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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

27. 11. 2009 - 12:40

Dein eigener Popular Song

Nach acht Jahren war das Indie-Urgestein-Trio Yo La Tengo endlich wieder in Österreich zu sehen. Ein Konzert zwischen andächtigerm Schweigen und ausgelassener Stimmung.

Zeitrise inklusive: Zum aktuellen Yo La Tengo Album "Popular Sonngs"

Die Wiener Arena ist gut gefüllt, als das Vorprogramm startet. Auf der Bühne steht, singt, rockt und scherzt das Gespann Amy Rigby & Wreckless Eric, die schräge Singer/Songwriterin aus New York und die elegante Rocklegende aus England, wie Amy sich und Eric mit Augenzwinkern vorstellt. Ihr musikalisches Oeuvre ist eine Mixtur aus Undergroundklassikern und selbstkomponierten Indierockgeschichten, zeitweise mit dem Protestfeeling eines Billy Bragg. Leider war Erics Mikrophon zwischen den Songs derart leise, dass ich seine cleveren und höchst amüsanten Geschichten nur zum Teil mitbekommen habe. Denn eigentlich sind laut Eric Yo La Tengo daran schuld, dass sie hier jetzt im Vorfeld auf der Bühne stehen. Amy präzisiert mit ironischem Charme, sie sei eigentlich nur die Masseurin des Trios aus New Jersey und Eric Wreckless der personal trainer von Sänger und Songschreiber Ira Kaplan, der gestählt und fit uns einer hervorragende Show bieten werde. Zumindest damit hatte Eric Recht.

Yo La Tengo

Radio FM4/Susi Ondrusova

Bassist James McNew betritt mit gelassenem Schritt die Bühne, über deren hintere Wand ein riesiges Tuch gespannt ist. Darauf zu sehen ein Kunstobjekt, das auch die Rückseite der neuen Yo La Tengo Platte Popular Songs ziert. Bunte Knöpfe, gemacht aus eingeschmolzenem Vinyl von Billie Holiday, ein Kunstwerk des Amerikaners Dario Robelto. Die Dekoration passt zu der immer noch psychedelisch und geheimnisvollen Musik von Yo La Tengo. Zwar ist heute alles über jede Band und jeden Musiker dieser Welt via Internet zu erfahren, doch das Urgesteintrio des Indierocks liebt es, ein bisschen Mystik in die Gegenwart herüber zu retten. Eines dieser Mysterien ist für mich dabei der unglaubliche Sound der Band, der nach über zwanzig Jahren zu einer absoluten trademark geworden ist. Egal, was James McNew, Ira Kaplan und Georgia Hubley auch spielen, es wird immer nach Yo La Tengo klingen. Was für andere Acts zum Fluch geworden ist, nützen die drei Musiker/innen, um ihre Genregrenzen auszuweiten. So sind an diesem Abend auch gerade jene Nummern vom Album "Popular Songs", die eher in die soulige Richtung gehen (ein bis dato für Yo La Tengo eher unbekanntes Gebiet) herausragend in ihrem Feeling und gleichzeitig perfekt eingegliedert in die akustische Soundästhetik.

Die Band Yo La Tengo

Radio FM4/Susi Ondrusova

Ebenso vom ersten Song an bestechend ist Georgia Hubley. Ich weiß nicht, ob ich schon einmal eine derart souveräne, groovige und fast schon erhabene Schlagzeugerin gesehen habe. Ihr Spiel, egal ob mit hölzernen Sticks oder Flitzschlägeln, überzeugt durch einen intensiven Groove, der nicht laut sein muss, um einen mitzunehmen und in das Klanguniversum von Yo La Tengo zu entführen. Georgia schafft es sogar bei einer kleinen Akustik Session im FM4 Studio nur mit dem Klopfen auf ihre Oberschenkel einen unglaublich packenden Rhythmus zu generieren. Aber das ist noch nicht alles. Bei dem akustischen Mittelteil des Konzerts setzt sich die sympathische, zurückhaltende Schlagzeugerin auch an die Gitarre, um den wundervollen Song "I'm On My Way", gesungen von Bassist James McNew, zu begleiten.

Auch wenn schon über fünfzehn Jahre vergangen sind, seit ich mein Yo La Tengo Einstiegswerk "Painful" zum ersten Mal auf den Plattenteller gelegt habe, berührt mich Georgia Hubleys Stimme immer noch so, wie damals. Vor allem dann, wenn ich nun endlich die Gelegenheit hatte zu hören, wie ihr zerbrechliches Timbre einen ganzen Saal erfüllt. Aber auch ihre Backingvocals geben den Songs eine wichtige Gefühlsebene hinzu, die zwischen schwermütiger Melancholie und sehnsüchtiger Hoffnung einzuordnen ist.

Die Band Yo La Tengo

Radio FM4/Susi Ondrusova

So wie für mich einige Stücke richtige Highlights sind, einer davon definitiv das wundervolle "Sugarcube" mit James am grandiosen Synthiebass, hat wohl jeder an diesem Abend die Freude, seinen most popular song von Yo La Tengo zu hören. Bei einer Band, die schon zwölf Alben veröffentlicht hat, ist es klar, dass Viele unterschiedliche Einstiegspunkte in das ausufernde Werk des amerikanischen Trios haben. Insofern ist es sehr spannend zu beobachten, dass bei Songs die Jubelrufe aus den verschiedensten Ecken der Arena zu hören waren. Immer wieder breiten sich kleine Begeisterungswelle aus verschiedenen Epizentren im Publikum aus, sodass die Stimmung wie ein Lauffeuer um sich zu greifen scheint. An den ruhigen Stellen im Live-Set herrscht jedoch meist stilles Staunen vor. Eine Ruhe, die alle teilen.

Radio FM4/Susi Ondrusova

Noch unerwähnt geblieben sind die langen, überwältigenden Lärm- und Feedbackepen, für die Yo La Tengo bekannt und beliebt sind. Schon bei der zweiten Nummer "The Glitter Is Gone" fegt der gewaltige Gitarrensound von Ira Kaplan rund fünfzehn Minuten lang über die Köpfe der Fans hinweg. Seine Bewegungen, die harmonisch wohlklingende Feedbacks hervorzaubern, gleichen der einer Marionette. Nicht Ira scheint die Gitarre zu bewegen, sondern umgekehrt. Mit offenem Mund kann man mitverfolgen, wie ein Meister des Noise sein lärmiges Universum kreiert, unterstützt von einem Loop und Delay Pedal, dass die teils rhythmischen, teils melodischen Einzelteile zu einer furiosen wall of sound aufbaut. Das alles funktioniert natürlich nur mit einer perfekt groovenden Basis, wie James und Georgie es sind, die sehr konzentriertes und unglaublich eingespielt Ira den Raum für seine Experimente schaffen.

Die Band Yo La Tengo

Radio FM4/Susi Ondrusova

Fotos: Susi Ondrusova

Es war ein besonderer Abend, nicht nur für uns, sondern auch für Yo La Tengo. Nicht nur einmal kam an diesem Tag die Äußerung, dass Ira, James und Georgia eigentlich gerne zuhause in Hoboken/New Jersey wären, schließlich ist thanksgiving. Und trotzdem hat das Trio diesen Festtag mit uns verbrachht. Vielen Dank dafür.