Erstellt am: 24. 9. 2009 - 18:03 Uhr
Die Faust Gottes spüren
Als MSTRKRFT das letzte Mal in Österreich waren, suchten
Jesse F. Keeler und Al-P für ein FM4 Gästezimmer ausschließlich Dance Hits aus, nur um sie dann zu entzaubern und uns gleich darauf das vermeintliche Original unter die Nase zu reiben. Vor allem auf ihre französischen "Genrekollegen" Daft Punk hatten sie es abgesehen, denn nicht nur verwendete Samples wurden hörbar, sondern sogar Teile von Songstruktur wurden von den Franzosen einfach übernommen.

Mstrkrft
Umgekehrt kann man diese "Sample-Entzauberung" bei MSTRKRFTs neuen Album "Fist Of God" nicht anwenden. Was sich allerdings leider nicht ganz vermeiden lässt, ist eine breitere Genrediskussion und historische Referenzklauberei. Dem zu begegnen, genau darin liegt wohl die Stärke des dynamischen Duos.
Wenn der Sägezahn nagt
Es ist ein gemeiner Sound, der das Album eröffnet. Wie eine Motorsäge schneidet sich der verzerrte Synthiebass in die Gehörgänge, während Sängerin Lil'Mo uns verklickert, dass wir keine Ahnung von der Liebe haben. Fette, stampfende Beats, klirrende Becken und ein simpler 4-to-the-floor Rhythmus bestimmen nicht nur die Gangart des Eröffnungstracks "It Ain't Love". Auch Stücke wie "So Deep" mit Gastsänger Jahmal von den Landsmännern The Carps oder der Titeltrack "Fist Of God" radieren mit ungebremster Brachialität über den Tanzboden. Die sich ständig zum 4/4 Beat modulierende Basslinie deckt oft alles zu und wird nur durch zeitweiliges E-Piano oder fiepende Analogsynthies gebrochen. Und wenn dann gleich darauf der Kalifornier E-40 zu "Click Click" seinem Rap freien Lauf lässt, dann wird dazu tief in die Elektro-Rock Effektkiste gegriffen. Alles zerrt erneut am Trommelfell, wobei nicht die E-Gitarren gewürgt werden, sondern die analogen Klangerzeugungsmaschinen.

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Der sogenannte "Popappeal" von MSTRKRFT, dem sie laut Jesse unbewusst auch auf diesem Album gefolgt sind, schlägt sich in dem dreieinhalb-Minuten-Format ebenso nieder, wie an der Anzahl an Gaststimmen und RapperInnen. Dabei ist "Heartbreaker" einer der wenigen Momente, bei dem auch die Popharmonie bemüht wird. Passend zum geradlinigen Klaviertanzbodenfeger erklingt die charismatische Stimme von R'n'B Star John Legend, sicher eines der Highlights von "Fist Of God". Was sich ein paar Minuten davor bei "Vuvuvu" allerdings abspielt, lässt sich am ehesten unter "technoid" einordnen, wobei hier strukturelle Verlangsamungs- und Steigerungseffekte ausgenützt werden, die unter anderem durch "Konkurrenten" wie Daft Punk schon vor vielen Jahren Einzug in die Clubs erhalten haben.
Aus mitteleuropäischer Sicht durchzieht - neben mittlerweile alten New Rave Anleihen - ein gewisses Retrofeeling die zweite MSTRKRFT Platte, wobei Jesse F. Keeler und Al-P aus nordamerikanischer Perspektive auf die Entwicklung der elektronischen Musik blicken.
Jesse: "Ich habe unsere Szene schon die letzten Jahre genau beobachtet und sie hat sich gegenüber - sagen wie mal - Technoaspekten geöffnet. Aber davor, mein Gott, da konnte sich kaum jemand dafür begeistern. Daher ist es lustig mit anzusehen, wie Nordamerika versucht, den Anschluss an Europa zu finden, wenn es darum geht, Dance Musik zu schätzen. Und das hat natürlich mit einer unterschiedlichen Musikgeschichte zu tun."
The most american record
Der "Retroeffekt" spiegelt sich auch auf einer anderen Ebene, einem sehr bewusst gesetzten Ziel von Jesse und Al-P.
Jesse: "Unser grundlegendes, musikalische Ziel war, die amerikanischste Elektroplatte zu machen, die es gibt."

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Und schon geht es los mit musiktheoretischen Abhandlungen und analytischem Musikmetadiskurs, stellt sich nach so einer Aussage doch zwangsläufig die Frage, was für das Produzentenduo "amerikanische Elektromusik" ist. Die Antwort und daraus entstehenden Monologe lassen sich schwer in wenigen Aussagen zusammenfassen, aber Al-P versucht, es auf den Punkt zu bringen:
"Rap und R'n'B sind die größten und mächtigsten Genres in Amerika. Und es ist wahrscheinlich die Musik, die am meisten elektronisch ist, in Bezug auf die Produktion. Ein Typ sitzt an einem MPC oder Computer und programmiert mit ein paar Samples einen Beat. Dazu kommt noch ein MC und fertig. Ich weiß gar nicht, ob die Bezeichnung elektronische Musik überhaupt noch zutreffend ist."
Jesse: "Ich glaube es ist passender, wenn man von Dance Musik spricht. Denn der Unterschied zwischen verschiedenen Typen elektronischer Musik sind das Tempo und die Rhythmusmuster. Im Endeffekt sind es immer Menschen, die den Beat programmieren. Es ist wirklich witzig. Als Al und ich darüber gesprochen haben, was wir neues machen könnten, ging es immer darum, welches Rhythmusmuster wir verwenden wollen. Und für dieses Album war es die Bassdrum geradtaktig laufen zu lassen."
Zeitlosigkeit auf Anschlag
Der R'n'B und Rap Einfluss lässt sich sehr leicht an den GastvocalistInnen festmachen. Und das "Konzept" des straighten Beats wird auch konsequent vom ersten bis zum letzten digitalen Schlag umgesetzt. Aber genau daran krankt auch "Fist Of God", wenn man es als Album betrachtet. Von der ersten Minute an sind alle Regler auf Anschlag und durch das Ineinandermischen der Tracks gönnen MSTRKRFT uns bis zum poppigen "Heartbreak" keine Ruhepause, sondern fetzen uns ihren knatzenden Dancesound um die Ohren. Die restliche halbe Stunde der Platte geht es in gleicher Intensität weiter, wobei die fast ausschließlich analog generierten Sounds in bandähnlicher Manier aufgenommen worden sind. So wie man vor dreißig Jahren ein Album aufgenommen hat, meint Al-P.

Florent Brunel / www. florentbrunel. com
Dieser Live-Effekt funktioniert genau dann perfekt, wenn in einem DJ-Set plötzlich die Sägezahnbässe und übersteuerten Beats hinein krachen, sich das soulige Timbre der Gaststimmen über die schrillen Synthies legt und die Faust des "Rave-Gottes" auf den Tanzboden niedersaust. Für solche Momente haben MSTRKRFT elf starke Soundgewitter in der Tasche, die sie ungebremst über die tanzwütige Masse hereinbrechen lassen können. Wer knappe vierzig Minuten lang die Beats auf sich herab prasseln lässt, der wird zwar vielleicht nicht bis auf die Knochen nass, die Nervenbahnen könnten dann allerdings schon blank liegen.