Erstellt am: 30. 9. 2009 - 18:22 Uhr
"Platz des Judenhasses"
Ottokar Kernstock (1848 - 1928) ist anscheinend ein sehr wichtiger Teil der österreichischen Geschichte. Warum sonst sollten so viele Straßen nach dem steirischen Dichter und Priester benannt sein. Kernstock hat für die Fürstenfelder Ortsgruppe der deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei das Hakenkreuzlied geschrieben, sich aber nicht als "Hakenkreuzler" gesehen. Wie auch immer man das verstehen soll. Er dichtete jedoch gerne über die "deutsche Donnereiche" (die den "Slawenlinden" wohl erbguttechnisch überlegen war) oder gegen die "Serbenbrut" und die "Hunnenpest". Kernstock hat auch den Text zur österreichischen Bundeshymne der Ersten Republik geschrieben. Vielleicht wird dieser kriegstreiberische Pfarrer (sic!) deswegen so gerne als Namenspatron genommen: In Graz gibt es etwa eine Kernstockgasse, in Hartberg heißt die am Kernstockplatz beheimatete Volks- und Hauptschule Kernstockschule und zwei Berghütten müssen auch seinen Namen tragen. Der Wiener Kernstockplatz wurde 1992 nach langen Diskussionen in Familienplatz umbenannt.
Why the streets have their names
ist ein Projekt der FH Joanneum, in dessen Rahmen Studierende die historischen Ursprünge der Grazer Straßennamen recherchiert haben. Ihre Ergebnisse, mehr als 300 Datenbankeinträge, sind in Texten und Videoreportagen festgehalten.
Dabei wird dargestellt, wie Straßennamen als Indikatoren von Weltanschauung die kollektive Wahrnehmung einer Stadt prägen.
Besonders gerne wird in Österreich nicht umbenannt. Dabei werden meist praktische Gründe genannt, weiß Heinz Peter Wassermann vom Grazer Projekt Why the streets have their names: "Es müssten die Stadtpläne geändert werden, dann brauchen die Straßen und Häuser neue Schilder und so weiter. Das sind Pseudoargumente." Denn Stadtpläne müssen immer wieder aktualisiert werden, Straßenschilder müssen auch mal ausgetauscht werden und wer umzieht, kann Visitenkarten und Briefpapier auch wegschmeißen.
Kommissär Arnezhofer
Es gibt noch genug Straßen, deren Namen wenigstens umstritten sind. Erst vor Kurzem hat es eine Protestaktion gegen den Namen der Arnezhoferstraße im 2. Bezirk in Wien gegeben. Johann Ignaz Arnezhofer wurde von Kaiser Leopold als "Kommisär zur Ordnung israelitischer Angelegenheiten" geschickt und war 1669 für die Vertreibung der Juden aus dem Bezirk mitverantwortlich. Es ist historisch umstritten, ob Arnezhofer nun überzeugter Antisemit war oder einfach die Befehle seiner Kaisers umgesetzt hat, was an seiner Beteiligung an der Vertreibung natürlich nichts ändert. Interessantes Detail der Vertreibung: Von den mehr als 3000 damals in der Leopoldstadt ansässigen Juden ist niemand konvertiert, um doch in Wien bleiben zu dürfen.
Michael Fiedler Radio FM4
Der Zweite Bezirk hat das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes damit beauftragt, die Straßennamen zu überprüfen und anschließend auch zwei Gassen umbenannt. Aus der nach dem Nationalsozialisten und späteren ÖVP-Politiker benannten Heinrich-Maxa-Gasse wurde die Marathongasse, die dem Dichter und NSDAP-Mitglied Franz Ichmann gewidmete Gasse erinnert jetzt an Simon Wiesenthal. Die Arnezhoferstraße ist der letzte verbliebene Streitpunkt.
Bezirksvorsteher Gerhard Kubik von der SPÖ ist gegen eine Umbenennung: "Der damalige Antisemitismus hatte nur mit der Religion und nichts mit der 'Rasse', wie es die Nazis bezeichnet haben, zu tun." So wäre jede Verfolgung damals mit einer christlichen Taufe beendet gewesen. Über die kategorialen Unterschiede von Antisemitismus im Laufe der Geschichte lässt sich trefflich streiten - die Ideologie des Nationalsozialismus hat jedenfalls auf historischen Vorurteilen aufgebaut. Doch für Gerhard Kubik müsste bei einer Umbenennung der Arnezhoferstraße aber auch der Name des Zweiten Bezirkes, Leopoldstadt, zur Diskussion stehen - schließlich war es Kaiser Leopold, der die Juden aus dem Bezirk vertreiben ließ - und das geht dann doch zu weit.
Obwohl: Die Leopoldstadt ist nicht nach Kaiser Leopold I., sondern nach dem Markgrafen Leopold III. benannt, der mehr als 500 Jahre vor besagter Judenvertreibung gestorben ist.
Michael Fiedler Radio FM4
Auch der Dr.-Karl-Lueger-Ring ist seit langem umstritten, hatte doch der Politiker (1844 - 1910) seinen Aufstieg zum Wiener Bürgermeister seinem Antisemitismus zu verdanken.
Der Historiker und Direktor der Hietzinger Volkshochschule Robert Streibel hat ein weiteres Wiener Beispiel: Die Sebastian-Brunner-Gasse, benannt nach - schon wieder - einem katholischen Priester und Dichter (1814 - 1893), der laut Historikern Begründer des modernen Antisemitismus war. Von ihm stammen etwa folgende Gedichtzeilen:
"Zerstreut sind sie allüberall
wie eine Bombe zerspringet
wie mit Guano ist alle Welt
mit Judenschmutz gedünget"
Doch auch Streibel spricht sich gegen Umbenennungen aus.
Eine eigene Straße bekommen nur Menschen, die zum Zeitpunkt der Benennung als wichtige Persönlichkeiten wertgeschätzt werden. Streibel: "Wenn ich den Namen ändere, tilge ich das. Das ist reine Kosmetik. Straßenkosmetik." Und damit hat er recht. Viel zu oft und viel zu gerne wird die österreichische Geschichte verdrängt. Und was anderes ist die Umbenennung einer Straße? "Nach zwei, drei Jahren weiß niemand mehr, wie die Sache eigentlich geheißen hat. Aber das ist doch schade, weil sich Dinge wie Antisemitismus können mit Umbenennungen nicht aus der Welt schaffen lassen", sagt Streibel. Er plädiert für eine andere Idee, die auch schon seit längerem diskutiert wird: Zusatztafeln sollen bei umstrittenen Namensgebern auf deren Geschichte hinweisen. Manchmal - wie in der Arnezhoferstraße - kommen diese Tafeln von Privatpersonen, sonst streiten die politischen Fraktionen Jahrzehnte über den konkreten Text.