Erstellt am: 4. 11. 2009 - 18:59 Uhr
Some Sort Of Trip, Teil 2
Simon Amstell ist Held. Wer schon mal seine trüben Gedanken vor der Youtube Startseite geparkt hat und sich aus Langeweile dazu verleitet sah, die Stichworte „funny“ oder „dachshund“ einzutippen, ist bei weitem nicht auf Lach-Kosten gekommen, die die Formel NMTB aka Never Mind The Buzzcocks ermöglicht hätte. Oder Popworld. Simon Amstell war Co-Host dieser Sendung, die ich nur als – eben – Youtube-Link kenne und über die ich nicht viel mehr sagen kann, als dass die dort gefeatureten Interviews mit britischen Pop-Sternchen und Indie-Celebrities wahnwitzig waren. Und mutig natürlich. Wer sich die alten Sendungen für Recherche-Zwecke anschauen will, wird sich sofort wünschen, es würde ein ähnliches Format hierzulande geben.

simon amstell
Diese journalistischen Zusammentreffen haben etwas dreistes und unschuldiges zugleich. Es ist gar nicht so, dass Amstell zwanghaft versucht, sich oder sein Gegenüber zu entblößen, er nimmt sie und die ganze Last der Pop-Profession einfach nicht (über-)ernst. Ob Simon´s Furchtlosigkeit eine Frage des Briefings ist oder nicht, sei dahingestellt, es führt aber z.B. dazu, dass Brian Molko zugibt „very very dull“ zu sein. Andernorts konnte er z.B. Gwen Stefani einreden, der Charity-Organisation Pyjamas For Lamas beizutreten.

amstell
Als Host von Never Mind The Buzzcocks hat er sich vier Staffeln lang kein Blatt vor dem Mund genommen, egal ob ihm Jermaine Jackson oder Bonnie Tyler, Amy Winehouse oder Mel C gegenüberstanden. Apropos Mel C, die hat dem Host hier am besten von allen Gästen kontern können.
Popworld ist u.a. mittlerweile abgesetzt, Simon Amstell hat sich nach drei Jahren als Host der Popquiz-Show Never Mind The Buzzcocks einer Solokarriere zugewandt. Never Mind The Buzzcocks hat jetzt wechselnde Hosts und ist nicht nur NICHT mehr auf Youtube zu finden, sondern hat nach erster Begutachtung auf BBCs Iplayer auch einiges an Witz und natürlich Charme verloren. Ein Teil von Simon Amstell´s Solokarriere heisst u.a. Do Nothing – sein Programm, mit dem er zur Zeit tourt und auch in Glasgow Halt gemacht hat.

fm4 ond
Ich war einigermaßen erstaunt darüber, dass mich der (Vor-)Verkäufer im Pavillion Theatre nicht gefragt hat, für welche Reihe ich meinen Sitzplatz reservieren möchte, er erwiderte sowas wie "Well, this is the last ticket!" und ich verließ dankbar über mein Zufalls-Timing die Schlange.
Nun lasse ich hier genug Geld liegen, um das Reproduzieren von Songs, die ich mir sonst auf Heavy Rotation anhöre, live mitzuerleben. Aber für vorprogrammiertes einstündiges Lachen zahlen? That´s a first, denn mit Kabarett oder so Stand Up Comedians kann man mich eigentlich jagen. Führen wir es einfach auf eine schlechte Kindheit zurück. Unter solch einer hat Simon Amstell nur geographischerweise gelitten. Er ist in Essex aufgewachsen, was dem Publikum einige Lacher abringt, vor allem weil er dort drei Jahre lang in ein und denselben Tanzschuppen gegangen ist ("E V E R Y Saturday"), bis ihm jemand gesagt hat, dass London nicht allzu weit entfernt ist. Haha. Es ging weiters um seine (jüdische) Familie und seine Angst, Männer anzusprechen, die allesamt "very vulnerable" ausschauen müssen, damit er in Fantasialand abdriftet und beim "Hello" nur ein hohes C rausbringt. Die Conclusio dieser einen Stunde war unter anderem, dass manchmal(!), wenn man sich über eine unabänderbare Situation ärgert, der Ratschlag "Do Nothing" die größte Erleichterung bringen kann. Oder eine Flasche Champagner. Gratis.
Jetzt Simon Amstells Witze nachzuerzählen, macht wahrscheinlich wenig Sinn. Es tut mir ehrlich leid, wenn ihr nicht lachen könnt. Diesem Text fehlt natürlich die Körpersprache, der Sprachklang und der dramaturgische Bogen, achja: Interaktion nicht zu vergessen. Ein letzter Versuch: „Is this a CALIPPO?“ Nicht? Okay, wie wärs mit dem: „Do YOU have a black eye?“ Nein? Also wenn man der August-Ausgabe der New York Times glaubt, dann haben (gute) Wissenschaftler festgestellt, dass man sich (gute) Witze nicht merken kann. Warum?

grizzly bear
Weil wirklich gute Witze auf so vielen Ebenen funktionieren, dass man sie nicht auf eine Pointe reduzieren kann und sie eben lang und schwer zu merken sind. Warum ich das weiß? Sicher nicht, weil ich die New York Times abonniert habe, nicht im August, nicht im November, machen wir uns nichts vor. Chris Taylor von Grizzly Bear hat das beim Konzert erzählt. Ich hab mir Grizzly Bear ja nie sehr redselig vorgestellt, aber irgendwas an Ed Droste´s Klimbim-Maschine und ein falscher Hall (zu dem gleich mehr) bei ihrem Konzert vor ein paar Tagen im ABC in Glasgow haben zu längeren Unterbrechungen und Pausen geführt. Dies hat die Band der Stunde (für manche des JAHRES) für interaktive Publikums-Konversation nutzen müssen. Also hat Chris Taylor in die Menge gefragt, wer einen guten Witz kenne. Sie haben sich bemüht, bei der Lautstärke und dem schottischen Akzent etwas Schenkelklopfendes rauszuhören, bis dann der mikrofonierte Schlagzeuger aka Christopher Bear selber einen ausgepackt hat. Also: "How many hippies does it take to screw a lightbulb?" Antwort: "None! Hippies screw in their sleeping bags!" Die New York Times hatte also recht: wirklich GUTE Witze kann man sich nicht merken.

fm4 ond
"What a jokeshow!" warf der Bassist in die Runde, bevor Grizzly Bear ihr Konzert fortsetzen konnten.
Das ABC also, eine herrliche Location mit Sichtkontakt von überall, einer interessanten Bühnen-Beleuchtung bestehend aus Glühbirnen in Glasflaschen, die ein Avantgarde-Altar auch zieren könnten, wenn es so etwas gäbe. Wunderbare Umrandung für St. Vincent, die den Support Act für die aktuelle Grizzly Bear Tour bestreitet. Besser wird’s nicht mehr in diesem Brooklyn-Jahr.

fm4 ondrusova
Als ich in die Halle komme und mich weit weit weg seitlich der überdimensionalen Discokugel (irgendwann knallen die Dinger nach unten, I know!) platziere, spielt schon die Drummachine und Annie Clark schaut nicht glücklich aus. Bricht mit einem Tastengriff ab und erklärt, das wäre so ein Moment, wo sie mit ihrem Schlagzeuger schimpfen würde, nur dass der Schlagzeuger eben sie und ihre elektronische Maschinerie ist. Sie greift also wieder zur Gitarre und spielt sich weiter durch ihr "Actor" Album durch.
Wer manchmal von der A bis Z Auswahl im Plattenladen überfordert ist, sollte sich eine Einkaufsliste nach Produzenten zusammenstellen. Ich bin eigentlich die letzte, die mit einem Produzentenwissen hausieren gehen kann, denn ich kenne nur zwei und es reicht mir: Steve "eh schon wissen" Albini und John "Paper Chase" Congleton. Solche, die von sich sagen, alles was sie tun, sei, die Vision des Künstlers unterstützen, mehr nicht. Es sind Arbeitsoverall-Produzenten, solche die sich auch als Sound Engineers sehen. John Congleton war so einer bei "Actor" von St. Vincent. Auf Albumlänge leben die elf Tracks von der Überlagerung.

fm4 ondrusova
Hier die vokale Grundierung, dort ein Moll-Pinselstrich, da ein Effekt-Klecks. Live ist die Darbietung eine transparente Sache. Es wird geloopt, was das Zeug hält. Mal ersetzt die Gitarre den Bass, mal fungiert sie als Harfe. Bei The Party, dem Abschlusssong des viel zu kurzen Sets kommt dann Grizzly Bears Daniel Rossen auf die Bühne, um am Seitenrand zu zupfen, während sich St. Vincent als Chor multipliziert. St.Vincent hat das Publikum bestens auf das kommende Set eingestimmt. Vielleicht ein bisschen zu gut, denn wenns nach mir ginge, hätten sie die Slots auch umdrehen können. Oder gesammelt als Backing-Band nochmal "Laughing With A Mouth Of Blood" performen können. Aber nichts da.

fm4 ond
Die Instrumente sind in einer Linie aufgestellt. Die äußeren Flügel verteidigen Christopher Bear, der Schlagzeuger und Chris Taylor der Bassist, die Mitte teilen sich Ed Droste und Dan Rossen. Mit "Veckatimest" haben sie ein Album vorgelegt, das so ziemlich alles, was aus der eklektischen gitarrenbasierten Pop-Ecke des Jahres kommt, in den Hintergrund stellt. Ja, Pop.

fm4 ondrusova
Some Sort Of Trip
...Teil 3 dann bald mit ein paar Gedanken zu Bill Drummond und/oder Yo La Tengo´s Gastspiel in Glasgow.
Es ist süß, es ist verliebt, es hat Melodie und einen Faden. Okay, mehrere Fäden. Nur Klatschen kann man anscheinend schwer dazu, das ist vielleicht das einzige, was neben der dreifachen Mikrofon-Austausch-Aktion nicht funktioniert hat an diesem Abend. Das aufgeregte Publikum, das nach jedem Song aus verschiedenen Richtungen verzückte Ohs und Ahs in Richtung Bühne schrie, hat bei "Ready, Able" gemeinsam in die Hände geklatscht. Alleine aus dem Dolby Surround Echo, das entstanden ist, als sich die klatschenden Hände im Taktwechsel verloren haben, könnten Grizzly Bear mindestens eine B-Seite herausschlagen.
Ich hoffe, wenigstens diese Pointe kommt an.