Erstellt am: 30. 3. 2010 - 14:11 Uhr
Die Soundritter der Punk-Nuss
Von der ersten Sekunde an sind beim Archie Bronson Outfit alle Regler auf Anschlag. "Magnetic Warrior" scheint regelrecht eine Kampfansage zu sein, wobei zu Beginn noch unklar ist, gegen was sich die drei Musiker aus Wiltshire auflehnen und für was sie kämpfen. Wie im Drogenrausch windet sich die Stimme von Sänger Sam Windett durch die fett verzerrten Gitarren- und Basslinien, während im Hintergrund irritierender Weise Bongos und Percussions munter durch die Gegend hüpfen. Wenn dann die fauchende, in die Gehörgänge schneidende Sologitarre sich mit fernöstlicher Flötenmelodie zu mischen scheint, dann hat man endgültig den musikalischen Boden unter den Füßen verloren und trudelt kopfüber einem Sturzflug gleich in die psychedelische Soundwelt des Archie Bronson Outfits.
Dom Garwood
Die Stadt der wilden Erdbeeren
Nach dem Erfolg von "Derdang Derdang" vor vier Jahren und einer langen Tour entschließen sich Sam Windett, Dorian Hobday und Markus "Arp" Cleveland den sich anbahnenden Erfolgsdruck in ihre verrückten, bunten, klappernden Musikdampfer zu speisen, um damit über den großen Teich zu tuckern und zu schauen, wo die See einen hintreibt. Nach einer stürmischen Fahrt ankern die Drei in Benton Harbor, steigen aus ihrem ramponierten Schiff und schleppen ihre vom Salzwasser etwas zerfressenen Instrumente und Verstärker in ein abgelegenes Studio. Dort werden trotz Stromschlaggefahr gleich die Geräte mit Adapter eingestöpselt und schon raucht es aus den Gitarrenamps, als Sam und Dorian loslegen. Arp lässt sich bei seinem Schlagzeugspiel vor allem von der unmittelbaren Umgebung inspirieren.
Arp: "Es war für uns ein total seltsamer Platz, ganz anders als London, wo wir jetzt leben. Die Stadt ist sehr heruntergekommen. Man ist umgeben von verlassenen Häusern und Fabriken, die einsturzgefährdet sind. Retrospektiv gesehen hat diese Stadt uns wohl eine gewisse Freiheit gegeben, zu experimentieren und unserem bisherigen Sound zu entkommen."
Wie sonst würde sich wohl ein Song wie "Wild Strawberries" erklären lassen, der klingt, als würde Jello Biafra auf Valium bei einer Beatles-The Cramps-Jam Session singen, nur ein bisschen lauter und verzerrter. Oder der psychedelische Hypnosetrip "A Right To A Mountain Life", bei dem Ron Bushy hinter dem Schlagzeug der Doors sitzen zu scheint, während aus den Gitarrenverstärkern der schwarze Sabbat hervorquillt und der Klang der Gitarrensoli an die letzte Wurzelbehandlung beim Zahnarzt erinnern. Und zu all dem bildet ein leise säuselnder, Pop Levi-artiger Falsett-Chor die Stratosphäre des Archie Bronson-Planeten.
Londons Haifischzähne
Archie Bronson Outfit
Nachdem Archie Bronson Outfit genug akustische Verwüstung in Michigan angerichtet hatte, besteigt das Trio erneut ihr Boot. Diesmal ist die See spiegelglatt sodass der dicke Russschwaden speiende Dampfer in Windeseile an den Londoner Docks anlegen konnte. Mit Ketten aus Haifischzähnen behangen (aus Langeweile erlegte das Trio auf seiner Fahrt todesmutig die blutrünstigen Fische) kehrte langsam auch die innere Zufriedenheit und Ruhe in die Herzen der Musiker zurück. Man gibt sich zurückgelehnt und groovig, wie bei "Hoola", dem Hit verdächtigsten Song der dritten Platte. Auch der trockene Beat von "Chunk" und die schräge Basslinie scheinen wie aus der New Wave Zeit herübergeschwappt zu sein, wobei man sich auch hier in dem loopartigen Charakter des reduzierten Dancetracks komplett verlieren kann. Und wenn es dann daran geht, eine Single vorweg raus zuschießen, dann ist es ein Disco-beatiges Handpuppenmonster namens "Shark's Tooth", das mit zotteligen Fell und fletschenden Zähnen nach der Hand von Peter Hook schnappt. Im wahrsten Sinne des Bildes: Abgefahren!
Tim und die Hula-Tänzer
Was hat das alles nun mit Kokosnüssen zu tun? Schließlich sind Sam, Dorian und Arp nicht vollkommen abgespaced und haben den Albumtitel "Coconut" nicht ausschließlich aus Jux und Tollerei oder gar aufgrund mangelnder Alternativen gewählt. Die Antwort steckt vielleicht in der Textzeile:
Coconut Life Is Feeling Light / Into A Hoop Jump Into A Night / Coconut Feeling Is Higly White / I'm Feeling Ok I'm Feeling Alright
(aus Archie Bronson Outfit - "Hoola")
Dazu könnte man sich jetzt fast einen rollenden Reggae Rhythmus, eine Off-Beat Gitarre und eine sanft Bassline vorstellen. Doch auch wenn die drei Engländer nach der "Derdang Derdang" Tour in einem Interview behauptet haben, das nächste Album würde eine Reggae Platte werden, haben sie mit diesem Sound gar nix am Hut. Höchstens vielleicht mit der damit transportierten Stimmung.
Archie Bronson Outfit
Arp: "Diese Aussage hatte einen bestimmten Kontext. Während den Aufnahmen zum letzten Album waren wir ziemlich fertig und führten ein recht wildes Leben. Doch zum Zeitpunkt des Interviews wurden wir eher sesshaft in London. Also meinten wir scherzhaft, da wir alle so glücklich sind, schreiben wir ein Reggae Album. Aber es gibt auf dieser Platte wirklich ein Element der Leichtigkeit. Es ist in gewisser Weise auf allen Ebenen extremer. Die harten Sequenzen sind härter, das tanzbare noch mehr dancy und die leichter klingenden Parts sind luftiger. Sowohl musikalisch als auch textlich geht es um die Flucht. Vielleicht vor der Vergangenheit, ich weiß es nicht genau. (lacht)"
Mehr zu Archie Bronson Outfit morgen in der FM4 Homebase (19-22).
Die Flucht haben Archie Bronson Outfit auf alle Fälle nach vorne angetreten, holten sie doch einen Produzenten wie DFA Records Mann Tim Goldsworthy an Board, der ihnen die soundtechnische Kirsche auf ihren Coconut-Cocktail gezaubert hat. Sonst wäre der Song "Chunk" wohl vielleicht doch irgendwelchen Reggae-Verwirrungen erlegen. So ist er allerdings zu einem aberwitzigen, coolen, sonnenbebrillten Discotrack geworden.
Nach vierzig Minuten ist der ganze Spuk auch schon wieder vorbei. Archie Bronson Outfit lassen einen verwirrt mit Kokosnussgeschmack im Mund und penetrantem Ohrensausen im Kopf zurück. Vielleicht kämpfen ja die magnetic warriors nur für sich alleine. Den einsamen, aber wichtigen Kampf um musikalische Authentizität und Freiheit.