Erstellt am: 9. 12. 2009 - 11:45 Uhr
The Money Will Roll Right In
Gleich zwei thematisch verschiedene Release in der Causa Nirvana sind in den letzten Wochen auf den Markt gekommen. Und beide machen Sinn und beide haben vor allem verglichen mit so manchen frühen Post-Cobain-Veröffentlichungen ihre Berechtigung.
Bleach Deluxe Edition
Das Debütalbum von Nirvana Bleach wurde im Juni 1989 in den Vereinigten Staaten veröffentlicht. Ein paar Monate später stand die Platte dann auch in Europa in den Plattengeschäften. Das Line-Up von Nirvana war damals noch ein anderes als das, mit dem sie ein paar Jahre später die Hitparaden stürmen sollten. Schlagzeuger Dave Grohl war noch nicht bei der Band. Sänger und Gitarrist Kurt Cobain und Bassist Krist Novoselic nahmen die Lieder von Bleach mit Unterstützung zwei verschiedener Schlagzeuger auf. Dale Crover von den Melvins sitzt bei einer Handvoll Songs an den Drums und verleiht der Band manchmal eine Ahnung von Doom, wenn er auf seine typische Art dahinpoltert. Den Rest übernimmt ein Mann namens Chad Channing. Der sollte in Folge dann auch für einige Zeit fixer Schlagzeuger bei Nirvana bleiben und der spielte auch noch die ersten Demos zu Nevermind mit ein. Und diesen Chad Channing darf man nicht geringschätzen. Auch wenn Dave Grohl natürlich eine Urgewalt am Drumset ist, so kopiert er bei genauerer Betrachtung oft diesen ungeheuer treibenden Thrash-Stil den Channing in die Band brachte.

Nirvana
Veröffentlicht wurde die erste Nirvana-Langspielplatte vom in Seattle ansässigen Label Sub Pop Label. Diese kleine Plattenfirma, die nur einen Katzensprung später weltberühmt werden sollte und mit anderen Bands wie Soundgarden oder Mudhoney die Höhle des Grungelöwen war.
Was an Bleach bemerkenswert ist, ist das hohe Niveau der Songs und der musikalischen Fähigkeiten der Band, vor allem, wenn man bedenkt, dass das Album an elf Tagen für 600 Dollar aufgenommen wurde. Auf Bleach ist schon alles da, für was Nirvana stehen und was sie so weltberühmt gemacht hat. Es ist dieses permanente angespannte Wechselspiel der Extreme. Ein dauernder Kampf von Melodie gegen Lärm. Pop gegen Metal. Die berühmte Laut-Leise-Formel des Kurt Cobain. Die beseelt und gleichzeitig immer tief drinnen ein unheilvolles Gefühl zurücklässt.
Dieses frühe wütende und gleichzeitig sensible Alternative-Rock-Statement verschaffte der Band als sie dann kommerziell explodierte, enorme künstlerische Glaubwürdigkeit. Ein Grund, warum Nirvana problemlos von Subkultur und breiter Masse gleichzeitig konsumiert werden konnten.

Nirvana
Zum 20. Jubiläum von Bleach gibt es das Nirvanadebüt in einer sogenannten Deluxe Edition. Das bedeutet, dass die Songs remastered wurden, was in diesem Fall auch wirklich Sinn macht. Die Instrumente sind nun hörbar ausdifferenzierter ohne dass der wichtige Punkrockgestus verlorenging. Zusätzlich findet man auf der Bleach Deluxe Edition ein komplettes Nirvana-Konzert aus dem Jahr 1990, aufgenommen in Portland, Oregon. Ein klug ausgewähltes Konzert das den frühen Urschrei der Band gut dokumentiert.
Live At Reading
Nur vier Jahre nach Nirvanas Albumdebüt und nun mit Dave Grohl an den Trommlen waren Nirvana die Herrscher der Welt. Die Geschichte ist wohl bekannt. Am 24. September 1991 erscheint Nevermind. Am 4. August 1992, also gar nicht mal ein Jahr später und mitten im Erfolgstaumel checkt Cobain wegen seiner Heroinsucht in eine Entzugsklinik in Los Angeles ein. Am 18. August 1992 wird in dieser Klinik seine Ehefrau Courtney Love das gemeinsame Kind Frances Bean auf die Welt bringen. Kurz vor der Geburt fällt der geschwächte Kurt Cobain ins Koma. Verschiedene Quellen berichten von einer ersten Überdosis. Die Presse zerreißt die Cobain Family natürlich in 1000 Stücke und der geplante große Auftritt bei der englischen Konzertinstitution Reading Festival am 30. August scheint unmöglich.
![© [[4539490:body_small]] Cobain im Rollstuhl beim Reading Festival.](../../v2static/storyimages/site/fm4/20091250/nirvanarollstuhl_body_small.jpg)
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Aber es kommt alles anders. Mit einer wahrscheinlich unglaublichen Kraftanstrengung ist Kurt Cobain am 30. August gegen alle Spekulationen einsatzbereit. Eine von seiner noch vielen Phönix-aus-der-Asche-Aktionen. Der Auftritt von Nirvana beim Reading Festival beginnt mit der berühmten Szene, in der sich Kurt Cobain in einem Rollstuhl auf die Bühne schieben lässt. Im Krankenhauskittel zieht sich Cobain wie ein Greis am Mikrofonständer hoch, jault ein paar Textzeilen und inszeniert einen Zusammenbruch auf der Bühne. Und dann beginnen Nirvana ein atemloses Set, das die ganze mythische Essenz der Band auf den Punkt bringt. Die Band bäumt sich noch einmal ihrer optimistischen, vom Hardcore inspirierten Energie auf, bevor sie ein Jahr später endgültig zur furchtbar traurigen musikalischen Suizidmaschine wird.
Die Band ist in dieser Nacht in außergewöhnlich guter Form. Der mächtige Dave Grohl sowieso, der sichtlich erleichterte Krist Novoselic zupft sich gelassen durch seine doch oft sehr raffinierten Werkstücke und Cobain’s Gemüt scheint mit jedem Stück sonniger zu werden. Anhand der Setliste merkt man schön, wie fast schon unheimlich gut das Niveau eines jeden Nirvana-Songs ist. Mit dem selben Sound durchgespielt, können sich Hits wie Come As You Are oder Single B-Seiten wie Spank Thru problemlos die Hand geben. Auch drei Songs ihres letzten Albums In Utero spielen Nirvana an diesem Abend dem englischen Publikum schon vor. Dumb, Tourette’s und All Apologies. All Apologies widmet Kurt Cobain seiner Frau Courtney Love und bittet das Publikum sie zu grüßen. Ein kurzer unangenehm pathetischer Moment, der mit Blick auf die Zukunft sehr beklemmend wirkt.
![© [[4539491:body_small]]](../../v2static/storyimages/site/fm4/20091250/nirvanareading_body_small.jpg)
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Ansonsten ist es eben diese gute Laune, dieser kurze Moment des Durchatmens, das diesen Auftritt wirklich besonders macht. Und in diesem Moment erfüllt Kurt Cobain auch die Vorbildfunktion, die er damals für unzählige junge Menschen innehatte. Ein gedemütigter, waidwunder, geplagter Außenseiter, der trotz unzähliger widriger Umstände seinen Anfeindungen ins Gesicht spuckt und weitermarschiert.
Das Konzert von Nirvana am 30. August 1992 beim Reading Festival ist auf CD und DVD erschienen.