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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

15. 2. 2010 - 15:45

Belgische Reduktion

"Everybody Knows It's Gonna Happen Only Not Tonight" ist ein akustisches Fotoalbum, mit dem uns The Go Find Blicke in Vergangenheit und Gegenwart gewährt.

Anfang der letzten Dekade bin ich auf ein Label gestoßen, das mit die Tür zu einer neuen Elektronikwelt geöffnet hat. Verantwortlich dafür war genau genommen Bernhard Fleischmann, der mit seinem Debüt "Poploops For Breakfast" die erste Veröffentlichung auf Morr Music stellte. Es war der Startschuss für eine neuartige, großteils ambiente, oft instrumentale, digitale Soundwelt, die mit Thomas Morr ihren Dreh- und Angelpunkt in Berlin hatte. Mit der Landsheim/Weilheim-Vertriebsverbindung gesellten sich immer mehr vokale Platten zum Morr-Sortiment und mit dem jungen, belgischen Musiker Dieter Sermeus alias The Go Find erhielt auch der poppige Singer/Songwriter-Aspekt Einzug in die Labellinie.

Das war vor rund sechs Jahren. Mittlerweile legt der bescheidene, zurückhaltende und sympathisch Songsschreiber sein drittes Album "Everybody Knows It's Gonna Happen Only Not Tonight" vor, das man getrost als den bisherigen Höhepunkt seiner musikalischen Karriere bezeichnen darf. Denn als Kind der achtziger und neunziger Jahre begann sein Schaffen weit vor den Nullerjahren.

Radfahren mit Pavement

Foto Dieter Sermeus alias The Go Find

Dieter Sermeus

In den meisten Reviews von "Miami", dem Debüt von The Go Find, wird lang und breit über die Einflüsse der Achtziger referiert. Dabei hat Dieter, wie er selbst meint, die damalige Musik nicht wirklich bewusst mitbekommen. Zwar kann er heute noch sämtliche Radiohits und Popbands der wilden, Hochsteck-Frisuren- und Neonstirnbandzeit aufzählen, doch die willentliche Aufmerksamkeit kam erst, als Dieter begonnen hat, Gitarre zu spielen und Anfang der Neunziger seine erste Band Orange Black gründete. Zwar galt es auch hier die Liebe zu Duran Duran oder The Cure zu verarbeiten, doch der Indiegitarrensound hatte mit dem Grungezeitalter auch bei Black Orange schon voll eingeschlagen.

Den größten Erfolg konnte die Band um Sänger und Songschreiber Dieter Sermeus verzeichnen, als sie Pavement bei ihrem ersten Gig in Belgien supporten durften. Noch heute gerät Dieter ins Schwärmen, wenn er an diese Zeit zurückdenkt. Vielleicht sind auch deshalb die Vorsicht und der Zweifel verständlich, die er gegenüber der Pavement Reunion Tour hegt.

Dieter: "Es war 1992 und ich kann mich noch genau erinnern, als sie ihr Debüt 'Slanted and Enchanted' veröffentlicht haben. Zu der Zeit habe ich Zeitungen ausgetragen und mit einem Walkman diese Songs rauf und runter gehört, als ich auf meinem Fahrrad von Haus zu Haus gefahren bin. Das werde ich nie vergessen und ich weiß nicht, ob mir ein Reunion Konzert diese Erinnerungen nicht doch ein wenig verderben könnte."

Dazu muss man wissen, dass Dieter Sermeus äußerst bedacht darauf ist, seine Erinnerungen zu bewahren, zu beschützen und sogar zu archivieren. Denn genau darum geht es bei seinem dritten Studiowerk.

Bandfoto The Go Find vor den Video-Kulissen

Katleen Clé

Archivar der Gefühle

Der gefühlvolle, melancholische und zugleich extrem poppige Song "Neighbourhood" berührt nicht nur durch sein schlichtes Klangkleid, sondern auch durch den sehr persönlichen Text, in dem The Go Find zurück in die Vergangenheit blickt, als man noch mit kindlichem Leichtsinn die Nachbarschaft unsicher machen konnte.

Dieter: "Es gab einen Jungen in der Nachbarschaft, mit dem ich immer verrückte Dinge gemacht habe. Also verrückt für Erwachsene, jedoch für uns durchaus lustig und wichtig. Es waren sehr banale Sachen, wie Bäume zählen oder so viele Fliegen wie möglich zu fangen. (lacht) Es ging mir wirklich darum, genau diese Stimmung einzufangen und mit einem Song diese Erinnerung physisch werden zu lassen. Im Sinne von archivierbar. Denn wann immer ich dieses Lied jetzt anhöre, versetzt es mich sofort in die damalige Gefühlslage zurück."

The Go Find Albumcover "Everybody Knows It's Gonna Happen Only Not Tonight"

Julia Guther

Klarerweise geht es auf "Everybody Knows It's Gonna Happen Only Not Tonight" auch um die erste Liebe und die schmerzliche Einsicht, dass sie doch nicht Bestand hat. Allerdings wird bei einem Song wie "Love Will Break Us Up" die Geschichte von der persönlichen Perspektive auf eine allgemeinere Erzählebene gehoben. Neben dem Effekt, dass man sich dadurch besser mit der Figur identifizieren kann, bekommt man trotzdem das Gefühl, Dieter würde von sich sprechen.

Dieter: "In dem Song geht es um diesen Typen, der total in ein Mädchen verliebt ist. (lacht leise) Sie ist voller Lebensfreude und er leider zu scheu und schüchtern. Seine Gefühle werden zu intensiv und überwältigen ihn, sodass ihm nichts anderes übrig bleibt, als das Mädchen abzuschreiben."

Selbst wenn das nach einem alten Klischee klingt, an anderer Stelle drehen The Go Find Rollenbilder um. Bei "One Hundred Percent" zum Beispiel ist es der männliche Part der von seiner Partnerin verlangt, alles - also hundert Prozent - zu geben und sich mehr Zeit von ihr wünscht. Doch die Frau, im Song vertreten durch die wundervolle Stimme von Karolien van Ransbeeck, entgegnet, dass sie Zeit für sich brauche und er sich mit sechzig Prozent zufrieden geben müsse. Ein altbekanntes Thema in Beziehungen, das Dieter sicherlich auch schon am eigenen Leib erfahren hat.

Wegwerfen statt ertrinken

All die kleinen Geschichten und Alltagsbeobachtungen, die ihren Weg in die Musik von The Go Find gefunden haben, kommen vor allem deshalb gut zur Geltung, da sie den gebührenden Raum erhalten.

Bandfoto The Go Find vor den Video-Kulissen

Katleen Clé

Die Songs auf "Everybody Knows..." sind extrem reduziert und durch lange, harte Arbeit auf den Punkt gebracht. Meist reicht ein luftiger, swingender Schlagzeuggroove aus, der begleitet von einem analogen Orgelsound und der berührenden Stimme von Dieter Sermeus uns in die Welt von The Go Find entführt. Kein Ton und keine Melodie scheinen zu viel, kein Harmoniewechsel zu früh. Der leise, tief melancholische und ergreifende Track "Stay" verabschiedet sich mit einem kurzen Keyboardpart, der so schnell kommt wie er auch wieder verschwindet, aber gefühlsmäßig minutenlang nachhallen könnte. So ist man dazu verleitet, die Nummer einfach immer wieder einzulegen, nur um diese wundervolle Melodie zu hören.

Auch "Lottery Man", ein klassisch aufgebauter, flockiger Popsong besticht durch einen ohrwurmartigen Refrain und ausgewogenen Bandsound, der dem Uptempo-Beat die nötige Energie verleiht. Und das sehr zurückgelehnte Achtzigerstück "Heart Of Gold" braucht nicht mehr als eine abgedämpfte Gitarrenlinie, einen charmant dahinstolpernden Drummachine-Beat und eine kleine Glöckchenmelodie, um sich direkt ins Herz zu spielen. Doch bis dorthin war es für The Go Find ein weiter und oft beschwerlicher Weg.

Dieter: "Du solltest wissen, dass wir tonnenweise Melodien und unzählige Arrangements hatten. Es war wie eine Kurve, die zu Beginn steil nach oben geht, denn wir haben eine Harmonielinie nach der anderen hinzugefügt bis ich das Gefühl hatte, in meinen eigenen Songs zu ertrinken. Ich hatte die Grundidee der Nummern fast verloren, bis ich damit angefangen habe, viele Dinge zu verwerfen und Melodien auch wieder wegzuschmeißen."

Eine harte Schule, durch die The Go Find gegangen sind, um zum Kern ihrer Songs vorzustoßen. Diese Arbeitsweise, der kritische Umgang mit den eigenen Ideen und Vorlieben, sowie die sehr persönlichen Texte machen "Everybody Knows..." zu einem sehr warmherzigen und vor allem ehrlichen Werk. Es ist so wie in dem Video zu ihrer ersten Single "It's Automatic", bei dem gegen Ende alle Attrappen weggeräumt werden und diese witzige Dekonstruktion des Pop- und Starmythos uns zeigt, wer wirklich hinter The Go Find steckt, nämlich ganz einfach liebenswerte Menschen wie du und ich.

Tipp:

Ein Interview mit The Go Find und Songs aus dem neuen Album "Everybody Knows It's Gonna Happen Only Not Tonight" gibt es heute in der FM4 Homebase ab 19:00 Uhr zu hören.