Erstellt am: 21. 2. 2010 - 15:00 Uhr
Als ich sexistisch war
Wer in seinem Tiefsten nicht ein klein wenig rassistisch, reaktionär oder sexistisch ist, werfe den ersten Stein.
Huch, da fliegen schon die ersten Brocken auf mich zu.
Doch ich wage zu zweifeln.
Obengenannte Ausdrücke sind komplex und pauschal.
Schon klar, wenn ich im Schienenschlauch einem mit Goldketten dekorierten Schwarzen gegenübersitze, unterstelle ich ihm im Geiste nicht, Halluzinogene feilzubieten.
Schon klar, ich kann zwischen Meeting und Orgasmus unterscheiden. Die Wichtigkeit knackiger Brüste ist in beiden Fällen von höchster Unterschiedlichkeit.
Schon klar, früher war sehr wenig besser. Höchstens das Wetter und die TV-Reklame (Obstgarten!).
Die Feinheiten sind der Hund. Jene Situationen, die wir noch nicht leicht variiert schon unzählige Male erlebt haben.
Letzten Sommer war ich bei meinen Eltern zu Gast. Mit nur mehr wenig Blut im Alkohol kam ich zu sehr fortgeschrittener Stunde nach Hause, glitt in einer Stimmung, die am besten mit "tired & emotional" umschrieben wäre, in mein Bett und machte meine roten Äuglein zu. Jäh wurde ich aus meiner Zufriedenheit gerissen, da ein eminenter Verdienst der Architektur der Sechziger Hellhörigkeit ist.
Eine Etage tiefer waren hysterische Schreie zu vernehmen, panisches Brüllen, eindeutig von einer Frauenstimme. Dazwischen lautes Poltern, anscheinend von Möbeln, die in die Horizontale gestoßen wurden. Dann immer wieder eine zornige Männerstimme und Geräusche, wie man sie aus Bud-Spencer-Fights kennt.
Eine halbe Minute reichte, um die akustischen Eindrücke eindeutig zuzuordnen. Ich stand rasch auf, ging zum Telefon und rief die Polizei. Da sich das bekämpfende Paar laut meinen Eltern zur Hälfte aus einem sich gerne berauschenden Anwalt zusammensetzte, mit dem auch tagsüber nicht im klassischen Sinne zu spaßen war, hielt ich es nicht für zielführend, selbst einzuschreiten. Ich hätte ihm ohnehin nur damit drohen können, die Exekutive zu kontaktieren, warum sollte ich ihm also die Chance geben, sich zu verteidigen?
Nach einer Viertelstunde trafen zwei Beamte ein. Ich schilderte ihnen das Gehörte. In den folgenden zwei Stunden gelang es dem Juristen routiniert, das (wahrscheinlich nicht zum ersten Mal) Geschehene runterzuspielen, zu verdrehen und sich in dialektisch höchst gewiefter Manier zu verteidigen. Die Polizistin und ihr Kollege schienen schon mehr Einsätze dieser Art absolviert zu haben und ließen sich nicht erweichen. Nachdem ein mögliches Ersatzquartier für die Freundin organisiert worden war, wurde sie nach einem längeren Gespräch angewiesen, die Wohnung zu verlassen. Meine Eltern erzählten mir, dass sie in der Folgezeit nur noch zurückkam, um ihre Habseligkeiten abzuholen und dass der Advokat mittlerweile ausgezogen ist.
Kürzlich gelüstete es mich nach Rauchwaren. Wie ich vor einiger Zeit an dieser Stelle bereits geschildert habe, treibt in meinem Haus ein dreister Dieb sein Unwesen, der sich darauf spezialisiert hat, Aufzugs-Druckknöpfe zu entwenden, was den Lift stets für einige Tage außer Gefecht setzt. Ich habe bereits meine gesamte Phantasie darauf kanalisiert, mir auszumalen, warum jemand Liftknöpfe stiehlt. Spooky.
Da der Schelm wieder ungeniert zugeschlagen hatte, war ich gezwungen, den Weg zur Trafik im Stiegenhaus zu beginnen. Auf halbem Weg hörte ich aus einer Wohnung laute Schreie einer sich überschlagenden Frauenstimme. Aus den verständlichen Wortfetzen war nachvollziehbar, dass die aufgebrachte Frau mit ihrer Familie gerade nicht im Reinen war. Dann waren Geräusche zu hören, wie sie nur Hände zustande bringen, die mit beträchtlicher Geschwindigkeit Haut treffen. Ich blieb stehen, wollte noch einmal genau hinhören, um keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Eindeutig, ein deftiger Ehestreit, ungebremste Hysterie, da kulminierten Fragen, Zweifel, Wut und Trauer der letzten Zeit in einer Viertelstunde am Nachmittag. Ich kannte die Familie, sie war einmal überraschenderweise einer nachbarschaftlichen Höflichkeitseinladung gefolgt ("Es könnte heute Abend etwas lauter werden. Selbstverständlich sind Sie herzlich eingeladen, vorbeizuschauen."). Meine Hand näherte sich schon der Klingel. Man kann ja mal fragen, ob alles in Ordnung ist und die Situation dann genauer einschätzen. Doch dann ordnete ich die Geräusche plötzlich anders ein und schlagartig wurde mir klar, dass hier eine Frau ihren Mann schlug. Ich blieb noch ein bisschen vor der Türe stehen, dann war ich mir sicher: Da bekam dieser dürre, schüchterne und wortkarge Nachbar die Gewalt seiner (warum auch immer) aufgebrachten Partnerin zu spüren.
Eine Frau schlug ihren Mann. "Ach so…", dachte ich ungefähr, "na dann".
Das war sexistisch.