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Trishes

Beats, Breaks und Tribe Vibes - oder auch: HipHop, Soul und staubige Vinyl-Schätze.

14. 2. 2010 - 00:07

Listen Closely!

Mit einem unerwarteten Comebackalbum will uns Gil Scott-Heron unter anderem das Musikhören wieder neu beibringen.

There is a proper procedure for taking advantage of any investment.

Music, for example. Buying a CD is an investment.

To get the maximum you must

LISTEN TO IT FOR THE FIRST TIME UNDER OPTIMUM CONDITIONS.

Not in your car or on a portable player through a headset.

Take it home.

Get rid of all distractions, (even him or her).

Turn off your cell phone.

Turn off everything that rings or beeps or rattles or whistles.

Make yourself comfortable.

Play your CD.

LISTEN all the way through.

Think about what you got.

Think about who would appreciate this investment.

Decide if there is someone to share this with.

Turn it on again.

Enjoy Yourself.

Gil Scott-Heron hat sehr genaue Vorstellungen davon, wie seine Musik rezipiert werden soll. Sein Manifest, nachzulesen rechts oder - noch viel besser - nachzuhören auf seiner Website, propagiert eine Herangehensweise die im Zeitalter der stetig schwindenden Aufmerksamkeitsspannen herrlich altmodisch wirkt. Aber wo er recht hat, hat er recht: Ein bißchen konzentriertes Hinhören hat sich das Musik im Allgemeinen, aber das erste Gil Scott-Heron Album des 21. Jahrhunderts im Speziellen auf jeden Fall verdient.

Gil Scott-Heron in schwarzweiß

Mischa Richter / XL Recordings

Zur Erinnerung: Gil Scott-Heron, das war der mit "The Revolution will not be televised” oder "The Bottle". Ein Jazz-, Soul- und Funk-Poet, von dem viele sagen, er hätte Rap erfunden. Tatsächlich gab es zu Rhythmus gesprochene Worte schon lange davor - aber seine Geschichten aus dem urbanen afroamerikanischen Leben über reduzierte Grooves kamen Rap schon sehr nahe. Und haben mit ihren drastischen Sprachbildern Chuck D's "Black CNN" um fast zwei Dekaden vorweggenommen.

Seit den frühen 90ern hatte man von Gil Scott-Heron selbst kaum etwas gehört. Außer, dass er sich mit den eigenen Dämonen herumschlagen musste und unter anderem einundhalb Jahre wegen Kokainbesitzes im Gefängnis war. Vor vier Jahren kam ihn dort Richard Russell, seines Zeichens Chef von XL Recordings, besuchen und legte ihm Pläne für eine neue LP dar. Das Resultat heißt "I’m New Here“ und präsentiert einen Gil Scott-Heron, den man so noch nicht gehört hat.

Kurzprotokoll einer Hörprobe (nach obiger Anleitung)

Kaum 20 Sekunden läuft das Intro, schon bekomme ich Gänsehaut. Diese eindringliche Stimme, sie hat mit den Jahren und den schlechten Zeiten an Autorität nur gewonnen. Ein vielleicht etwas überraschend gewähltes melancholisches Kanye West Loop dient hier als Unterlage - passt sich dem Narrativ über die zerrissene Familie aber perfekt an.

"Me & The Devil", diese apokalyptische Robert Johnson-Neudeutung die wir samt stimmigem Video schon vorab serviert bekommen haben, beeindruckt wie beim ersten Hören. Mit gequälter Bluesman-Stimme macht sich Scott-Heron den Song komplett zu eigen - wüsste ich es nicht besser, hätte ich seine Autorenschaft nie angezweifelt.

Klassische HipHop- und Funk-Referenzen wollte Produzent und Labelboss Richard Russell aus dem Projekt "I'm New Here" scheinbar eher raushalten. Stattdessen gibt es viel elektronische Klänge, aber auch rein akustische Aufnahmen wie den Titeltrack, übrigens eine Coverversion eines Songs von Bill Callahan alias Smog.

gil scott-heron cover

xl recordings

Es überwiegt überwiegt die Klangfarbe Düster, viel mehr als Rhythmus und Bass sind musikalisch meist nicht zu hören. Um Harmonik geht es hier aber eben nur bedingt. Eine Ausnahme ist "I'll Take Care Of You", seinerseits im Original vom Soul-Crooner Bobby Blue Bland. Dessen geradezu samtener Vortrag wird beinahe ins Gegenteil umgekehrt. Gil Scott-Heron's Stimmbänder, die schon zu besten Zeiten gerne etwas mäanderten, stellen nachdrücklich unter Beweis, dass sie in den letzten Jahrzehnten nicht gerade mit Honig und Tee verwöhnt wurden. Aber gerade das Vibrato und die kratzende Stimme sorgen hier für ein extrem berührendes Highlight.

Dass das Klischee vom gebrochenen Mann nicht voyeuristisch ausgereizt wird, dafür sorgt der Künstler (und sein Produzent) zum Glück selbst. Gleich darauf folgen in Form von unter anderem "Where Did The Night Go" und „New York is killing me“ nämlich mehrere sehr wort- und klanggewaltige Songs.

Als am Schluss "On Coming From A Broken Home" nochmal inhaltlich und musikalisch das Thema des Intros aufgreift, wirkt das fast so, als ob uns Gil jetzt langsam und fast schon behutsam wieder in den komplett reizüberfluteten Alltag des 21. Jahrhunderts entlassen will. Das ändert aber nichts daran, das mich das Gehörte noch eine Weile etwas sprachlos und verwirrt zurücklassen wird. Wie die ersten Minuten 'reality check' nach einem eindrucksvollen Kinofilm.

Mischa Richter / XL Recordings

Die Zusammenarbeit zwischen Gil Scott-Heron und Richard Russell wird oft mit der zwischen dem späten Johnny Cash und Rick Rubin verglichen – und manche Parallelen gibt es tatsächlich: Da wie dort stand/steht eine charismatische Persönlichkeit und eine zeitweise brechende Stimme im Mittelpunkt, da wie dort werden unerwartete Coverversionen zu Gewinnern. Den entscheidenden Unterschied machen aber einerseits die neuen Originalsongs von Scott-Heron, andererseits auch die düster-elektronische Instrumentierung, die sich von den "American Recordings" doch stark abhebt. Aber auch "I’m New Here“ deutet eine sehr erfreuliche Karriere-Rennaissance an, die hoffentlich länger als diese 28 Minuten dauern wird.