Erstellt am: 17. 1. 2010 - 16:12 Uhr
Gott ist tot
Gott ist tot, das wissen wir seit Nietzsche, Pop ist tot, das wurde in den letzten Jahren immer wieder behauptet und jetzt stirbt zu guter letzt auch noch die Plattenkritik. Recht salbungsvoll verkündete die Spex, das Magazin für Popkultur, im aktuellen Heft: Diese Spex markiert das Ende der Plattenkritik, wie wir sie kannten. Es gibt keine Rezensionen mehr.
"Pop-Briefing" ist jetzt das neue Ding, eine Art gedrucktes Round-Table-Gespräch, bei dem sich - ganz im Spex- und poptypischen Geschlechterverhältnis – 12 Experten und immerhin eine Expertin über die neuesten Veröffentlichungen austauschen. Spex-Herausgeber Max Dax, der - das nur am Rande - vom Berliner Stadtmagazin tip kürzlich auf Platz 40 unter den 100 peinlichsten Berlinern gewählt wurde, begründet die Abschaffung der Plattenkritik mit den veränderten Rezeptionsgewohnheiten der Leserschaft, und er hat ja recht: Ein zweimonatlich erscheinendes Magazin kann mit dem Verbreitungstempo von Blogs nicht mithalten.

rösinger
Dabei ist es doch ein Vorteil der Printmedien im Gegensatz zu der Vielstimmigkeit von Blogs, noch richtige Autoren zu haben, die sich im Idealfall auskennen, die teils identifikatorisch teils analytisch an Musik herangehen und die dann womöglich noch mit Witz und Leidenschaft so etwas wie eine Meinung formulieren. Das beklagt auch Diedrich Diederichsen, vielleicht der Erfinder der Plattenkritik als eigenständige Textform, in einem Text zur Lage. In der FAZ hat er in einem wie so oft leicht verschwurbelten, aber sehr klugen Text die gute alte Autoren-Kritk gegen das "Pop-Briefing" verteidigt.

rösinger
Andererseits ist die Plattenkritik ja seit jeher durch die Erwartungen der Anzeigenkunden, also Plattenfirmen, geprägt, und in Deutschland leidet der Musikjournalismus sowieso unter der Verflechtung von Kumpelei, Zitierkartell, Boy-Net und Vetternwirtschaft, sodass von einer unabhängigen Kritik nicht die Rede sein kann - deshalb wird ja in letzter Zeit viel zu wenig gehasst in der Plattenkritik!
Dafür hat das Genre schon schlimme Texte hervor gebracht: Die lyrische Plattenkritik, die Selbsterfahrungs-Plattenkritik, die dekonstruktivistische Plattenkritik. Die guten alten Grundfragen: "Wie klingt es? Um was geht's?" hat man dabei vor lauter Referenzen aufzählen und Gescheit-Tun vergessen. Was soll's - da die Spex schon lange ihre Position als Pflichtlektüre, Bibel und Offenbarungsblatt eingebüßt hat, wird man auch ihre Plattenkritiken nicht allzu schmerzlich vermissen. Es bleibt die Frage, wie sinnvoll es ist, wenn ein Printmagazin versucht, sich durch Blogs und Roundtable-Gespräche dem anzunähern, was es online sowieso schon gibt.