Erstellt am: 12. 5. 2010 - 02:39 Uhr
The big Lib con
I hate to say I told you so.
Sagt man, wenn man in Wahrheit seine eitle Freude an der eigenen Weitsicht hat.
Ergo, hallo, das schrieb ich vor bissel mehr als einem Monat: „In der vierten Unterhauswahl, die ich hier miterlebe, schleicht sich zum ersten Mal das Gefühl ein, dass es nach der Wahl mindestens so spannend zugehen könnte wie davor.“
War ja dann auch so. Nicht nur die vier Tage lang, die es gebraucht hat, aus einem für das britische „First past the post“-Wahlsystem ungewöhnlich unentschiedenen Ergebnis eine Koalitionsregierung zu schnitzen, sondern auch jetzt noch, wo man gespannt darauf warten darf, wie lange ebendiese neue Koalition wohl bis zu ihrer Selbstzerfleischung brauchen wird.
Zumal sich inzwischen bewahrheitet hat, was dann vor zwei Wochen hier zu lesen war:
„Zweitens gilt für LibDem-WählerInnen genauso wie für Arsenal-Fans damals wie heute der Grundsatz: They always disappoint. Wer davon ausgeht, wird sich nicht sonderlich wundern, falls Clegg am Ende bloß umfallen und den Königsmacher für David Cameron oder vielleicht sogar doch noch Gordon Brown spielen sollte.“
Oh je, da wär ich jetzt in meinen prognostischen Fähigkeiten so viel schlauer dagestanden, wenn ich mir bloß die "oder vielleicht sogar doch noch"-Sicherheitsoption verkniffen hätte.

Robert Rotifer
Dass sich Clegg mit seinem Programm, das Labour auf allen Linien links überholt hatte, gar so leicht und einstimmig von den Konservativen einkochen lassen würde, schien eben selbst für einen Schönwetterradikalen wie ihn noch einen Deut zu wahnwitzig.
Wäre da nicht der Druck der von den Medien geschürten, panischen Angst vor dem Verstören der Befindlichkeiten launischer Finanzmärkte, deren Verlangen nach einer stabilen Regierung hier und jetzt offenbar allen politischen Prinzipien voranzustellen ist.
"A new kind of government"?
Gerade in diesem Moment seh ich im Fernsehen die Lib Dems aus der Parteizentrale defilieren und den Aufbruch zu einem „new kind of government“ rühmen. Angeblich haben sie im Koalitionsabkommen einiges aus David Camerons Verhandlungsteam rausgeholt.
Wirklich?
Eine europafreundliche Partei, die nun mit dem Tory William Hague einen Foreign Secretary (Außenminister) mittragen müssen wird, dem im Europa-Parlament noch die Europäische Volkspartei zu links war und der sich stattdessen lieber mit ultrarechten Letten und Polen zusammentat?
Eine Lib Dem-Fraktion, die entschieden gegen die Erneuerung der britischen Atomstreitmacht eintrat und diese Position nun bereits in den Koalitionsverhandlungen aufgegeben hat?
Eine auf Steuerreformen für mehr soziale Gerechtigkeit gepolte Partei, die mit dem Tory George Osborne einen Chancellor of the Exchequer (Schatzkanzler=Finanzminister) dulden müssen wird, der mit seinem Ruf nach Abschaffung der Erbschaftssteuer Politik für die obersten paar Hunderttausend betreibt und finanzpolitisch in fast allen Belangen in diametralem Widerspruch zu den sozialen Umverteilungsideen des (offenbar künftig für Banken zuständigen) liberaldemokratischen Finanzsprechers Vince Cable steht?

Robert Rotifer
Während ich das hier schreibe, ist überhaupt noch nicht klar, welche Regierungsämter den Liberaldemokraten überhaupt zugesprochen wurden. Abgesehen von ihrem Anführer Nick Clegg, der als Hoffnungsfigur für die Veränderung der politischen Kultur des Landes in die Wahl ging und sich nun – statt eines Kernressorts - mit dem ziemlich zahnlosen Job des Vizepremiers abspeisen hat lassen.
Clegg versprach leidenschaftlich den Tod des alten Zwei-Parteien-Systems. Aus seiner Sicht hat er das nun mit seinem Beitritt zu einer für Großbritannien äußerst ungewohnten Koalitionsregierung erreicht.
Oder doch "meet the new boss - same as the old boss"?
Auf längere Sicht wird sein Vorgehen den alten Verhältnissen aber zur baldigen Wiederauferstehung verhelfen. So wie sich diese Koalition derzeit präsentiert, wird sie nämlich viele frustrierte progressive Lib Dem-WählerInnen zurück in Richtung Labour treiben.
Selbst wenn es in der Labour Party zurecht nicht genug Appetit für eine Lib-Lab-Koalition gab, die im Unterhaus nur mit Hilfe der schottischen und walisischen Nationalparteien SNP und Plaid Cymru wichtige Mehrheiten erreichen hätte können:
Clegg wäre eine andere Möglichkeit offen gestanden, nämlich die Konservativen als Minderheit alleine regieren und sich von ihnen - Gesetzesentwurf um Gesetzesentwurf und Beschluss und Beschluss – mit Eingeständnissen umgarnen zu lassen.
Die Verlockung, einmal mitregieren zu dürfen, war für den gelernten Lobbyisten aber offenbar stärker.
Tony Blairs alter Spin Doctor Alistair Campbell hat die Entscheidung der Lib Dems, mit den Tories zu koalieren, heute in einem Fernsehinterview als „riesigen historischen Fehler“ bezeichnet. Ich bin ja nicht oft mit dem Typen einverstanden, aber in diesem Fall...