen marschieren nun auf der Queen Street in Richtung Westen. Es kommt immer wieder zu Verzögerungen, da sich Menschentrauben rund um die Abwehrlinie der Polizei bilden. Ich komme mit Mike, einem Organisator der Demonstration ins Gespräch. Ich frage ihn: Woran er den Erfolg dieser Demo misst? „Dieser Protest ist erfolgreich, wenn keiner verletzt wird und es ruhig bleibt.“ Mike ist überzeugt, dass friedliche Proteste eine nachhaltigere Botschaft vermitteln. Wenn es nach diesem Maßstab geht, waren die Proteste ein Misserfolg.

Thomas Gegenhuber
Ich befinde mich nun am Ende des Protestzugs und komme an der Kreuzung Queen und Spadina an. Der schwarze Block hat sich hier versammelt. Als die letzten DemonstrantInnen der friedlichen Proteste ihren Weg nach Norden einschlagen, stürmt der Schwarze Block zu Hunderten geschlossen zurück in den Osten der Stadt. Die Stimmung ist aufgeheizt und aggressiv. Uns packt die Neugier. Wir machen uns in Richtung Osten auf, um uns ein Bild zu machen. Eingeschlagene Schaufenster von Starbucks-Filialen, Banken und anderen Großunternehmen prägen das Stadtbild. Aber auch einige kleine Geschäfte kommen nicht ungeschoren davon. An einer Kreuzung wurden zwei Polizeiautos in Brand gesteckt. Die Sicherheitskräfte versuchen die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Wie man später in den Medien nachlesen wird, kommt es später zur unangemessenen Gewaltanwendung seitens der Polizei gegenüber friedlichen DemonstrantInnen.

Thomas Gegenhuber
Die Sicherheitskräfte haben angenommen, dass sich der schwarze Block in Richtung Sicherheitszäune bewegen wird. Doch das Gegenteil ist passiert: Der wütende Mob hinterlässt eine Spur der Verwüstung in der halben Innenstadt. Die Vorbereitung von HMV, die Schaufenster mit Holzplatten zu verbarrikadieren, waren also nicht überzogen. Ich rede mit der Eigentümerin von einem kleinem Geschäft, deren Schaufenster eingeschlagen sind. Sie ist stinksauer: „Bei all diesem Unsummen die für die Sicherheit ausgegebenwurden, hat keiner den
Schutz lokaler Geschäfte bedacht.“
Die gewaltsamen Proteste einiger weniger liefern spektakuläre Bilder für die Medien ab. Die AnarchistInnen spielen damit jenen Interessensgruppen in die Hände, die mehr Rechte für die Polizei fordern und die hohen Sicherheitskosten für gerechtfertigt handeln. Der Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit ist in den Rauchschwaden der brennenden Polizeiautos leider kaum noch sichtbar.