Erstellt am: 13. 7. 2009 - 16:21 Uhr
Big Deal
Eigentlich wär's ja genau so gedacht, vorkommen tut's im echten Leben aber ziemlich selten: Du gehst auf ein Festival, lässt dich in eines der Zelte treiben, aus denen Musik dringt, und findest eine den einschlägigen Medien völlig unbekannte, großartige Band vor, die ein Publikum zum entfesselten Rasen, Mitsingen und Crowdsurfen bringt, das ausschließlich der Mundpropaganda hier her gefolgt ist.

Robert Rotifer
Gut, zugegeben, ganz so war's auch diesmal nicht gelaufen, schließlich kannte ich Cocos Lovers schon von früher, als sie unter dem schmerzhaft putzigen Namen The Far Away Tree in den Pubs von Kent aufzutreten pflegten.
Einen ihrer damaligen Songs hab ich schon in einer meiner Sendungen gespielt. Sie waren zu jener Zeit zu dritt bis zu viert unterwegs, jetzt sind sie geschätzte acht oder neun, tragen einen marginal besseren Bandnamen und machen wesentlich weniger angestrengte Musik mit regelrecht umwerfendem Ergebnis.
Cocos Lovers kommen aus Deal, jener kleinen Stadt am Ärmelkanal, wo einst die Römer einfielen, weil der Strand dort weit flacher und einladender ist als nebenan in Dover.

Robert Rotifer
FM4 Heartbeat ab 22 Uhr auf unserem Muttersender.
Und hier geht's zu
Cocos Lovers' Myspace
Die Aussicht auf das gegenüber liegende Frankreich und ein "musikalischer Nervenzusammenbruch" (O-Ton Sänger Will) bedingten, dass sie nach Europa fuhren, um dort eine zeitlang von der Straßenmusik zu leben.
Als sie mit einem Rucksack voller neuer Song zurück in ihre Heimatstadt kamen, stellten sich einige ihrer treuesten ZuhörerInnen selbst überraschend als äußerst fähige MusikerInnen heraus. Und so vergrößerten sich Cocos Lovers zu einer jener Bands, die ihrer Kopfzahl wegen gern Kollektiv genannt werden, samt von der Rock'n'Roll-Norm abweichendem Instrumentarium wie Banjos, Mandoline, Flöte oder Violine.
Wer jetzt gleich Arcade Fire schreit, hat nicht vollkommen unrecht, müsste aber dabei ganz intensiv Fairport Convention denken, um zu einem halbwegs zutreffenden Klangbild im Kopf zu gelangen.

Robert Rotifer
In anderen Worten: Irgendwie ist das wohl Hippie-Folk, allerdings für Leute, die auch die frühen Belle & Sebastian mögen und rhythmisch und harmonisch über die Grenzen der Insel, ja des Kontinents hinauszudenken vermögen.
Und wie bei jeder wirklich guten Band klingt diese Beschreibung wesentlich weniger interessant als die Ausführung, vor allem dank Wills Händchen für eine täuschend simple Melodei, aufgefettet durch die beneidenswerte Fähigkeit der Bandmitglieder, a) die reinsten mehrstimmigen Chöre zu extemporieren und b) bis zu drei Gitarren gleichzeitig zu einem flirrenden Flechtwerk zu vereinen.
Es gibt bisher zwei, auf ihrem eigenen Label Smuggler Records "veröffentlichte", d.h. zum Verkauf bei Gigs angebotene EPs, die einen ungefähren Eindruck davon vermitteln, wozu diese erstaunliche Band live imstande ist.
Ihre beiden Auftritte beim Lounge on the Farm Festival, das vergangenes Wochenende bei mir ums Eck stattfand (genauer Bericht inklusive Edwyn Collins, Temper Trap, Wave Pictures, Billy Childish und Gong demnächst in dieser Baustelle), waren beeindruckend genug, um in meiner heutigen Sendung ein halbes Stündchen für ihre Musik und unser Gespräch frei zu räumen.
Es wird wohl nicht das letzte Mal sein.