Erstellt am: 15. 9. 2009 - 17:19 Uhr
Eat what you kill

Siegfried A. Fruhauf
Die beiden Polizisten, die bis auf die Zähne bewaffnet an der Kreuzung Wall Street/Broad Street vor dem Denkmal George Washingtons und mit Blick auf die Börse stehen, sind eine Touristenattraktion. In allen Sprachen der Welt ruft man ihnen "Cheese" zu und knipst sie mit Verwandten oder Freunden ab, um sie dann etwa nach dem Weg zum Financial Museum zu fragen.

Siegfried A. Fruhauf
Dort wiederum hängt eine Crisis Timeline an der Wand, vor der ein ehemaliger Börsenmakler steht und mit harschen Worten das System verurteilt. Ein System, das intern von niemandem kritisch betrachtet wird, weil jeder nur darauf bedacht ist, möglichst viel Geld zu verdienen.
Ein Touristenführer erzählt einer Schulklasse, dass die Straßenschilder der Wall Street höher hängen, weil junge Trader sie gerne mit nach hause nehmen. Aus Stolz, es an die Wall Street geschafft zu haben.
Eat what you kill lautet die Devise an der Wall Street. Wer einen Deal erfolgreich abschließt, zieht den finanziellen Erfolg daraus. Das Salär an der Wall Street setzt sich aus einem verhältnismäßig geringen Grundgehalt und dem jährlichen Bonus zusammen. Das durchschnittliche Grundgehalt des durchschnittlichen Wall Street Mannes beträgt 100 bis 150.000 Dollar im Jahr. Der jährliche Bonus kann ein zehn- bis zwanzigfaches des Grundgehalts sein kann.

Siegfried A. Fruhauf
Eat what you kill - der Gewinn an einer Spekulationen gehört dem, der die Spekulation tätigt. Auch die kurzfristigen, flüchtigen Gewinne, jene die sich im letzten Jahr als Schein entpuppt haben, wurden an die Banker ausbezahlt. Goldman Sachs (auch als Goldmine Sachs bekannt) war die erste Investmentbank, die im Rekordjahr 2006 ein Durchschnittsgehalt von über einer halben Million Dollar ausbezahlt hat. Doch auch 2009, nach dem Desaster des vergangenen Jahres - Massenentlassungen, Milliardenverlusten und Übernahme dieser Verluste durch den Staat - zahlen die Banken Boni aus. Bereits im Jänner hat Präsident Obama die Bonuszahlungen als beschämend bezeichnet, in seiner Rede zum Jahrestag der Lehman-Pleite beklagt er, dass die Wall Street nichts aus der Krise gelernt hat.
Die Börse selbst ist wie ein Staat im Staat, bis zum Trading Floor muss man drei Sicherheitskontrollen überwinden. Grundlos, quasi nur um zu schauen, darf ohnehin niemand hinein.
Unweit der Börse gibt es einen absurden Ort. Eine öffentliche Halle, mitten in der Wall Street, im Gebäude der Deutschen Bank, wo im Eck Penner liegen, andere Schach spielen und dazwischen Männer im Anzug sitzen und in ihre Tastatur hauen.

Siegfried A. Fruhauf
Hier treffe ich Michael, seinen Nachnamen verrät er mir nicht, ein 21-Jähriger, der seit ein paar Monaten an der Börse arbeitet. Er trägt eine Zahnspange, aber die Devise Eat what you kill steht im ins Gesicht geschrieben. Sie stammt aus dem Jagdjargon und bedeutet, man soll nur das töten, was man auch essen kann. Aber der Mensch ist gierig. Mit 25 möchte Michael Millionär sein. Denn an der Wall Street wird nicht nur gekündigt, mittlerweile wird auch wieder angestellt. Als Zeichen, dass die Risikobereitschaft wieder zurückgewonnen ist. Und weil die jungen Trader aggressiver, billiger und frischer sind. Für jeden, den sie kündigen, erklärt mir ein mittlerweile arbeitsloser Banker, stehen vier oder fünf "Kids" auf der Matte, die bereit sind, sich für ihre Träume umzubringen.

Siegfried A. Fruhauf
Als Lehman Brothers vor einem Jahr über Nacht Konkurs angemeldet hat, haben innerhalb weniger Tage fast 25.000 Menschen ihren Job verloren. In den folgenden Monaten ist kein Tag vergangen, an dem nicht Menschen mit verdutzten Gesichtern und Kisten unterm Arm die Gebäude berühmter Investmentbanken verlassen haben. Mittlerweile sind 200.000 Stellen an der Wall Street gestrichen worden. Man muss sich wahrscheinlich um keinen dieser Arbeitslosen Sorgen machen. Aber - wo sind sie hin?
Zum Beispiel in die Hamptons: Sofort nachdem Susan Vecsey nach elf Jahren am Trading Floor der Citibank gekündigt wurde, ist sie in ihr Haus in East Hampton gezogen, um monatelang nur zu Malen: Landschaften, genauer gesagt schematische Horizonte in einer Art Wasserfarbentechnik.

Siegfried A. Fruhauf
Im Mai diesen Jahres hatte sie ihre erste Ausstellung, ein Kunstkritiker der New York Times hat ihre Arbeiten als "subtil und schön" bezeichnet.
In den Zeitungen sind zahlreiche Karriereoptionen für arbeitslose Wall Streeter zu finden, von Butlerservice über Aktenvernichtung bis hin zur Mitarbeit bei der Eventagentur Send in the Clowns. Aber trotz mehrmaliger Anrufe beim und mehrmaliger Bestätigung durch den Clownverleih ist es mir nicht gelungen, einen Wall Street Banker mit roter Nase zu finden.
Andrew Luan wurde im April von der Deutschen Bank gekündigt. Seitdem nutzt er sein Insider-Wissen als Touristenführer. Er bietet Wall Street Crisis Touren an, die gegenüber der Börse beginnen. Am Weg durch den Financial District erklärt er, was "toxic assets" sind und wie sie die Krise heraufbeschwört haben und plaudert aus dem Nähkästchen des Börsenmakler.

Siegfried A. Fruhauf
Stephen Chen und Iris Chau, beide haben eine Karriere bei Bear Stearns hinter sich, haben ein Unternehmen gegründet, "a company with a social heart", wie Stephen sagt. Greensoulshoes produziert Sandalen aus Autoreifen und verkauft diese in Boutiquen in New York und via Internet. Pro verkauftem Sandalenpaar geht ein weiteres Paar an ein schuhloses Kind in der dritten Welt, etwa in den Philippinen, wo ein Produktionsort der Sandalen ist.
Die Wall Street ist ein Touristenmagnet. Rund um die Börse wird nach dem Handelsprinzip Erhöhe die Quantität, dann reduziert sich der Einzelpreis mit Souvenirs wie T-Shirts, Miniatur-Freiheitsstatuen oder kleinen Wall Street Schildern gehandelt. Nebenan, in der hermetisch abgeriegelten Börse werden derweil Milliarden verschoben.
Tipp
Die Serie von Anna Katharina Laggner über die Wall Street und arbeitslose Wall Street Banker ist bis Donnerstag, 17. September 2009 in der Homebase (19-22) zu hören.