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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

8. 6. 2010 - 12:45

Heroes

Die verdrängten Wunden in meiner Krieg führenden Wahlheimat. Ohne Bilder.

Gestern auf dem Flug zurück nach London, hinten in der allerletzten Reihe. Wir waren schon gelandet, hinter mir unterhielten sich die Stewardessen über die Kundschaft.

A: „Wer hat eigentlich die Aufsicht über diese Kids?“

B: „Hab ich mich auch gefragt. Sieht mir nach Schüleraustausch aus.“

A: „Sie kommen ziemlich schnell in Bewegung. Halbwegs schnell.“

B: „Hast du den Rollstuhlfahrer vorhin mitgekriegt? Hat sein Bein über drei Sitze ausgestreckt, und der Fuß steht immer noch vor. Ich bin mit dem Büffetwagen kaum vorbeigekommen. Es gibt doch immer was, das unser Leben noch ein bisschen unangenehmer macht. Und dann entschuldige ich mich auch noch, als ich fast über ihn drüberflieg, und er entschuldigt sich nicht einmal zurück. Dabei wär ich fast auf meinem Rücken gelandet. Ich hätte mich ernsthaft verletzen können.“

A: „Ja ja.“

B: „Andererseits: Das arme Schwein. Ich meine, ich weiß nicht, was ich machen würde, wenn mein Bruder das nächste Mal in dem Zustand nach Hause kommt.“

A: „Wo ist er denn gerade?“

B: „Afghanistan. Zwei Wochen noch.“

A: „Oh, du liebe Güte, das ist ja so mutig. Kann man sich kaum vorstellen. Für dich muss das ja auch sehr beunruhigend sein.“

B: „Und für Mama. Und seine Frau. Aber die kriegt's am stärksten zu spüren, wenn er wieder zu Hause ist. In der Nacht träumt er, dass er angegriffen wird, und dann schlägt er um sich. Sie kriegt dabei einiges ab, obwohl er natürlich nicht sie treffen will, sondern die Person in dem Traum. Deswegen muss er dann auch immer in psychiatrische Behandlung.“

A: „Ja, klar. Oh well...

Zwei Stunden später, wir kommen zu Hause an. Der feuchte Frühling hat den Garten in einen Urwald voller süßlich würziger Gerüche verwandelt. Hinter dem Briefschlitz liegt ein Haufen Post der vergangenen Woche, darunter auch die Gratis-Lokalzeitung mit allerlei leicht verdaulichen Pseudo-News drin, darunter das Porträt einer jungen Frau aus der Gegend, mit kirschrot geschminktem Mund.

Sie hat sich für einen Pin-Up-Kalender ablichten lassen, um Geld für die Wohltätigkeitsorganisation "Help for Heroes" zu sammeln, die sich um verwundete Soldaten kümmert. Keine ungewöhnliche Sache, wie BesucherInnen jener Winkel des Internet, wo die Vierziger Jahre noch lebendig sind, bestätigen werden.

Wir drehen den Fernseher auf und sehen eine Kurzmeldung aus den Lokal-Nachrichten des BBC Newsroom Southeast: Ein abgerüsteter Minenentschärfungsspezialist der Territorial Army wurde verurteilt, nachdem er versucht hat, seine schwangere Frau durch eine selbstgebastelte Autobombe umzubringen.

Danach in der BBC Newsnight ein Report von Defence Correspondent Mark Urban über die Rückkehr eines Yorkshire-Regiments aus Afghanistan. Jubelnde Ehefrauen mit Kleinkindern im Arm. Eine trägt ein schwarzes Sweatshirt mit dem dem rosa Aufdruck: "Proud to be a hero's wife."

Ein Kind hat ein Transparent gemalt: „Welcome home, Daddy“. Konfetti fliegt durch die Luft, als die Soldaten aus dem Tor des Militärflughafens strömen. „I love you so much“, sagt eine Frau, während sie sich mit ihrem ganzen Körper an den steif und grinsend dastehenden Mann im Tarnanzug drückt. Der Kommentar dazu spricht vielsagend von den Bedürfnissen, die heimkommende Soldaten „seit Menschengedenken“ als erstes zu befriedigen hätten.

Geschlechterverhältnisse in einem Krieg führenden Land eben.

Dann ein Interview mit dem Chef der heimgekehrten Truppe, der „beinahe schon Scham“ dabei empfindet, dass ausgerechnet von seinen „Lads“ diesmal kein einziger gestorben ist, wo doch andere Regimenter so hohe Opferzahlen erlitten haben. Dass drei seiner Soldaten ohne Beine heimgekehrt sind, sagt der Kommentar, gilt in dieser Art von Alltag schon als geringer Preis.

Mehr als sieben Jahre nach dem Beginn der Irak- und Afghanistan-Feldzüge lässt sich noch immer kaum absehen, welche Narben dieser andauernde Krieg in der Bevölkerung hinterlassen wird. Gerade, weil diese Boys nicht bloß eine Vaterlandspflicht, sondern, wie jedesmal unermüdlich erwähnt wird, „einen professionellen Job“ erledigen, dem sie sich selbst verschrieben haben.

Wir dürfen sie bewundern, aber sie können niemand beschuldigen.

Und weiter zum Fußball.