Erstellt am: 27. 6. 2010 - 15:00 Uhr
Kleine Gesprächs-Fibel (3)
Treffen sich Menschen, gehen sie also auf ein Bier (drei Bier) oder ein Achtel Wein (Flasche), sprechen sie heute Wirres, morgen Erschreckendes, manchmal gar Weises und Schönes aus.
Meistens reden sie aber gleich daher wie sonst auch.
Nach kurzer, konzentrierter Rekapitulation stellt man schnell fest, dass man sich an erstaunlich wenige‚ gute Gespräche’ in den frisch verstrichenen Wochen der persönlichen Vergangenheit erinnern kann. Ab und zu kommt es schon vor, dass zwei Menschen so mir nichts, dir nichts, ganz smooth und easy-cheesy ohne Moderationsbemühungen oder youtube-Videos ein Thema finden, das sie interessiert.
Beide sind kompetent und befruchten einander mit knusprigen Gedanken und würdigen Ansichten. Plötzlich ist es fünf Uhr früh, die Lerchen stimmen ihren Morgen-Chanson an und die flotten Gesprächspartner umarmen sich bei einem guten Glas. Das Glas ist gut, aber leer, das bemerken die beiden jetzt, sie haben es so nebenbei ausgetrunken, das ist ihnen gar nicht aufgefallen, die ganze Flasche ist leer, na sapperlot. Der Strom ist ausgefallen und vom Himmel regnet es Frösche. Auch das bemerken sie nicht, weil der nächtliche Talk von so beachtlicher Brillanz war.
Kommt aber eher selten vor.

marc carnal
Meistens trifft man sich mit irgendwelchen Kollegen in irgendwelchen Lokalen und redet dementsprechend auch irgendwas. Natürlich nicht nur über das Wetter. Trotzdem meistens das gleiche. Da wäre mal der ganze Privatsenf. Chris hat mit Claudia, die will jetzt ausziehen und Hartwig ist ein anderer Mensch, seit er sich das Jochbein gebrochen hat und auf alternative Medizin schwört.
Krankheiten gehen ohnehin immer gut. Wer das Evergreen-Klischee nachbetet, demzufolge sich vornehmlich Greise über körperliche Defizite unterhalten, beobachtet schlecht. Was in ‚studentischen’ Kreisen über medizinische Bagatellen geplaudert wird, kann erschrecken. Kieser Training, Zwangsdiät, exotische Zahnfüllungen, Hospitalanekdoten – Mit abnehmendem Alter scheint das Fachwissen und –interesse an Krankheit und Tod zuzunehmen. Ich verschweige mittlerweile viele meiner eigenen Gebrechen, um nicht noch mehr empfohlen zu bekommen. Vor allem immer: Alternative Heilmethoden aus China.
Eben hat mich aus der Redaktion telefonisch der Befehl ereilt, zu diesem Thema einen Witz zu erfinden. Ich würde es nicht wagen, mich zu widersetzen.
Kommt ein Chinese zum Arzt.
“Herr Doktor, Herr Doktor, mir geht es so schlecht!“
Da sagt der Chinesenarzt:
“Sie sollten es mal mit alternativen Heilmethoden probieren. Hier, lecker Antibiotika!“
Ich habe mir kürzlich die Wirbelsäule gestaucht und deshalb einige Zeit Schmerzen, wenn ich herzhaft lachen musste. Wenn es Leser mit einem ähnlichen Leiden gibt, möchte ich mich entschuldigen, wenn ich ihnen durch meinen Jokus wehgetan habe. Einen Ratschlag habe ich nicht. Schmerzmittel sollen aber wahre Wunder bewirken. Für weitere Empfehlungen mögen Sie Ihre Trinkfreunde konsultieren.
Wenn Sie genug empfohlen bekommen haben, können Sie die restlichen Plauder-Classics absolvieren. Da wäre noch die Popkultur. Viele Menschen erzählen sich gerne stundenlang, welchen Film oder welche Musik sie gut finden. „Den fand ich nicht so gut, aber sein neuer soll ziemlich gut sein.“
_body.jpg)
marc carnal
In den letzten Jahren kommt es zudem vermehrt vor, dass Internet-Inhalte einen wesentlichen Teil des Plauderns einnehmen. Dabei geht es aber auch meist wieder nur um Persönliches („Auf Facebook hat sie ja geschrieben…“) oder um Popkultur („Das Video ist grenzgenial…“).
Der dritte Teil unserer kleinen Gesprächsfibel führt uns heute in ein Bierlokal, in dem einer Runde, bestehend aus Arbeitskollegen und Mitgeschleppten, zur Geisterstunde langsam öde zumute wird. Der Privat-Gossip wurde hinreichend erörtert, aktuelle Kinoproduktionen mit Spontanrezensionen bedacht und tagespolitische Themen behandelte man mit ähnlichem Tiefgang wie die Großwetterlage.
Da die letzten öffentlichen Verkehrsmittel noch zu erreichen wären, überlegen Gerry und Amelie, dann mal zu zahlen. Anna kann zwar morgen ausschlafen, ist aber irgendwie nicht so gut drauf und Martin hat schon seit zehn Minuten nichts mehr gesagt. Um den Abend zur Nacht werden zu lassen, ihn also halbwegs zu retten, greifen wir also zum Notfallsplan und würzen die träge Runde folgendermaßen:
Kleine Gesprächs-Fibel
1. Vorgetäuschte Beflissenheit in Kunst und Kultur
2. Mama
3. Knusprigmachung von trägen Runden
- Käuflichkeit
Gestehen Sie, käuflich zu sein und nennen Sie Ihre Honorarvorstellungen für Todesmutige Sprünge oder sexuelle Dienstleistungen. Die Runde wird entsetzt sein bzw. entsetzt tun. Gießen Sie Öl ins neu entflammende Gesprächsfeuer, indem Sie sich bereit erklären, für fünftausend Euro mit einem alten Baumeister (Name der Redaktion bekannt) zu verkehren. Die folgende Debatte wird trotz unzähliger Einschränkungen und Beteuerungen ergeben, dass natürlich alle Anwesenden ab einem gewissen Betrag (Höhe der Redaktion bekannt) ihre moralischen Prinzipien aufgeben.
- Wasser marsch
Schalten Sie einen Gang runter, indem Sie anregen, reihum zu berichten, wer wann wie bereits in die Hose geschissen hat. Machen Sie den Anfang und sägen Sie mit einer besonders unangenehmen Anekdote am Fundament der vorherrschenden Hemmungen. Spätestens in der dritten Runde werden die wirklich harten Storys ausgepackt.
Bei dieser schon mehrmals erprobten Methode konnte ich bisher übrigens bezüglich Offenheit keinen Geschlechterunterschied ausmachen. Eine mir sehr nahe stehende Person offenbarte, schon einmal auf eine Ente gekotzt zu haben. Ein anderer Freund verlor in einem vollen Aufzug die Kontenance und fast noch mehr, hätte er nicht die Hosenbeine in die Schuhe gestopft. Derlei Fäkalgeschichten schaffen nach anfänglicher Überwindung Amüsement und Vertrautheit.
Beben die Anwesenden nach der Aufwärmrunde noch immer nicht, fahren Sie einfach mit weiteren garantieren Diskussions-Gassenhauern fort:
- Pädophilie ist weder krank noch falsch, sondern nur deren Ausübung. Im Notfall jedes Gegenargument auf Homosexualität umlegen und es so als schwachsinnig demaskieren.
- Das Internet wird auch wieder verschwinden. Stimmt zwar nicht, aber egal.
- Die meisten Politiker sind fleißige, redliche und ehrliche Menschen. Stimmt wahrscheinlich schon, Widerspruch ist garantiert.
- Telemax von der Kronen Zeitung schreibt hundertmal bessere Literatur als Jelinek, Streeruwitz und Glattauer zusammen. Stimmt auf jeden Fall.
- Lügen sind nur verwerflich, wenn sie schlecht sind.
- Alternativ wirken wollen nur jene, die es nicht sind. Wer es wirklich ist, muss es nicht zeigen.
- Unterschiede zwischen Männern und Frauen aufzählen, die noch nicht von deutschen Comedians breitgetreten wurden. Zum Beispiel: Frauen zupfen kleine Stücke von ihren Jausenbroten, Männer beißen hinein. Oder: Frauen sagen ‚Pipibox’, Männer kaum.
Wenn dann immer noch nichts geht, müssen Sie sich bessere Freunde suchen.