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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

7. 6. 2010 - 06:12

"Lift Your Human Spirit Up"

Pianist, Komponist und Musikjournalist Jools Holland im Interview

Das Interview mit Jools Holland gibt's heute nachmittag in FM4 Connected (15-19 Uhr) zu hören.

Diese Woche spielt Jools Holland zum ersten Mal in Österreich. Zusammen mit den Sängerinnen Ruby Turner und Louise Mashall gibt der von der Queen geadelte, große britische Pianist, Komponist, Impresario und vielleicht - nach dem Tod John Peels - letzte integrative Musikjournalist der BBC zwei kleine Konzerte im intimen Rahmen in Wels und Wien. Im FM4 Interview spricht er über Musik, Realness und seine Liebe zu merkwürdigen Epochen der Geschichte.

Soll ich dich Sir nennen?

"Jools" reicht völlig.

Vielleicht bist du jetzt die berühmteste Person, die je in diesem Studio gestanden ist, (obwohl Nick Cave oder Patti Smith hier waren).

Ich bin niemals berühmter, als die beiden. Ich habe übrigens ein nettes Lied zusammen mit Sam Brown für Nick Cave geschrieben, das er auf unserem dritten "Friends With Jools Holland" Sampler als Duett mit Sam singt, toller Typ, der Mann...

Leute, die FM4 kennen, die Indie Musik kennen, kennen diese Leute natürlich - aber dich kennt, zumindest in England, jedes Kind - weil du nun schon so viele Jahre im Fernsehen auftrittst. Du bist meines Wissens auch die einzige Person weltweit, die nicht nur Musik im Fernsehen vorstellt, sondern mit all den Leuten auch gleich spielt.

Jools Holland

susi ondrusova/fm4

Jools Holland spielt mit seiner Band (mit dem Squeeze- Drummer Gilson Lavis) am 07. Juni im Sound Theatre in Wels und am 08. Juni in Wien im Reigen. Bei beiden Konzerten tritt die österreichische Sängerin Valerie Sajdik mit ihrem Trio im Vorprogramm auf, für das Wels- Konzert hat sich auch die Hamburger Piano Legende Axel Zwingenberger angekündigt.

Ich hatte wohl viel Glück. Ich beobachte die Menschen und spiele mit ihnen, ich habe den besten Job der Welt. Musik zu machen, ist schon ein Spaß an sich, ich hab' immer die Musik gespielt, die ich liebe und immer die geliebt, die ich spiele. Ich lerne Leute kennen, die ich schon für toll hielt und ich lerne auch dauernd neue tolle Leute kennen – einen besseren Job gibt es nicht.

Als ich deine Ankündigungen gelesen habe, musste ich immer an Charlie Watts denken: Da ist einer, der spielt mit berühmten Leuten, ist selber berühmt, hält sich aber als Hobby eine spezielle alte Musik, die er liebt,. In deinem Fall ist das wohl alte Piano Musik, Boogie, alter R'n'B, Bigband Jazz ...

Boogie Piano ist nur eine Facette von dem, was ich live mache, die anderen ist, Lieder zu spielen, die ich selber geschrieben habe. Ruby Turner, eine Mischung aus Mahalia Jackson und Patti Smith und Louise Marshall singen die jetzt für mich. Es gibt natürlich immer ein Boogie Element in meinen Songs, ich liebe Boogie, es ist eine Musik der Freude, die Rolling Stones machen auch Boogie Musik, das ist einfach ein großer Spass.

Als jemand, der so lange als alles Mögliche im Musikbusiness war, Musiker, Journalist, TV Presenter - bist du immer noch an neuer Musik interessiert?

Es gibt immer etwas Neues zu entdecken – manchmal ist neue Musik fünf Minuten alt, manchmal begegnet die etwas, was schon 500 Jahre alt ist – für dich ist es in diesem Moment neu. du hast da etwa Künstler, die du magst, und dann entdeckst du vielleicht etwas, was diese Künstler vor langer Zeit gemacht haben. Der Schlüssel ist, denke ich, dass etwas daran sein muss, was dich hoch bringt ("lifts your human spirit up"), was bewirkt, dass du dich besser fühlst, dich aufgeregt fühlst, was dich überhaupt zum Fühlen bringt. Deshalb ist Musik die größte Kunstform. Wenn du in eine Galerie oder ins Kino gehst, das ist toll, aber es bringt dich nicht unmittelbar zum Weinen, es berührt dich nicht körperlich. Musik hat einen direkten körperlichen Einfluss auf dich. Das ist auch das Geheimnis beim Spielen, die Musik, jede Note muss dich voll gefangen nehmen, und das tut sie.

In deiner Show hast du mit allen möglichen Leuten verschiedenste Musik gespielt, es sieht immer so leicht aus, als ob du dich einfach hinsetzt und drauflos spielst. Ist Popmusik für einen guten Instrumentalisten wie dich so einfach oder probst du vorher so viel?

Ich denke – und das ist auch ein Fehler der Musikindustrie, war es schon immer, dass sie soviel auf Unterschiede setzen: Die Leute würden diese oder jene Art von Musik nicht mögen, oder lieber mögen, oder nur mögen – die Leute haben aber einen viel breiteren Horizont und einen so viel interessanteren Geschmack in Fragen der Musik, als die Plattenfirmen ihnen zugestehen wollen. Die meisten Leute mögen vielerlei Art von Musik. Je mehr Musik sie kennenlernen, desto mehr mögen sie auch und sie setzen dabei auf Gemeinsamkeiten. Entweder musikalische Gemeinsamkeiten oder Gemeinsamkeiten im Effekt, den die Musik auf sie hat. Wenn ich spiele, sehe ich auch diese Gemeinsamkeiten und dann ist es nicht mehr schwierig – nein, ich sehe sie nicht, ich fühle sie, du musst fühlen – wenn du zu viel über Musik nachdenkst, hast du schon verloren.

Du unterstützt also das berühmte Duke Ellington Zitat, dass es nur zwei Arten von Musik gibt, "gute und schlechte"!?

Duke ist ein echter Guru. Seine Autobiografie "Music Is My Mistress" hab' ich einmal Paul Weller geschenkt, denn es ist so viel von Dukes Philosophie, die auf jede Musik zutrifft, die man machen möchte. Er sagt, dass es keine Regeln gibt, welche Akkorde, welche Beats man spielt, nie lassen sich Regeln festmachen, es lässt sich nicht wissenschaftlich erklären, die Leute versuchen zwar, es zu tun und bilden sich ein, dass das ginge, aber es geht nicht. Es bleibt ein rätselhaftes Moment übrig, und das ist auch, warum ich es liebe. Die Musik bringt immer wieder neue mysteriöse Facetten von Schönheit und Aufregung hervor, das macht sie so großartig.

Dieses rätselhafte Moment ist vielleicht auch dafür verantwortlich dafür, dass niemand einen Hit schreiben kann, wenn er es sich vornimmt...

Klar, das geht nicht. Leute, die einen Hit geschrieben haben, glauben zu wissen, wie es geht, dann versuchen sie es verzweifelt nochmal und es wird nichts. Der Schlüssel zur Musik ist auch die Einstellung, mit der sie gespielt oder geschrieben wird. Wenn du das liebst, was du tust und wenn du es mit den richtigen Absichten schreibst, kannst du große Kunst machen, die internationale Grenzen überschreitet - Ich mag aber auch Musik, die sich auf einen konkreten Ort bezieht, der man ihre Herkunft anhört – wieder: die erste Regel ist, es gibt keine Regel.

Weltweit gibt es ja sehr viele Leute, die ausgerechnet britische Musik herstellen wollen, egal ob sie aus Polen oder Österreich oder sonstwo kommen – britische Musik hat irgendwie immer noch die größte Anziehungskraft. Ist an ihr irgend etwas besonderes, daran, wie die Briten das machen?

Das lässt sich wohl aus der Zeit erklären. In den sechziger Jahren waren es einfach die Beatles, die die Tür für amerikanisch beeinflusste britische Musik weit geöffnet hatten. In den 20er Jahren war alles nur amerikanisch, in den 50er Jahren kam besonders tolle Musik etwa aus Jamaika, 1919 hatte der argentinische Tango die ganze Welt in Aufruhr versetzt. Die Dinge haben ihre verschiedenen Zeiten. Es passiert immer dasselbe, Leute hören etwas, und egal, ob sie in Österreich oder Polen sitzen, versuchen sie z.B. wie eine Britpop Band zu klingen – was dann rauskommt, kann dann besser als das Vorbild sein. Keith Richards sagt immer, er klinge wie Chuck Berry, aber das tut er nicht, er klingt wie Keith, und wir lieben das sogar noch mehr. Der eigene Sound ist da der Schlüssel: Anfangen mit der Absicht, wen zu imitieren – jeder muss das machen – und darin deine eigene Stimme finden.

Interessierst du dich für Musik aus den Randzonen der Popkultur?

Für mich hängt das nicht vom Ort ab. Ich selbst komme aus dem Südosten Londons – da, wo auch die Stones herkommen – aber ich bin nicht an Musik aus dem Südosten Londons interessiert, sondern an guter Musik. Ich mag die Zeit, als bestimmte Orte ihren bestimmten Sound hatten, wie New Orleans zum Beispiel, aber diese Zeit ist vorbei. Ich liebe nicht die Musik von Orten sondern von Leuten, Leuten mit großen Songs, egal, woher die stammen.

Vielleicht ist es dann diese "Persönlichkeit" in einem Lied, die den Hit ausmacht?

Was einen Hit ausmacht, ist wie gesagt ein Mysterium. Es gibt so viele Nummern, die Hits werden, die ich nicht gekauft hätte, und dann gibt es so viele Sachen, die niemand kauft, die ich für einen Hit gehalten hätte. Ich kann über mein Verhältnis zur Musik sprechen, aber was populäre Musik ausmacht, kann ich nicht sagen. Es ändert sich da auch dauernd was. Früher haben die Leute was im Radio gehört und sind die Platte kaufen gegangen, heute hören sie die Musik in Filmen oder in der Werbung oder was auch immer sie dazu bringt, Musik zu kaufen.

Zur Musikindustrie: vielleicht ist deine Generation ja die letzte (oder vielleicht vorletzte), die sich mit Musik ein richtiges Rockstarleben leisten konnte. Viel, viel Geld mit einem Hit verdienen und so. Die Hochzeit von Musik und Geld scheint jetzt ein bisschen vorbei zu sein. Siehst du das als Vorteil?

Naja, jede Band, die ihren ersten Hit hatte, hat daraus alleine nichts machen können. Es ist immer dasselbe, der Manager nimmt das Geld, irgendwas läuft immer schief, das ist eine Art Archetypus. Nicht mal zwei Hits sind genug, du brauchst mehr, und alles was man tun kann, um eine langfristige Karriere aufzubauen, ist, auf der Grundlage dieser Hits Konzerte zu spielen. Somit sind wir auf eine Situation zurückgeführt fast wie vor hundert Jahren, bevor es Radio oder Platten überhaupt gegeben hatte. Alles, was ein Musiker da tun konnte, war, live zu spielen und damit sein Geld zu verdienen. Es gibt immer noch Leute, die große Vermögen mit ihrer Musik anhäufen, aber es ist eindeutig schwerer geworden – ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, ich kann nur sagen: Musik war immer gut zu mir, ich kann mich nicht beschweren.

Die klassische Musikindustrie ist ja nicht mehr das, was sie mal war und MusikerInnen und Bands sind immer mehr gezwungen, sich selbst zu promoten und überhaupt alles selber zu machen ...

Wiederum: wir sind in einer Situation aus einer früheren Zeit. Bevor es Aufnahmen gab, und niemand Platten kaufen konnte – und das ist ein merkwürdiger Gedanke – hat es wahrscheinlich fantastische Musiker gegeben, die keine Musik aufschreiben konnten - etwas, was moderne Popmusiker auch so gut wie nie machen, ich übrigens auch nicht – Leute, die in Bars und Tavernen gespielt haben, von denen oder ihrer Musik niemals jemand was gehört hatte, weil sie zwar spielen, aber eben die Musik nicht aufschreiben konnten. Die einzig überlieferte Musik aus früherer Zeit ist die, die aufgeschrieben wurde, die für Hof oder Kirche gemacht wurde – klasse Sachen, Mozart, von Hoffmannsthal, versteh mich richtig – aber das war die einzige Musik der Zeit, die sich dann später auch aufnehmen ließ. Die meiste Musik dieser Zeit ist also verloren. Elvis, die Beatles, die ganzen fantastischen Sachen wären 100 Jahre zuvor nur denen wenigen bekannt gewesen, die sie auch wirklich physisch erlebt hätten. Jetzt geht das Ganze in diese Richtung zurück, mit dem Internet erreichen die meisten Bands auch kleine Mengen Leute.

In diesem Musikgeschäft hast du ziemlich alles erreicht: du bist berühmt, hast berühmte Musikerfreunde, hast schon mit fast allen gespielt. Gibt es noch wen mit dem du noch spielen möchtest?

Ich hatte das Glück, mit vielen Leuten zu spielen. Das beste daran ist, dass du selber immer besser wirst. Noch größer war das Glück , mit vielen dieser Leute auch zusammen schreiben zu dürfen, oder Lieder für sie schreiben zu dürfen. Nick Cave, Dionne Warwick, Shane MacGowan, Tom Jones – das ist fantastisch. Wie wenn du einen Film machst und dann richtig gute Schauspieler hast, die ihn zum Leben erwecken. Ich wollte immer mit Ray Charles arbeiten. Er hat mir einmal etwas gesagt, woraus Sam Brown und ich dann einen Song gemacht haben. Den hab ich ihm auch geschickt, und er wollte ihn machen, aber war dann zu schwach geworden und hat es nicht mehr geschafft. Ich hatte ihn gefragt: "Was soll auf deinem Grabstein stehen", und was er gesagt hatte, war: "Die Leute können meine Musik mögen oder sie nicht mögen, können mich mögen oder nicht, das ist alles egal, solange sie über mich sagen: Seine Musik, er, hat immer die Wahrheit gesagt." Darum geht’s doch, man muss echt bleiben, man muss meinen, was man spielt, spielen was man meint, davon handelte der Song. Leider hat er es nicht mehr geschafft.

Man liest, dass du ein großer Fan der Fernsehserie "The Prisoner" bist. Bist du überhaupt ein Freund der sechziger Jahre?

Ich bin ein neugieriger Historiker, aber ich mag viele Perioden. Ich stehe auch sehr auf das Mittelalter, ich liebe mittelalterliche Gebäude, ich hab' auch selber eines und wenn du eines hast, erhöht sich auch das Interesse für die Periode, das kommt von selber. Wenn du sagen wir einen Ford Focus besitzt, steigt plötzlich dein Interesse an Ford Focussen. Die Sixties sind natürlich eine tolle Zeit, auch die Fünfziger, aber wenn ich Gladiator sehe, möchte ich alles über Rom wissen, möchte ich ein Römer sein – ich bin sehr leicht reinziehbar in Epochen und vergangene Kulturen. Man kann sich mich so vorstellen: ich hab' eine 19. Jahrhundert-Perücke auf, Renaissance- Strümpfe, Schlaghosen aus den Sixties und dazu noch eine Glocke aus dem Mittelalter, die die Menschen daran erinnern soll, ihre Leichen rauszutragen.