Erstellt am: 18. 4. 2010 - 00:00 Uhr
Raucher-Typologie
Ron Tyler Archiv - Referenzen:
0115 / Wie viel Grad erreicht die Zigarettenglut?
0045 / Zigaretten selbst drehen
Der Anfänger
steht in der Freistunde am Schulhof und schnorrt gerade die fünfte Zigarette seines bisherigen irdischen Gastspiels von einer Freundin aus der Parallelklasse. Er hustet nach dem ersten Zug nicht, denn Tabak-Novizen reckt es meist nur im Film. Da er noch nicht inhalieren kann, konzentriert sich der Anfänger voll und ganz auf Raucher-Gesten, die er von älteren Kollegen zu kopieren versucht. Nach jedem Zug, mit spitzen Lippen betont genussvoll ausgeführt, bringt er den Ellenbogen der Zigarettenhand in einen stumpfen Winkel und streckt den Stängel etwas zu weit oben von sich weg, als wolle er der ganzen Welt seine neues Steckenpferd präsentieren. Den im Rachen gesammelten Rauch stößt er mit weit aufgerissenem Maul etappenweise in die Atmosphäre und unterstreicht die scheinbar wohltuenden Effekte des Nervengifts zwischendurch mit einem satten Brummen.
Der Anfänger möchte eigentlich nur austesten, ob Zigaretten der Image-Politur zuträglich sind und wird vom Gegenteil erst Jahre später überzeugt sein, wenn er dann tatsächlich süchtig ist. Eine eigene Schachtel würde er sich nicht im Traum anschaffen, weil die Mutter ja die Schultasche inspizieren könnte.

marc carnal
Der Jungmeister
pafft schon im späten Kindesalter so viel wie möglich. Er raucht ausschließlich aus Langweile. Man findet ihn neben Schulhöfen auch auf Bahnhöfen, in Einkaufszentren und - heißer Tipp - auf U-Bahn-Rolltreppen. Im Grunde ist der Tabak-Shootingstar noch gar nicht besonders süchtig, er missversteht Zigaretten aber als Zeitvertreib. Das einzige Ziel scheint zu sein, möglichst oft zu rauchen, und zwar mit jedem, immer und überall. Sitzt er mit seinen Kollegen im Park zusammen, werden die Stumpen wie Kartoffelchips konsumiert – Eine nach der anderen, ohne Pause, rauchen rauchen rauchen!
Ungeklärt ist bisher, wie der Jungmeister die tägliche Stange finanziert.
Bitte fragen Sie mich nicht, wie ich auf die Website der "Faschingsgesellschaft Schlossfinken e.V. Höchstädt" gelangt bin, aber in der Chronik jener Narren habe ich einen hübschen Satz gefunden.
"Viele örtliche Vereine und Privatgruppen überraschen jedes Jahr mit farbenprächtigen Kostümen und Faschingswägen."
Die Hochstädter sind aber auch leicht zu überraschen. Jedes Jahr wieder sind sie verblüfft, dass es im Fasching Kostüme und Wägen zu bestaunen gibt. Sind die Narren auch jährlich vom Weihnachtsschmuck überrascht?
Na gut, wenn Sie mich nun doch fragen, wie ich auf die Karnevalisten-Page gestoßen bin, will ich es verraten: Mit diesem teuflischen Tool
Der Gelegenheits-Schnorrer
findet es abartig, bereits in der Früh zu rauchen. Er streitet jede Sucht ab, obwohl er regelmäßig raucht, vor allem die Zigaretten von Freunden, Kollegen, Mitbewohnern und Fremden. Den Eltern schwört er auch noch mit Mitte dreißig unter Eid, er hätte bisher noch keinen Glimmstängel in Händen gehalten. Tut er auch nie, außer eben jeden Abend und vor allem auf Partys, gerne auch mal zum Kaffee („gehört einfach dazu“).
Der Gelegenheits-Schnorrer zitiert auch gerne die alte Mär vom Genusstrinken und stellt sich mit großer Begeisterung regelmäßig zehn Bier rein.
Der Profi
tut es schon lange. Zigaretten haben sich über die Jahrzehnte zu einem selbstverständlichen Lungenfortsatz entwickelt. Manche Freunde erkennen ihn ohne Kippe im Maul gar nicht. Rauchen ist für den Profi mindestens Menschenrecht, wenn nicht das Fundament seiner Lebensphilosophie. Wie viel er inhaliert? Er zählt nicht mehr mit.
Der Profi raucht überall. Im Auto, am Arbeitsplatz, vor und nach dem Essen. Selbstverständlich hat er einen Arbeitsplatz, der ihn in dieser Hinsicht nicht einschränkt. Und klarerweise meidet er Nichtraucherlokale oder Nichtraucher allgemein wie Pestgruben. Gerade letztere kann er nicht verstehen. Im wahren Wortsinn, denn er kann nicht nachvollziehen, was es heißt, nicht zu rauchen.
Leicht zu erkennen ist der Profi nicht nur daran, dass er auch mit vierzig Grad Körpertemperatur noch munter pofelt, sondern auch an den stolzen Aschetürmen, die er geschickt zu balancieren weiß, denn regelmäßiges Abäschern würde, auf einen ganzen Tag gerechnet, zu viel Energieverschleiß bedeuten.
Den Fundamentalisten
findet man unter allen bisher genannten Raucher-Typen. Er verwechselt den Konsum von Drogen mit Freiheit. Da man ihm ebenjenes nicht überall gestattet, geht er in stundenlangem Dahingebrabbel auf, getarnt als "Wertedebatte". Wie sehr soll eine Gesellschaft ihre Bürger einschränken? Wo beginnt persönliche Freiheit, wo die Einschränkung von anderen? Was ist mit dem freien Willen? Sind Politiker nicht scheinheilig und verpulvern in Wahrheit die Tabaksteuer klammheimlich im Freudenhaus? Will man hier eine Tradition, ja gar ein Kulturgut dem allgemeinen Gesundheitswahn opfern? Und was ist dann mit den Autoabgasen?
Diese und ähnliche Fragen erörtert der Fundamentalist gerne in epischer Länge und Breite. Dass Rauchen die Vernunft schmälert, ist damit noch nicht bewiesen, also ist ihm vielleicht einfach nur fad im Schädel.
Alt, aber gut:
Die Kinobesucher-Typologie
Der Ex-Raucher
hat ja eigentlich aufgehört. Drei Wochen nach seiner „wirklich Allerletzten“ experimentiert er mit „wirklich nur einer“ zu später Stunde. Drei Monate später schnorrt er allen befreundeten Rauchern regelmäßig halbe Packungen weg, aber nur zu bestimmten Zeiten, denn der im Wesentlichen cleane Paffer gönnt sich die Tschick nur einem strikten Regelwerk folgend. Da er ja nicht mehr abhängig ist vom (für mich eher grauen als) blauen Dunst, konsumiert er ihn nur am Wochenende, im Kaffeehaus, an ungeraden Tagen durchgehend und an geraden nur alle zwei Stunden, außer bei Regen.