Erstellt am: 28. 8. 2009 - 10:43 Uhr
Die Miete im Turm der Lieder

ondrusova
Da waren wir nun, unter strahlendem Himmel vor einem leuchtenden Vorhang. So musste er aussehen, der Turm der Lieder. Und sein Priester würde Leonard Cohen sein, auf der Bühne, die vor ein paar Jahren noch die wichtigste Festivalbühne Österreichs gewesen war und die sich nun als Mietplatz für Salsaabende und australische Pink Floyd Coverbands verdingen muss.
Lange hatten wir uns gefreut auf das Konzert des großen Alten, den man schon den Rest seines Lebens in einem Kloster gewähnt hatte. Wäre er nicht um Geld betrogen worden, wäre er wohl auch nicht auf diese Tour gegangen, die ihn seit zwei Jahren die Hallen der Metropolen ausverkaufend durch die Welt führt.
Und man hat gewusst, von Gerüchten und der englischen Presse: Da bleibt kein Wunsch offen. Cohen spielt alles, spielt lange, ist gut drauf, sieht aus wie "eine Mischung aus Humphrey Bogart und einer Galapagos Schildkröte" (Guardian) und führt durch den Abend wie eine Mischung aus großzügiger Gastgeber und willkommener alter Freund.
Cohen? Ja!

ondrusova
Und so war es. Kein einziges Lied von Cohen hat gefehlt: "Suzanne", "Who By Fire", "So Long Marianne", "Chelsea Hotel" aus der Phase, als der unrasierte, depressive "Ladies Man" mit Innensicht und unter Düsterkeit verstecktem bitteren Humor die wichtigsten Schlafzimmerplatten der ausgehenden Hippiezeit aufgenommen hatte, die auch der Soundtrack zu Liebe und Beziehungsfrust meiner eigenen Eltern und ihrer Freunde in den 70ern gewesen waren. "Take This Waltz", "Tower Of Song" und "I'm Your Man", die späten Parodien auf eben diese Phase. "Miracle", "Everybody Knows" und vor allem das bibelschwere jüdische Rachelied "First We Take Manhattan" aus der musikalisch unglücklichen aber lyrisch unvergleichlichen späten Phase seines Schaffens - schließlich das abseits stehende, rätselhafte "Hallelujah": Er gab uns alles und einige Tränen tropften auf die hartgesottenen, festivalerprobten Baumstumpfpflaster im Wiesener Zelt.

fm4/ond
Und die Menge kannte jedes Wort, jede Silbe und er blieb keine schuldig. Das Publikum - wir, sogar ich, waren ausnahmsweise in der unteren Hälte des Altersspektrums - dankte es ihm, trotz ärgerlich lächerlicher Lautstärke mit leisem Mitsummen seiner melancholisch genauen Gefühlszeilen. Die Leute lagen einander selig in den Armen zu dem tiefen Summen des Priesters der Liebe, dessen tiefem Summen sie in ihrer eigenen Liebe immer einen Platz erhalten hatten.
Band? Nein

fm4/ond
Nennt mich Indie Spießer, aber selbst und gerade bei so einem wichtigen und sakral gehaltenen Abend braucht man eine andere Band. Die Referenzliste der KünstlerInnen, für die die enzelnen Bandmitglieder der Cohen Tourband noch gearbeitet hatten, liest sich wie ein Schreckenskabinett: Sting, Bo-Deans, Barry Manilow, Lionel Ritchie, Jennifer Warnes, Roben Ford... Ausnahme ist der spanische Lautist, der das selten zu hörende Instrument Bandurria so spielte, wie man das in Spanien offenbar so spielt. Alle ausser ihm bemühten sch redlich und routiniert, die knorrig-überzeugte Performance des Alten mit eklig- glatten Studiomusiker - Sounds zuzukleben, die aus einem weggeworfenen Backingtrack aus einem 80er Jahre Kokser Studio in Los Angeles destilliert zu sein schienen, auf dem "lyrisch" oder "ergreifend" draufgestanden hatte - Lyrisch und ergreifend, klar, toll, das nehmen wir, kostet nicht viel und ist ja egal, wenn Michael Bolton das nicht wollte...

fm4/ond
Das Clowngetue des Saxers erinnerte an alte Tina Turner Videos und das akrobatische Starmania Geknödle, das gerne mit Soul verwechselt wird, kommt offenbar überall gut an - ich halte es auch nicht von Sharon Robinson aus, eine, die so etwas Tolles wie "Everybody Knows" mitgeschrieben hat.
Es war eben viel von Cohens später Musik, als er sich offenbar mehr um seine eigene Spiritualität und die richtigen Worte als um die Töne und ihre Referenzen gekümmert hatte, also seiner Musik ab seinem 50. Lebensjahr, von eben dieser Sharon Robinson und ihres Versuchs "modern" zu "grooven" derartig in ebendiese Zeit hineinzementiert worden, anstatt sie, wie es sich für einen in Jahrhunderten denkenden Priester gehört, zeitlos zu gestalten.

fm4/ond
Wer das verpasst hat und noch ein wenig Festivalabenteuerlust verspürt: Heute abend spielt Leonard Cohen in Bratislava und übermorgen in Budapest - auch nicht viel weiter von Wien weg als Wiesen und allemal eine Reise wert.
Diese Sounds waren eben das Risko dieses Abends. Manchmal war der Sound dann auch nicht auszuhalten, manchmal (nein eh fast immer) grummelte der Alte etwas von der Magie hinein, die er alleine mit der Nylonsaiten-Gitarre einmal so gut festhalten hatte können, dass sie Generationen von Liebespaaren und deren Eltern als die allerbeste Anlehnmusik erschienen waren.
Aber das nur nebenbei, Sound nur nebenbei. Cohen ist das Wort und das Wort war Cohen. Er rezitierte, flüsterte, sang und zitterte sich durch die zarten Worte über und für Frauen "mit Rosen zwischen den Zähnen", die er einmal für Marianne Faithfull oder Nico verfasst hatte, um versteckt auch fallenzulassen, dass die "Reichen einen Kanal im TV der Armen" besitzen, die "Guten den Krieg verloren" haben (was "jeder weiß") und er schließlich nur "für unser Lächeln arbeitet" um seine "Miete im Turm der Lieder" zu bezahlen. Allein für diese bitteren Hinterlistzeilen, die er sanft ins Gebet streut, gebührt ihm erneut der gezogene Hut, mit dem er uns als "Freunde" in die Nacht entlassen hat.