Erstellt am: 31. 7. 2009 - 16:43 Uhr
Roots, Riddim und Respect

Stephan Tumler
- Roots, Riddims und Respect am Sumfest 2009 in Montego Bay, Jamaica, Teil Eins
Letztes Jahr wurden rund 30.000 Besucher bei der Dancehall Night gezählt, diesmal waren es laut Veranstalter noch mehr – die Dancehall Night ist traditionell die am besten besuchte Nacht des Festivals.
Die Reggae Acts der beiden International Nights stehen eher für Consciousness als für harte Dancehall-Messages aus dem Ghetto. Wir schaffen es gerade noch zum Auftritt von Dubtonic Kru, die gerade von einer Tour aus Europa kommen und das erste mal in Jamaica auftreten. Die Jungs haben den Riddim für Richie Spice ("Marijuana") und Chuck Fenda ("I Swear") produziert, Roots Reggae Klassiker von vor fünf Jahren: "It was just another day in the studio – natural mystic mon!" meinen sie zum Entstehungsprozess des Riddims. Bekannt auch für ihre Zusammenarbeit mit Max Romeo ("Out Of Space") kommt die Dubtonic Kru beim Publikum durchaus an, vielleicht gerade weil sie eine Menge Stile und Einflüsse im Reggae- und Dubkontext unterbringen.

Christian Mühl
Zu Coco Tea, der schon seit über 25 Jahren auf der Bühne steht, kommen wir gerade noch rechtzeitig, um zu hören, wie er seinen "Barack Obama" Song anstimmt (könnte ein Klassiker werden, erinnert mich immer an "Israelites"). Coco Tea hat mehr Erfahrung als manch anderer Act auf der Sumfest-Bühne, er überzeugt besonders durch seine witzige, offene Art und lässt die Show ganz relaxt ablaufen.

Christian Mühl
In den Pausen zwischen den Acts werden jedes Mal die Sponsoren Länge mal Breite aufgezählt, und die Pausen sind lang! Dazwischen immer wieder Jackson-Lookalikes auf der Bühne. Ok, das Sumfest 2009 wird Michael Jackson ja quasi gewidmet ... Mich überrascht aber schon, wie viele Jamaicaner offenbar glühende Fans sind und begeistert jede Zeile von "Heal The World" und "Bad" mitsingen. Fast jeder Act singt eine Coverversion von einem Jackson-Hit. Hauptsache Lebensfreude, denk ich mir, auch als Ne-Yo dran ist. Dessen Auftritt ist offenbar nur für mich (und ein paar Rastas) langweilig – die Mädchen in der ersten Reihe schreien sich die Seele aus dem Leib, wenn der Schmuserapper seinen Bauch unter dem obligatorischen weißen Unterhemd krümmt. Uh. Schnell wieder nach hinten geflüchtet, warten auf Morgan Heritage.

Christian Mühl
Als die Familientruppe die Bühne betritt, wird es bereits hell. Und die Stimmung wandelt sich: man sieht das Publikum in mitgebrachten Sesseln dösen, alles wird noch etwas lockerer ... es gibt mehr Platz. Wer will, gönnt sich jetzt ein deftiges jamaicanisches Frühstück, Ackee and Saltfish, Yam, Brotfrucht, oder die frische fruchtige Selektion: Mangos, Ananas, Kokosnüsse, Papayas, Guavas, you name it, all das fällt auf der grünen, von Vegetation überwuchernden Insel in Hülle und Fülle vom Baum. Passend frisch ist die Show dazu – Gramps, Mr. Mojo, Una, Lukes und Jahpetes spielen rootsy tunes wie "Hail Up The Lion".
Die verehrte Queen Ifrica lässt lang auf sich warten, entschädigt ihre Fans dafür aber mit einem respektablen Auftritt. Sie beeindruckt das Publikum, das euphorisch mitsingt, mit ihrer Stimme und der Aussagekraft ihrer Lyrics; sie kommuniziert auch in den Pausen während der Songs und bringt soziale und politische Botschaften ein. Das kommt hier gut an, man spürt in Jamaica keine äußere oder selbst auferlegte Zensur der Künstler, im Gegenteil.

Christian Mühl
Einer der besten Momente jedes Festivals ist es bestimmt, die Sonne nach einer Festival-Nacht aufgehen zu sehen. Hier strahlt sie auf eine zufriedene, tanzende, müde Szenerie, die sich im Tageslicht vollständig offenbart.

Christian Mühl
Die zweite International Night beginnt für uns mit Etana "The Strong One". Ich bin von ihrer Stimme und ihrem Ausdruck fasziniert, seit ich Etana bei der Midem 2007 kennenlernte. Damals war sie ein aufgehender Stern, hatte gerade das erste Video draußen. Viel hat sich verändert: jetzt singen in Kingston die Schulkinder ihre Lieder (wie wir bei einer Schulveranstaltung, wo wir zufällig vorbeikamen, feststellen konnten: die Kids sangen "I Am Not Afraid" und tanzten im Kreis dazu); sie habe viel mehr zu erledigen im Vergleich zu früher, meint Etana, als wir uns nachher auf ein Interview treffen, und alles habe sich sehr positiv entwickelt. Kleiner Tip für alle die Roots Reggae mögen, sie kommt bald wieder auf Tour nach Europa. Mit einer Reihe von energiegeladenen Tänzern und einem Interlude, das musikalisch an einen afrikanischen Markt erinnern könnte, entwickelt sich die Show zu einem fulminanten Highlight des Abends.

Christian Mühl
Tarrus Riley beginnt sein Konzert mit Songs aus dem neuen Werk "Contagious". Ich finde den Auftritt spitze, was dem ziemlich einhelligen Medientenor entspricht. Und oh, er hat eine gute Band! Bei Songs wie "Human Nature" oder "She's Royal" sind einzelne Musiker wirklich präsent. Besonders fällt mir der dicke Saxophonist auf, der ordentliche Solos einbaut und die Reaktionen von den Fans sichtlich genießt. Tarrus selbst wird in Jamaica offenbar ähnlich wie ein junger Friedens-Botschafter verehrt, dreimal werde ich einen Tag später in Kingston auf ihn angesprochen, da ich sein Promo-T-Shirt trage (das einzige, das in der Tropenluft noch nicht mit dieser charakteristischen Kombination aus Schweiß, Sonnencreme und Mückenspray verschmiert ist) und alle finden ihn sehr conscious und positiv.
Ein weiterer Höhepunkt ist der lang erwartete Auftritt der Jackson-Brüder. Tito spielt zuerst mal einen anständigen Blues – und Gitarre spielen kann er, Erinnerungen an B.B. King werden wach. Dann wechseln die Jacksons auf Motown Soul, geben ein paar alte Hits zum besten, und landen schließlich bei einem Funk-Set. Ein Streifzug durch die amerikanische Musikgeschichte, sozusagen. Besser als erwartet, und ja, ich würde durchaus zu noch einem Konzert der Jacksons gehen. Ein riesiges Tam-tam haben sich die Veranstalter dazu einfallen lassen, Bilder und Erinnerungsstücke inklusive. Sobald die Politiker auf die Bühne kommen, wird es amüsant: als die Kulturministerin mit viel Bla-Bla so ein Ding überreicht, aber zu wenig in die Kameras der Journalisten hält, kommen von unten Kommentare wie "Not so quick! Hold it there, up, up, we can´t see anything sweetie! Shakehands, smiiile! Turn around to this side Miss!"

Christian Mühl
Das beste der folgenden Konzerte ist in meinen Ohren der Auftritt von Damian "Jr. Gong" Marley, der eigene Songs und Covers seines Vaters spielt und die Fans gar nicht mehr zu überzeugen braucht. Von ihm wird natürlich eine gute Show automatisch erwartet. Bei Jr. Gong stehen alle auf, die Songs sind packend arrangiert und vorgetragen und ein Fahnenträger schwenkt konstant eine rot-gold-grüne Fahne inkl. Lion über den Köpfen der Musiker. Am Ende springen auch noch Nas und Bounty Killer auf die Bühne, um den Hit "Welcome to Jamrock" runterzufetzen. Und die Fans kochen über: Respect!

Christian Mühl

Christian Mühl
Inner Circle beenden das Sumfest 2009 mit einem relaxten Set; Sonne geht wiederum auf. Ich bin nach drei Nächten Sumfest mit nur sechs Stunden Schlaf etwas ausgepowert und knall mich nur noch in so einen Campingsessel. A lalalala long zuhören, mehr schaff ich jetzt nicht mehr.

Christian Mühl

Christian Mühl
Für alle, die Jamaica mal auf eigene Faust erkunden wollen: Montego Bay bietet eine Menge teure Touristenattraktionen und Spaß, ist aber völlig amerikanisiert und wirkt wie eine Mini-Ausgabe von Miami Beach. Der einzige Grund, dorthin zu fahren, war für uns das Festival. Wer abseits von Hip-Strip-Trampelpfaden nach Portland, nach Treasure Beach oder in das Landesinnere "up into the hills" fährt, wird Jamaica erst wirklich kennenlernen.