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Michael Fiedler

Politik und Spiele, Kultur und Gegenöffentlichkeit.

23. 9. 2009 - 18:55

Netzpolitik ≠ Politik im Netz

Im Deutschen Wahlkampf werden die Jungen wieder politisch, weil die Alten keine Ahnung von Computern haben.

Die großen deutschen Parteien, die CDU/ CSU und die SPD, tun sich mit dem Thema Internet und allem, was so dazugehört extrem schwer. Beispiel Twitter: SPD-Spitzenkandidat Frank Walter Steinmeiers letzter Tweet ist vom 24.08., CDU-Spitzenkandiatin Angela Merkel ist viel schwerer als ihr böser Zwilling zu finden. Die Wahlkampfauftritte der beiden im Netz wären an sich herzlich wurscht, stünden sie nicht stellvertretend für die Politik ihrer Parteien.

Denn die beiden (Noch-)Regierungspartner setzen bei ihrer Netzpolitik auf Scheinlösungen, anstatt sich ernsthaft mit den gar nicht mehr so neuen Herausforderungen des gar nicht mehr so neuen Mediums auseinanderzusetzen. Bereits seit Anfang 2008 werden die Kommunikationsdaten aller Deutschen für sechs Monate gespeichert. Das entsprechende Gesetz beruht auf einer EU-Richtlinie, die aber unter Umständen der deutschen Verfassung widerspricht (der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat eine Verfassungsklage gegen das Gesetz eingebracht, über die vielleicht schon in den nächsten Monaten entschieden wird).

Die deutsche Bundesregierung hat die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aber in vorauseilendem Gehorsam trotz aller Vorbehalte erst einmal umgesetzt. Auf die gespeicherten Daten haben natürlich auch die zur Speicherung verpflichteten Unternehmen, die Provider, Zugriff.

Denn ganz ähnlich wie in Österreich, haben auch in Deutschland Konzerne wie die Deutsche Bahn oder die Telekom ihre Mitarbeiter systematisch bespitzelt. Kein Politiker hat sich angesichts der Mitarbeiterspionage auf die Seite der beschuldigten Konzerne gestellt, wäre ja auch blöd. Es hat sich aber auch keiner gefragt, ob der Überwachungswahn der Unternehmen nicht staatsinduziert war. So wird Unrechtsbewusstsein unterminiert.

Bist du für Kinderpornos?!

Der nächste großen Wurf ist dann im April 2009 von der deutschen Familienministerin Ursula von der Leyen gekommen. Sie hat sich dem Kampf der Kinderpornographie im Internet verschieben. Eine an sich hehre Sache, die mit dem Zugangserschwerungsgesetz aber völlig in die Hose gegangen ist und der Ministerin den Spitznamen Zensursula gebracht hat. Das Gesetz erlaubt es dem Bundeskriminalamt, eine geheime Liste mit Websites zu führen, die Kinderpornos anbieten. Will ich eine dieser Seiten laden, schickt mein Provider dann nur eine Seite mit einem Stoppschild und einer Warnung über die Inhalte der Seite. Blöd nur, dass sich das Stoppschild ganz leicht umgehen lässt und in Ländern, in denen das System bereits angewendet wird, jede Menge Seiten auf dem Index landen, die mit Kinderpornos nichts zu tun haben. Der deutsche Medienaktivist Ralf Bendrath vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung gibt ein Beispiel: "In Australien war eine Zahnarztpraxis auf der Liste. Da hat jemand die Seite gehackt und offensichtlich etwas angeboten. Das war aber längst wieder weg, der Zahnarzt aber trotzdem noch auf der Sperrliste." In Finnland sind laut Arkeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur auch Seiten auf dem Index gelandet, "die sich kritisch mit den dortigen Internet-Sperren auseinandersetzen."

Bendrath: "Das Problem ist eben, dass damit eine grundsätzliche Internetzensurinfrastruktur aufgebaut wird. Da gibt es auch keinen Richter, der das genehmigen muss und die Leute, die diese Websites betreiben, werden nicht einmal über die Sperre informiert."

Dabei wäre der Kinderpornographie im Netz relativ einfach beizukommen: Der Arkeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur hat versuchsweise die Provider solcher gesperrter Seiten angeschrieben und sie darüber informiert, was sie da hosten. Das Ergebnis: Mehr als zwei Drittel der Provider haben auf die Mails reagiert, die beanstandeten Seiten überprüft und gegebenenfalls vom Netz genommen.

Die Mehrheit der von der Polizei gesperrten Seiten haben aber laut Angaben der Provider gar keine Kinderpornos enthalten.

Freiheit statt Angst

Zwei Beispiele aus einem ganzen Konvolut unhinterfragter netzpolitischer Überwachungsmaßnahmen, zu der die unhinterfragte Weitergabe von Flug- und Bankdaten an fremde Geheimdienste oder die geheime Durchsuchung von Computern ebenso gehören wie die unvernetzte Überwachung durch mit RFID-Chips ausgerüsteten Ausweisen oder möglichst flächendeckende Videobeobachtung.

Freiheit statt Angst war dann auch das Motto einer Demonstration, zu der sich zwei Wochen vor der Bundestagswahl über 20.000 Leute in Berlin zusammengefunden haben.

Wie weit dieser Überwachungswahn in Deutschland geht, verdeutlichen zwei herrlich polemische Videos, die sich leider in ihrem Propagandacharakter nicht sehr von der Argumentation der Verteter der Big-Brother-Fraktion unterscheiden:


Auf das Wahlergebnis werden wahrscheinlich weder die Netzpolitik der verschiedenen Parteien, noch Petitionen und Demos großen Einfluss haben. Aber: Die Protestbewegungen, die sich über das Internet formieren und in der Piratenpartei manifestieren machen den großen und noch mehr den nicht ganz so großen etablierten Parteien ordentlich Druck, sich differenzierter mit dem „neuen“ Medium auseinanderzusetzen. Und die Jugend ist übrigens wieder politisch.