Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Kleine Gesprächs-Fibel (1)"

Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

12. 7. 2009 - 15:00

Kleine Gesprächs-Fibel (1)

Vorgetäuschte Beflissenheit in Kunst und Kultur

Problem:

Die erste Lektion der kleinen Gesprächs-Fibel führt uns auf eine Vernissage. Nach der Betrachtung des Ausgestellten, die wir freilich ohne die Aussprache des Gedanken "Kann ich auch" absolviert haben, wollen wir uns am kostenlosen Sekt Orange laben.
Ja wer ist denn da! Das wird doch wohl nicht... Der Joe mit seiner neuen Freundin, und die Angie steht auch dabei! Tschingdarassabum! Servas, du hier!? Na wumm.
Da wird rasch geschwätzt, als gäbe es kein Morgen. Und wer kommt denn da plötzlich daher? Joe stellt uns seinen Bekannten Günther vor. Rasch begehren ersterer samt Angie zusätzlichen Sekt, Joes Freundin ist zu spät gekommen und "schaut schnell mal durch" und schon stehen wir alleine mit Günther da, der sogleich seine Giftzähne ausfährt und loslegt.

Günthers gibt es freilich nicht nur auf Vernissagen, man findet sie überall. Günthers beginnen gerne Gespräche über Kunst, Literatur oder Film, um ihre schärfste Waffe einzusetzen:
Völlig willkürlich abgerufenes, meist minder relevantes Randwissen wird irgendwie in Relation gesetzt und im Stakattotakt auf den wehrlosen Gegner abgefeuert. Der einzige, aber sehr effektive Trick von Günther: Möglichst vieles zitieren und erwähnen, das mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Schwanz kennt.

"Aber 'Die Wirren des Metzgers' von Giacomo Manfredo Puntobello, ich glaub '74 war der, den kennst du schon, ODER?"
"Nö."
"Den MUSST du dir unbedingt ansehen!"

gespräch bei vernissage

marc carnal

Günther braucht höchstens 10 Minuten, um uns das Gefühl zu geben, wir wären auf ganzer Linie vertrottelt und hätten sämtliche Meilensteine künstlerischen Schaffens verpasst.

"Louis van Stranden mit seinen Zeit und Raum in Frage stellenden Kleiderbügelinstallationen sagt dir aber sicher etwas, oder?"
"NEIN..."

Doch der entsetzliche Günther hat noch eine zweite Wunderwaffe in petto: Die quälende Inhaltsangabe, wahlweise auch die nacherzählte Szene oder gar Werbespot. Kombiniert mit Namedropping schafft er es, Nacherzählungen länger als die eigentlichen Filme geraten zu lassen.
Außerdem gehören Günthers meistens zu jenen Feinspitzen, die in mündlichen Rezensionen nicht ohne die Vokabeln genial, Aussage und kritisch auskommen und die synchronisierte Filme für den Weltuntergang verantwortlich machen.

Günther ist furchtbar. Doch wir dürfen nicht verzweifeln, auch gegen ihn ist rhetorisches Kraut gewachsen:

Lösung:

  1. Einfach "Ja." sagen. Das ärgert Günther. Wem die ungebrochene Kenntnisvortäuschung zu risikoreich ist, kann auch auf das altbewährte "Ja klar, hab ich gelesen. Ist aber schon ewig her." zurückgreifen.
  2. In die selbe Kerbe schlagen. Thematisch Verwandtes beinhart in höchster Schlagfertigkeit erfinden oder über tatsächlich Existentes mit geringer Strahlkraft referieren. Na, Günther, du toller Hecht, da kommst selbst du nicht mehr mit! Wichtig: Stets vernuschelte, fremdländische Namen verwenden, damit Günther sich beim etwaigen googlen grämt.
  3. "Ich muss mal auf's Klo, man sieht sich!"