Erstellt am: 11. 1. 2010 - 18:10 Uhr
"Wie Sklaven gehalten"
Am Wochenende haben Auseinandersetzungen in Süditalien für Verletzte und Aufregung gesorgt. Zwei Tage lang haben sich Immigranten und Einwohner der kalabresischen Kleinstadt Rosarno Straßenschlachten geliefert. Mathilde Schwabeneder, ORF-Korrespondentin in Rom, beantwortet uns Fragen zu den Hintergründen..
Probleme gibt's zwischen der Bevölkerung und Einwanderern aus Afrika schon länger, warum ist die Situation am Wochenende eskaliert?
Die Probleme in Süditalien haben ganz verschiedene Gesichter, würde ich sagen. Wenn wir zum Beispiel an die Situation auf Lampedusa denken, wo es jahrelang ja immer wieder heftige Proteste gegen Bootsflüchtlinge, die über das Mittelmeer in Lampedusa an Land gegangen sind, gegeben hat. Auch zu Ausschreitungen ist es immer wieder gekommen. Nachdem Bootsflüchtlinge aber nun bereits auf dem Meer abgefangen werden, kommt ohnehin niemand mehr an. Die Situation hat sich sozusagen "erledigt".
In Rosarno ist die Lage anders gewesen, da sind seit vielen Jahren Menschen angeheuert worden, um dort zu arbeiten. Rosarno ist berühmt für seine Zitrusplantagen, also Orangen, Mandarinen, Zitronen in allen Varianten. Die Afrikaner wurden dort also gebraucht und wurden von den Plantageninhabern angeheuert, um die Früchte zu pflücken. Und das für einen Hungerlohn: Weniger als 20 Euro pro Tag. Und davon mussten sie sogar eine Art Schutzgeld abgeben, also blieben ihnen nicht einmal diese 20 Euro. Warum diese Situation gerade jetzt ausgebrochen ist, ist Gegenstand der gegenwärtigen Ermittlungen.
Was sind die Hintergründe dieser Auseinandersetzungen in Süditalien? Man hört ja auch, dass die Mafia involviert sein soll.
Ja, aber genau das hat man von offizieller Seite in den ersten 48 Stunden geleugnet. Inzwischen beschäftigt sich aber auch die Staatsanwaltschaft damit. Einer der drei festgenommenen Bürger von Rosarno, also einer jener, der mit Schlagstöcken und mit Gewehren auf die Afrikaner losgegangen ist, gehört ja dem gefährlichen 'Ndrangheta-Clan an.
Das Gebiet von Rosarno wird nachweislich von diesem brandgefährlichen kalabresischen Mafiaclan kontrolliert. Und so ist auch der große Hafen in den Händen dieses Clans, die ihr ganz großes Geld mit dem Handel von Drogen, insbesondere mit Kokain, macht. Da liegt es nur nahe, dass das organisierte Verbrechen auch in Rosarno die Hand im Spiel hat. Die Afrikaner wurden ausgebeutet: Sie bekamen einen Hungerlohn, sie lebten in entsetzlichen Unterkünften, Orten, die diesen Namen gar nicht verdienen. Sie wurden behandelt wie Sklaven. Einige wurden sogar angeschossen und das hat sicherlich das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Afrikaner wehrten sich mit einem Aufstand, der allerdings von der Bevölkerung blutig niedergeschlagen wurde. Eine Zeitungskarikatur zeigt heute Folgendes: Eine Figur sagt darin zur anderen: "Die Immigranten machen eine Revolte gegen die Mafia". Und die andere Figur sagt: "Ja, sie machen das, was die Italiener nicht mehr machen." Und ich glaube das trifft die Situation recht gut.
Man hört immer wieder von rassistischen Übergriffen in Italien – letztes Jahr wurde gegen Rumänen mobilisiert, in Fußballstadien hört man fast jede Woche rassistische Schmähungen - wie reagiert die italienische Öffentlichkeit auf die Ausschreitungen in Süditalien? Am Wochenende gab's in Rom eine Demonstration gegen Rassismus.
Ja, sehr viel ist nicht gemacht worden. Am Samstag gab es zwar in Rom eine Demonstration, allerdings waren nicht viele Menschen auf der Straße. Leider ist es dabei auch zu Handgreiflichkeiten gekommen, weil sich in derartige Demonstrationen auch immer wieder Störelemente einschleusen.
Die Bevölkerung reagiert gespalten. Offiziell ist zwar jeder immer gegen Gewalt, aber ganz offensichtlich geht eine Art Riss durch die Gesellschaft. Da stehen die einen dem Ganzen mit Abscheu gegenüber, denn sie fürchten auch sicherlich ein wenig um das Image Italiens. Die anderen stehen dem aber eher gleichgültig gegenüber. Dazu trägt sicherlich auch die jahrelange politische Angstmache bei und die derzeitige Wirtschaftskrise. Man muss nur bedenken, dass die Orangen, die frisch gepflückt und verpackt werden, nur 6-7 Cent pro Kilo einbringen. Die Ernte darf nichts kosten, das heißt aber auch, dass Einheimische diese Arbeit um diese Entlohnung gar nicht mehr machen können. Das ist ein großer Teufelskreis. Und wenn man sich vorstellt, dass über all dem die Hand der 'Ndrangheta liegt, dann kann man sich vorstellen, was da los ist.
Wie reagiert die Politik? Maßnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit bei Migranten sind angekündigt – klare Statements gegen Rassismus hört man aber eher von der Kirche als von der italienischen Regierung?
Die Kirche hat sich wie auch Menschenrechtsorganisationen ganz klar gegen jede Form von Rassismus gewandt. Gestern hat Papst Benedikt dazu aufgerufen Einwanderern Respekt zu zollen. Jemand, der sich durch eine andere Herkunft, eine andere Tradition, eine andere Kultur unterscheidet, aber eben ein Mensch ist, der wie jeder andere Respekt verdient. Genau das haben aber viele Schwarzafrikaner nicht erlebt. Sie wurden wie Sklaven gehalten und viele haben sogar berichtet, sie seien wie Tiere angesehen worden, eben weil sie eine schwarze Hautfarbe haben.
Von der offiziellen Seite der Politik hört man keine vergleichbare Kritik am Rassismus. Ich würde sagen im Gegenteil: Innenminister Maroni sieht die Gewaltwelle gegen Afrikaner als Frucht einer "falschen Toleranz gegenüber Immigranten". Gegenseitig schiebt man sich aber innenpolitisch auch die Schuld zu. So streiten das Innenministerium und die regionalen Behörden in Kalabrien, wer letztendlich verantwortlich ist, dass es soweit kommen konnte.
Was sind die Konsequenzen vor Ort, in Süditalien?
Die meisten der afrikanischen Tagelöhner haben Rosarno verlassen, sie wurden ja von Sicherheitskräften in diverse Auffanglager gebracht. Viele Afrikaner haben aber auch einfach ihre Sachen gepackt und sind geflohen: auf der Suche nach Ruhe und vor allem Arbeit. Die, die allerdings in den Auffanglagern sind, werden jetzt überprüft, ob sie eine Aufenthaltsgenehmigung haben. Und wenn nicht, werden sie ausgewiesen. Die Elendsquartiere von Rosarno werden derzeit in Schutt und Asche gelegt.
Eine positive Nachricht, wenn man so sagen kann, gibt es trotzdem: Ungefähr 10 Afrikaner haben eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Das sind jene Afrikaner, die von Italienern im Rahmen der Ausschreitungen verletzt worden sind. Ob es noch mehr werden, das kann ich zur Stunde allerdings nicht sagen. In Rosarno selbst herrscht derzeit eine angespannte Ruhe. Einige Bürger wollen auch auf die Straße gehen, um damit sichtbar zu machen, dass nicht die ganze Stadt rassistisch ist. Sie fühlen sich vom Staat in den Händen Mafia allein gelassen und sie fühlen sich von den Medien kriminalisiert. Sie weisen darauf hin, dass man eigentlich 20 Jahre friedlich mit Schwarzafrikanern, oder allgemein mit sogenannten illegalen Arbeitskräften zusammengelebt hat. Damit ist allerdings vorerst Schluss, denn Rosarno ist regelrecht gesäubert worden.