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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

13. 5. 2010 - 10:42

Der letzte vergebliche Versuch der Popkultur

Schorsch Kamerun macht wieder Theater in Wien. Eine Rekapitulation der gestrigen Premiere.

Schorsch Kamerun inszeniert keine Theaterstücke. Eher improvisiert er Themenabende. Und wenn er kein Gitarrensolo spielen will, dann spielt er keins. Dafür dürfen ihn seine MitarbeiterInnen "Tuffi" nennen, einfach um das traditionelle Autoritätsgefüge am Theater zu unterminieren.

Aber von vorne: Schorsch Kamerun, seit mittlerweile 26 Jahren Sänger der Goldenen Zitronen und seit etwa zehn Jahren Theaterautor und –regisseur, weilt zur Zeit in Wien und wurde von Garage X, dem Theater am Petersplatz gebeten, etwas zum Schwerpunkt "Vorstadtglück/Lichterloh" zu machen. Etwas, das in die Richtung "Comeback bürgerlich-konservativer Werte in der jungen Generation" geht.

Schorsch Kamerun in der Garage X

Yasmina Haddad

Schorsch Kamerun "Antony-and-the-Johnsons-like"

Also hat sich Kamerun eine Klasse des Wiener Schauspielkonservatoriums geschnappt und zunächst zehn Tage lang Popakademie gespielt. Die gibt es übrigens wirklich. Auf der Popakademie in Mannheim unterrichten Dozenten wie Xavier Naidoo und in Marketing- und Businessmanagementkursen lernen die Studierenden, wie man subkulturelle Codes vereinnahmt und Images kauft und vermarktet. Denn wer glaubt noch, dass es der Popkultur rein um ein Lebensgefühl ginge, dass sie Ausdruck eines Dagegen sein könnte, anti Autorität, anti Staat oder antikapitalistisch? Als ob sich mit Kapitalismuskritik kein erfolgreiches Merchandising machen ließe!

Diese Diskrepanzen wurden aber allein im Probenprozess erörtert. Bei der Premiere blieben die SchauspielschülerInnen die meiste Zeit hinter einem transparenten Plastikvorhang, hielten Kiss-Makeup-bemalte Fratzen in die Live-Kamera oder fungierten als Backgroundtänzer. Erst gegen Ende sagten sie Sprüche auf wie:

Es ist erschreckend, wie oft ich die Gratiszeitung "Heute" lese, obwohl ich sie eigentlich hasse.

Oder sie zitierten die letzte Goldene-Zitronen-Platte "Die Entstehung der Nacht":

Ich halte brennende Autos für ein starkes Ausdrucksmittel, ich getraue mich aber nicht, eines anzuzünden, weil ich viele Freunde habe, die eine Beschädigung ihres Autos für einen Angriff auf ihre Persönlichkeit halten würden.

Das eigentliche Geschehen spielte sich um Schorsch Kamerun selbst ab. "Der letzte vergebliche Versuch der Popkultur" sollte herausfinden, welche Gesten des Widerstands noch glaubhaft sind – oder zumindest rocken. Zu diesem Zweck spielte Kamerun verschiedene Versionen seines alten Songs "Du hast das so gesagt" – zuerst punkig laut und nervig, dann emotional nach innen gekehrt, "Antony-and-the-Johnsons-like".

Beurteilt wurde das Experiment von einer eigens eingeladenen Expertentruppe. Falter-Kolumnistin Doris Knecht erschien als Richterin, Eva Jantschitsch aka Gustav als Kuratorin, Christian Schachinger vom Standard als Papst, Skug-Chefredakteur Didi Neidhart als Kapitän und FM4-Kollege David Pfister als "Die-Bullen-kann-man-auch-nicht-mehr-so-hassen-wie-früher"-Polizist.

Die Experten beurteilen Schorsch Kameruns Performance.

Yasmina Haddad

Schachinger, Pfister, Knecht, Neidhart, Gustav, Kamerun v.l.n.r.

Die antikapitalistische Geste mit dem 100-Euro-Schein als Gitarrenplektrum in der ersten Version erwies sich als etwas abgenutzt, und überhaupt bei dem Gedröhne könne doch niemand den Text verstehen, fand Doris Knecht, während Schachinger die Performance als "klassisches weißes Mittelstandsleid ohne Lösungsangebot" klassifizierte. Wesentlich mehr Anklang fand später die Techno-Version des Goldene-Zitronen-Tracks Positionen.

Gefachsimpelt wurde weiters über das Missverständnis als Kraft des Pop, die Sicherheit der Wiederholung (O-Ton Pfister: "Gefallen dir die musikalischen Gefäße, die du immer wieder befüllst?") und Gustav rezitierte eingedeutschte Scooter-Texte. Hyper, Hyper!

Das Gitarrensolo hat Kamerun danach endgültig abgeschrieben. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, die dem Pop noch bleibt, die totale Verweigerung. Denn wenn nichts stattfindet, kann nichts gebrandet und verkauft werden.