Erstellt am: 12. 4. 2010 - 14:19 Uhr
In The Cellar Of Lincoln Nebraska
Eagle Seagull, Montag, 12. April 2010, in der FM4 Homebase ab 19 Uhr
Eli steht in der Küche im Haus seiner Eltern in Lincoln, Nebraska. Er nippt an einer Tasse Tee, während seine Mutter ihn in ein Gespräch über den neuesten Tratsch der Nachbarschaft und die besten Witze der gestrigen Late Night Show zu verwickeln versucht. Mitten im Satz dreht Eli seiner Mutter plötzlich den Rücken und stürmt die Treppe in den Keller hinunter, läuft durch drei Abstellräume und schließt die letzte Tür hinter sich, um in völliger Stille und Einsamkeit seiner plötzlichen, kreativen Eingebung freien Lauf lassen zu können. In genau solchen Situationen entsteht in den Händen von Eli Mardock, dem bärtigen Mastermind von Eagle Seagull, ein vielschichtiger Text für einen wunderschönen Popsong.
Eli: "Allein wenn ich weiß, dass jemand im gleichen Raum oder Haus ist, kann ich nicht arbeiten. Ich schotte mich also komplett ab. Als ich an unserem neuen Album gearbeitet habe, war ich oft bei meinen Eltern in Lincoln. Da gehe ich meistens in den hintersten Kellerraum, sperre mich ein und komme oft zehn Stunden nicht heraus. Dann wissen alle, dass sie mich in Ruhe lassen müssen. (lacht)"
Eli ist jedoch kein Misanthrop. Vor allem mit dem zweiten Album "The Year Of The How To Book" beweist der charismatische Sänger und Songschreiber, dass er sich gewandelt hat und die frühere Düsternis einem wärmespendenden Optimismus gewichen ist, jedoch nicht ohne eine gehörige Portion Ironie und schwarzen Humor.

William Hess
Vom Country zum epischen Indiepop
In seinen Anfangszeiten in Lincoln war Eli Mardock von countryesker Singer/Songwriter-Musik beeinflusst. Im Alleingang komponierte er Stücke, die mehr an frühe Wilco-Songs als an klassische Countrysänger erinnerten. Vor ungefähr sechs Jahren gründete er gemeinsam mit seinen Freunden L.L. Idt und Mike Overfield die Formation Eagle Seagull, die wenig später zu einer sechsköpfigen Band anwuchs. Den Sprung von den Konzertbühnen Nebraskas zum weltweiten Release initiierte der ehemalige Mitarbeiter von Sub Pop und Saddle Creek, Brian Vaughan, der mit Eagle Seagull die erste Veröffentlichung seines eigenen Labels Paper Garden Records feierte.
Schon damals war die Arbeitsweise von Eli Mardock die eines Einzelgängers. Komponiert wurde meist einsam im eigenen Schlafzimmer, bis die arrangierten Songs mit der Band Stück für Stück in einem Kellerraum eines Freundes aufgenommen wurden. Für den Nachfolger ließ man sich dann doch ganze zwei Jahre Zeit und siedelte für die Aufnahmen sogar in das große Bear Creek Studio in der Nähe von Seattle. Schließlich konnten Eagle Seagull den Produzenten Ryan Hadlock für sich gewinnen, der schon für The Gossip, Blond Redhead oder auch Stephen Malkmus hinter den Reglern gesessen ist.

Eagle Seagull
Schon das Eröffnungsstück "You're The Reason Why I'm Afarid To Die" macht in episch angelegten fünf Minuten die wesentlichen Unterschiede zum Debüt hörbar. Eine geschmeidige Akustikgitarre schmiegt sich an eine Ohrwurm erzeugende Keyboard- und Pianomelodie, unterstützt von wärmenden Streichern, bis mit einem Knall ein treibender Schlagzeugbeat einsetzt und das Stück sich zu einer perfekt arrangierten Hymne aufschwingt. Alleine der Song überzeugt auf ganzer Linie, auch wenn er nur den Startschuss für ein abwechslungsreiches und spannendes Album darstellt.
Tod und Vergebung
Eli Mardocks Texte sind meist recht komplex, handeln sie doch vom Wechselspiel zwischen Leben und Tod und enthalten viele Zwischentöne, die konträre Stimmungen und paradoxe Gefühlswelten widerspiegeln. Die Melancholie und eine gewisse Traurigkeit sind immer noch spürbar, schließlich hat Eli noch immer eine Faszination für den Tod.
Eli: "Es gibt dieses Sprichwort: Der Tod ist das wichtigste Ereignis des Lebens. Ich denke viel darüber nach und es erinnert mich immer an eine Textzeile, die in einem Wilco-Song vorkommt: You've got to learn how to die to be alive. Ich glaube, dass dieser Satz eine grundlegende Wahrheit in sich birgt. Aber nicht in einer dunklen oder negativen Art. Der Tod wird auf alle Fälle eine interessante Erfahrung. (lacht)"
Man kann nicht anders, als ein zustimmendes Gefühl der Sympathie für den Sänger und Songwreiter zu bekommen. Denn neben den tiefschürfenden Themen gelingt es Eagle Seagull immer wieder, mir mit ihren groovigen und beschwingten Songs wie ein alter Freund zuzuzwinkern, der zu sagen scheint, dass man sich selbst und die Welt nicht ganz so ernst nehmen soll. Bestes Beispiel dafür ist das von seiner unbändigen Energie her an Arcade Fire erinnernde Prachtstück "I'm Sorry But I Beginn To Hate Your Face", das von einem stampfenden Rhythmus zur elegischen Ballade und mit einem furiosen Streicher- und Chorfinale wieder zurück zu einem Indierocksong wechselt. Thematisch ist die Ironie allein durch den Titel nicht zu überhören.

Taura Horn
Eli: "Mir hat es sehr viel Spaß gemacht, diesen Song zu schreiben. Es ist eigentlich ein ironischer Kommentar über all die Frauen, die ich erfolglos gedatet habe."
Eli hat jedoch nicht nur gelernt, über sich selbst zu lachen, sondern auch mit seiner stark wankenden Gefühlswelt besser zu Recht zu kommen. Einen unverblümten, sehr ehrlichen Einblick in die Seelenwelt des Sängers von Eagle Seagull erhält man mit dem traurigen Glanzstück "I Don't Know If People Have Hated Me, But I Have Hated People". Es ist eine Art Selbstbekenntnis, in der Eli offenbart, dass er gehasst und gelogen hat. Allerdings gibt es auch ein versöhnliches Ende.
Eli: "Es ist natürlich immer schöner, wenn ein Song emotional komplexer ist. Es wäre langweiliger, hätte ich nur davon gesungen, was ich an Menschen nicht mag. Aber es wird viel interessanter, die Negativität der ersten drei Strophen dann abzufangen und zu sagen, dass ich zwar nicht weiß, ob Menschen mir vergeben haben, aber dass ich ihnen vergeben habe. Dieser Song ist sehr bezeichnend für meine persönliche Entwicklung. Denn vor ein paar Jahren hätte ich diese letzte Strophe niemals dazu geschrieben, sondern es zu einem sehr dunklen Stück gemacht. Mittlerweile glaube ich, dass Musik etwas Kathartisches haben sollte."
How To Write A Pop Song
"The Year Of The How To Book" ist voller musikalischer Referenzen, die meist zu den britischen Inseln schielen, voller Spielfreude in einem familiären Bandgefüge, wie man es von kanadischen Acts kennt. Egal ob in drei-einhalb-minütigem Popformat wie bei "The Boy With A Serpent Heart" oder in der sechs-minütigen Ballade "I Don't Believe In Wars, But I Do Believe In Uniforms", Eagle Seagull schaffen es durch clevere Spannungsbögen und sehr detailverliebte Arrangements immer unsere Aufmerksamkeit zu behalten. Diese zweite Platte kann man nicht einfach im Hintergrund laufen lassen. Zu stark und vielschichtig sind die Eindrücke und Emotionen, die uns die Band aus Nebraska vermittelt. Damit scheinen die sechs Musiker einen Weg gefunden zu haben, der sehr nah an den perfekten Popsong herankommt.

Dale Heise
Auch wenn der Albumtitel eine augenzwinkernde Abrechnung mit unserer sich an Selbsthilfebücher klammernden Gesellschaft ist, muss man Eli die Frage stellen, was sein Beitrag für ein "How To Write A Pop Song"-Buch wäre.
Eagle Seagull live in Österreich:
- Mittwoch, 21. April 2010, im Wiener Flex
- Donnerstag, 22. April 2010, im Weekender Club Innsbruck.
Eli: "Ahm... (lacht). Ich weiß nicht, ich glaube nicht, dass ich jemals erklären könnte, wie man einen Song schreibt. Ich glaube, es ist etwas, was man entweder macht oder eben nicht. Ich denke da gerade an den Song 'Ignorance Or Transcendence', der mir einfach so passiert ist. Ich erinnere mich, dass ich mich zum Klavier gesetzt habe und das erste, was ich gespielt habe, war dieser Akkord. Ich hab zu der Melodie, die ich mit der linken Hand gespielt habe, einfach dazu gesungen. So ein kleines 'Uhh Uhh'-Ding. Von da an hat sich der Song fast wie von selbst geschrieben. Musik passiert mir einfach."
Hoffentlich passieren Eli Mardock noch eine ganze Reihe solcher Songs. Denn "The Year Of The How To Book" ist ohne Zweifel ein ganz großes Werk, aber sicher noch nicht der Zenit der Band.