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David Pfister

Rasierklingen, Schokolade, Zentralnervensystem, Ananas, Narzissmus und Ausgehen.

8. 3. 2010 - 10:00

Baby Dee, mit 57 Underground-Star

Die amerikanische Sängerin, Pianistin und Harfenistin veröffentlicht ein neues Album.

Aus dem Leben der amerikanischen Musikerin Baby Dee könnte man einen langjährigen Serienhit vom Ausmaß von Six Feet Under drehen. Bestimmendes Element der 57jährigen ist ihre Transsexualität und ein damit verbundenes herausforderndes Leben. Von Demütigungen in der Kindheit, Ausgrenzung, innerer Zerrissenheit über unzählige Hormontherapien bis endlich zur erlösenden Operation und Geschlechtsumwandlung. Es hat lange Zeit gedauert bis Baby Dee endlich das sein konnte, was sie ist. Musikerin und Frau.

Baby Dee

Baby Dee

Mit dem Klavier- und Harfespiel begann die Amerikanerin schon als kleines Kind, aber es sollte eine lange Zeit vergehen bis sie endlich ihre eigene Musik produzieren konnte. Baby Dee arbeitete im Zirkus, leitete einen Chor für Pensionisten und spielte die Orgel in einer katholischen Kirche. Neben ihrem Brotberuf treibt sich Baby Dee immer in der Nähe von Chanson und Cabaret herum. Absolviert immer mal wieder kleine Gigs mit ihrer Harfe oder am Piano. Ihre außergewöhnliche Stimme zwischen kehligem Blues und Falsett erweckt schon damals Aufmerksamkeit. Aber es sollte Jahrzehnte dauern bis Baby Dee endlich ihre erste eigenen Platte in Händen halten sollte.

I Am A Bird Now

Als fast 50jährige hört Baby Dee die Lieder von Anthony Hegarty und schickt dem Seelenverwandten ein Demotape. Der ist davon augenblicklich begeistert und leitet das Demo an seinem Freund und frühen Gönner David Tibet von der Band Current 93 weiter. David Tibet hat auch schon die ersten Alben von Antony veröffentlicht und ist zu einem großen Teil für dessen fulminante Karriere verantwortlich.

Auch David Tibet ist von Baby Dee begeistert und nimmt sie für sein Label Durtro unter Vertrag und veröffentlicht eine Handvoll Alben und EPs. Sensible und zartgliedrige Kunstwerke. Meist mit autobiografischen Themen wie Außenseitertum oder Kindheitserinnerungen. Baby Dee wird Teilzeitmitglied von Current 93 und trifft dort in der Blase aus exzentrischen Klangforschern das Phänomen Andrew W.K.

Baby Dee

Baby Dee

Mit Andrew W.K., Will Oldham und Matt Swenney nimmt sie 2008 das Album Save Inside The Day auf. Damit gelingt ihr ein größerer kommerzieller Durchbruch und bekommt durch den Will Oldham-Bonus viel Aufmerksamkeit. Save Inside The Day ist eine beinahe fröhliche Platte. Die Balladen sind nicht wie sonst dominierend, sondern ein rockiger Kabarett-Soul-Sound.

Das Baby Dee-Konzert am 09. März im WUK in Wien wurde leider abgesagt. Die Künstlerin liegt in London mit einer starken Lungenentzündung im Krankenhaus.

Mit ihrer neuen Platte rudert Baby Dee nun wieder ein paar Meter zurück zu ihrer ursprünglichen musikalischen Ästhetik. Sie hat eines ihrer frühen Alben neu aufgenommen. Das barocke 2004er Werk A Book Of Songs For Anne Marie. Die Neuinterpretationen der Lieder sind musikalisch opulenter, der stimmliche Ausdruck aber ein wenig dezenter. Dadurch wird den Liedern Pathos genommen und den verzweifelten kleinen Geschichten gleichzeitig auch die manchmal erdrückende Schwere. Und damit ist der Blick noch freier auf die anrührenden Texte.