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Gerlinde Lang

Innerlichkeiten. Äußerlichkeiten.

22. 8. 2009 - 15:51

FM4 Frequency Green Stage am Freitag.

Schau in dein Herz und finde die Liebe: Little Boots, Grace Jones, Marc Almond und Kettcar.

Als ich die Augen wieder aufmache, steht Little Boots auf der Bühne.

Little Boots

Sie hat ihre Band mitgebracht, und ihr Lieblingsinstrument, das Tenori-On, das mit seinen 16x16 Leuchtknöpfen tönt und blinkt, und das vermutlich sogar bei Little Boots im Bett schlafen darf. Was Victoria Hesketh hier um den Hals trägt, ist ein Stylophon. Das Stylophon macht brummbrumm, erklärt Hesketh, und erzählt vom britischen Star Rolf Harris, der auch ein Stylophon verwendet hat und durch das Lied "Tie me Kangaroo down, Sport" bekannt geworden ist und durch Mal- und Zeichensendungen für Kinder im Fernsehen. "Kennst du bestimmt!", sagt Little Boots. "Man lernt nie aus", sage ich. "Such Rolf Harris auf Google", sagt Little Boots, "es wird dein Leben verändern."

Radio FM4 / Christian Holzmann

Man sieht es nicht, aber Little Boots hat unfassbar hohe goldene Slingback- Plateaustöckler an. "Ich bin klein, ich trage Stöckel, seit ich 13 bin", sagt sie. "Style before comfort, always. I'm always in pain on stage." Sie dreht ironische Gott-weiss-Augen zum Himmel und seufzt: "Oh, how I suffer for my art."

"Life's too short for dressing down", schreibt mir Little Boots ins aufgehaltene Stammbuch. Hier trägt sie ein Kleid, das für ihr Video zu "Remedy" geschneidert worden ist. "Wär doch schade gewesen, das nur ein einziges Mal zu tragen." Little Boots kann sich noch genau an ihr erstes Bühnenoutfit ever erinnern. Rosa und weiß, mit einem kleinen Hut, da war sie zwei Jahre alt. Ihr erstes Outfit als Little Boots war etwas schwarzes mit riesiger Kapuze und einem Gürtel - "Sexy Jedi, kind of."

Radio FM4 / Christian Holzmann

Seltsame Mächte bringen Little Boots auch dazu, am Flughafen Heathrow immer bei der Schuhkette "Kurt Geiger" einzukehren und drei Paar Schuhe zu kaufen. "On monday I'm moving house, I need a shoe truck. And a dresses truck. And an accessories truck." Aber wie ziehst du um, wenn du gerade auf Tour bist? "I have no idea, we'll have to see."

Garderobe tauschen würde Little Boots übrigens am liebsten mit Mariah Carey. Wie in dieser legendären Folge der Reihe "Cribs" zu sehen, besitzt Mariah Carey ja 200 Paar goldene Sandalen and then some. "Ich würde aber nur für einen einzigen Tag tauschen!"

Man merkt schon, Little Boots ist so schnell wie putzig wie freundlich wie lieb. Sie singt, sie scheppert mit dem sternförmigen Tamburin, und alles fällt von uns ab. Die Schwere, die wir gar nicht bemerkt haben. Wir entdecken unsere eigene Putzigkeit wieder, wir denken nicht mehr, wir tanzen. Königin Pop erfasst die Wiese. Little Boots winkt zum Abschied, und alle winken zurück. Komm bald wieder!

Radio FM4 / Gerlinde Lang

Im Publikum bei Little Boots

Kettcar

Radio FM4 / Christian Holzmann

Und die Glücksgefühle reißen nicht ab. "Frequency, du alte Liebe", nuschelt Marcus Wiebusch von Kettcar. "Haltet euch ein bisschen zurück! Wir sind aus Hamburg, mit so viel Liebe kommen wir nicht zurecht. Aber ihr habt es so gewollt! Wir spielen jetzt '40 Tage'."

Radio FM4 / Christian Holzmann

Die Liebe brizzelt nur so zwischen den hochgereckten Händen auf der Wiese und den Musizierenden auf der Bühne hin und her. Stellenweise klatschen nicht nur wir unten, sondern auch Kettcar auf der Bühne im Takt in die Hände. Na gut, nicht die Ryhthmusgruppe, die muss schon weiterarbeiten. Und dann kommt noch ein leibhaftiges Medley daher! "Home ist nun mal, where the heart is..." Aus "Ausgetrunken" von Kettcar wird auf einmal - "ba-baaa!" - Death Cab for Cuties "The Sound of Settling" und dann auch noch "Close to me" von The Cure. Brizzzzzel!

Radio FM4 / Christian Holzmann

Marc Almond

Christian Holzmann: Ich bin ja nun wirklich kein Spezialist für Marc Almond. Gerade mal eine seiner Solonummern kenne ich nur vom Hören her und offen gesagt werden bei mir höchstens Erinnerungen an Zeiten in den Achtzigern wach, als es da harte Grabenkämpfe um die heimische Stereoanlage zwischen meiner Schwester und mir gab, als unser beider Musikgeschmäcker nicht gar so kompatibel waren und es dann "Soft Cell vs. Bauhaus" hieß. Almond (und damit meine Schwester) setzte sich mit "Tainted Love" zumeist durch, denn bei Bauhaus bekam es meine Mutter eher mit der Angst.

Radio FM4 / Christian Holzmann

Wie auch immer, neugierig war ich trotzdem auf dieses Konzert und so fröhlich Marc Almond zu Beginn gewirkt haben mag, das Lächeln wirkte zu Anfang mehr professionell und aufgesetzt, was auch nicht weiter verwunderte, war der Platz vor der Bühne für diese späte Uhrzeit relativ leer gefegt.

Jene aber die da waren, wurden mit einem wirklich nahe gehenden Konzert belohnt, ja gar Gänsehautschauer gab es in stillen Momenten des Konzerts und diese Stimmung im Publikum schien sich auf Almond zu übertragen. Das zu Anfang professionelle Lächeln wurde mit der Zeit ein richtig herzliches und spätestens bei seiner mitreißenden Coverversion von "The Days Of Pearly Spencer" hatte er die Herzen aller anwesenden Damen und Herren im Sturm erobert.

Auch wenn die Musik zum Teil nicht so meinen Geschmack trifft, nach diesem Konzert kann man wohl gar nicht anders, als Marc Almond in sein Herz schließen.

Gerlinde Lang: Und dann kam

Grace Jones!

Mit Vorhang. Und großer Verspätung. Und dem hallenden "Ladies and Gentlemen: Miss Grace Jones." Intro. Wie sich das gehört für eine Legende.

Radio FM4 / Christian Holzmann

Der Vorhang fällt, und Jones empfängt uns auf einer Hebebühne, mit einem Federhelm mit roten Positionslichern links und rechts auf dem Kopf und einer ganz schön ausgedubbten Version von "Nightclubbing". Vom Dub zum Reggae, "My Jamaican Guy". Ob Jamaikaner anwesend sind, will Grace Jones wissen, großer Jubel. "You liars! Maybe, if you can grow some dreads, and smoke some weed, you can be Jamaicans tonight."

Radio FM4 / Christian Holzmann

Die Ansagen zwischen den Liedern macht Jones prinzipiell aus dem Off, von wo sie auch gerne noch ein bisschen weiter singt, während sie sich umzieht. Oh ja, es gibt einen Kostümwechsel für jedes einzelne Lied! Alle schreien vor Entzücken. Glitzersakko, Muschelhut, geloopter Mantel, Discokugel-Bowlerhat unter dem Laser-Wasserfall, blaue Lichterbrille, schwarzes Michelinmännchen-Gilet, das den Hintern freilässt, goldene Löwenperücke, die dann vom Kopf fällt und wild herumgewirbelt wird - "Ich sollte das Zeug nächste mal antackern", kommt es lakonisch aus dem Off.

Grace Jones ist larger than life, ist kalte Außerirdische, und ist gleichzeitig doch so sehr Mensch. Verdammt, wir haben das Gefühl, gerade bei etwas ganz großem dabeizusein. "Ich spiel noch ein Lied von der 'Hurricane'", verkündet Grace, "Gott ich liebe diese Platte."

Radio FM4 / Christian Holzmann

Grace Jones muss eines Tages beschlossen haben, nur mehr das zu tun, was sie will. Und wenn das heißt, mit 61 in einer Korsage mit Stringtanga auf einem Podest zu stehen und sich von unten Anleuchten zu lassen, während man mit dem Hintern wackelt respektive darauf klatscht. Oder mit einem Glas Rotwein auf einer Drehplattform mit Stripperstange entweder mit einem Glas Rotwein herumzustolzieren oder zu einem wilden, wilden "Williams Blood" dort Kniebeugen zu machen. Oder von der Bühne zu klettern und riesig über die Absperrung ragend mit uns allen zusammen in einen "Pull Up to the Bumper"- Rausch zu verfallen. Das kann aber auch heißen, erst ganz zuckersüß zu fragen, ob jemand einen im Weg stehenden Scheinwerfer wegräumen könnte, und ihn dann hochkant mit dem Stilettobein umzutreten. "A little Rock'n'Roll."

Radio FM4 / Christian Holzmann

Radiohead wehen von der großen Bühne herüber. "Drown out that music, it's making me sleep", grollt Grace den Erzeugnissen der weißen männlichen Mittelklasse. Und dann passiert, worauf ich gehofft habe, seit Natalie vom Grace Jones Konzert bei der diesjährigen Sonar in Barcelona erzählt hat. Jones bringt einen riesigen pinken Hula Hoop Reifen auf die Bühne. Und was dann folgt, ist "Slave to the Rhythm" in einer zehnminütigen Version. Der Reifen kreist und kreist und kreist. In der einen Hand das Mikro, in der anderen zwei Glocken an einer Schnur. Wir können es nicht fassen, was da gerade passiert. Grace Jones verlässt due Bühne. Immer noch hulahoopend.