Erstellt am: 22. 6. 2009 - 15:46 Uhr
Und morgen ist wieder ein Tag
Links:
Die besten Twitterlinks auf englisch sind hier und hier, die sind immer up to date.
Weiters ist diese Dame auch wirklich stark, da sie am verlässlichsten ist und einen guten Draht zu den Camps von Mousavi und Karroubi hat.
Und hier noch ein guter Blog
Der guardian liveblog ist auch recht gut, da gibt es auch jede Menge Videos, Bilder, Links und Sonstiges.
Juan Cole, Professor für Middle East Studies. Vor allem seine Analysen warum die Wahlen gefälscht wurden und über die Proteste, sind toll.
Hier eine weitere Wahl-Analyse von chatham house
Eigentlich wollte ich bei den Wahlen in Teheran sein. Irgendwie hatte ich damals im Jänner schon das Gefühl, dass es diesmal etwas Bewegendes geben wird. Notfalls hätte ich Zeit mit Z. und P. verbracht, die ich von klein auf kenne oder wäre auf irgendwelche Feiern mit A. und L. gegangen. Wahlen wären schon gut gegangen und selbst, wenn nicht, wir hätten das Beste daraus gemacht.
ghalamnews
Es ist sich leider nicht ausgegangen mit der Reise. Jetzt muss ich das Geschehen vom Bildschirm aus verfolgen. Es ist nicht unähnlich einem Fußballspiel. Im Stadion ist die Atmosphäre was anderes, als vom Bildschirm aus. Ahmadinejad hat die Wahl ja auch mit einem Fußballspiel verglichen, wo es Gewinner und Verlierer gibt. Ich frage mich, wo Lucciano Moggi gerade steckt? Bleibt nur der Bildschirm. Der Guardian liefert "Minute-by-Minute" Reportagen, so wie bei diversen Spielen auch. Auf Twitter kann man die Geschehnisse verfolgen, auf Facebook werden die neuesten Chöre und Videos der Anhänger gepostet und man kann sich mit Gleichgesinnten organisieren.
ghalamnews
"Die Zeit danach wird anders sein"
Der österreichisch-iranische Filmemacher Arash Riahi im Interview mit Claudia Unterweger
Cousine B. darf, ähnlich der Fußballspiele im Iran, nicht ins Stadion gehen, Verbot der Eltern. Ihre Mutter hat in den 80ern mitbekommen, wie zwei Bekannte von ihr, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren, eingesperrt, vorher noch vergewaltigt und zum Tode verurteilt wurden, weil Jungfrauen darf man nicht töten und man musste sicher gehen. Ihr Cousin T. bekam niemals einen Job im Iran, weil er bei einer Demo mehrmals in den Bauch gestochen wurde und seitdem als politischer Aktivist gebrandmarkt war. Dabei hat T. mit Politik gar nichts am Hut. Er wollte nur zuschauen und sich vielleicht ein paar Nummern von Mädchen besorgen. Dann gibt es noch Onkel I., der in den 50ern auch bei einer Demo auf der Straße war, auch nur zur falschen Zeit am falschen Ort, und erschossen wurde. Iran, 100 Jahre permanente Revolution und jede Familie hat eine Geschichte zu erzählen.
Pokerface
Vor dem Fernseher sprach der oberste Führer Khamenei beim Freitagsgebet. Khamenei scheint eher ein Freund von Poker zu sein als von Fußball, denn seine Rede würde man im Poker wohl als "All-In" mit einer Trumpfkarte bezeichnen. Er hat genau eine hohe Karte, nämlich die ihm treu ergebene Basij und ihr Terror gegen das Volk.
Entweder der Trumpf sticht, oder die Show ist vorbei. Re-buy gibt es nicht. So war seine Rede auch gespickt mit Bonmots; man kann keine 11 Millionen Stimmen fälschen (er wird's wissen), die islamische Republik hat auch Probleme, aber schauts nur nach Großbritannien mit dem Spesenskandal, die Demonstrationen sind der Anfang der Diktatur... (Orwell hörst du zu?) Wenn man schon lügt, dann sollte man dick auftragen, damit es auch ja glaubwürdig klingt. Das alte Rezept von Diktaturen. Und die Rede war eine einzige Drohung an alle. Wer nach dem heutigen Tag noch demonstrieren geht und stirbt, ist selber Schuld. Wenn Blut fließt, sind die Schuld, die die Leute dazu anstacheln und die werden die volle Härte zu spüren bekommen, weil dem unfehlbaren Führer hat man zu gehorchen. All-In, wer zieht mit?

Ready To Die
Videolinks:
Bilder von den Protesten aus youtube:
www.youtube.com
www.youtube.com
www.youtube.com
Und ein ziemlich gutes Video von der BBC zu Straßenschlachten
Samstag war der Tag. Wenn der Samstag gut geht und die Leute nach den Drohungen demonstrieren, dann wird alles gut gehen. Es wäre nur nötig, dass Mousavi nicht weicht und die Leute keine Angst zeigen, trotz der Todesdrohungen. Ist aber alles einfach von hier aus, irgendwie wie ein Analytiker von einem Spiel bzw. Hobby-Teamchef. Kompakt stehen, auf die zweiten Bälle gehen, you must win-Zweikampf. Alles leichter gesagt als getan. P. und Z. dürften wahrscheinlich demonstrieren gehen, L. sicher auch. Der Guardian fing um 10 Uhr mit den Berichten an, Twitter genauso. Von Gefechten war zu lesen, Meydoon-e Enghelab (Platz der Revolution) war gesperrt, sie mauern also, wie alle konservativen Mannschaften. Sie versuchen die Revolution zu verteidigen. Doch die Leute wehren sich. Sie wollen Richtung Azadi, Platz der Freiheit. Die ersten Videos tauchen auf, mit Leuten, die mit Steinen auf Polizisten werfen. Wie in Palästina, was das Regime immer als Propaganda gegen Israel verwendet hat. Das arme Volk der Palästinenser mit Steinen gegen das böse zionistische Regime mit Waffen.Welch Ironie! Irgendwann um 5 kam über Twitter die Meldung von Mousavis Auftritt. Er sei bereit zu sterben. "I’d rather die on my feet than live on my knees", der Spruch aller großen Revolutionäre, selbst die, die zufällig solche wurden, wie er.
Im Laufe des Tages treffen immer mehr Bilder und Videos ein. Man sieht die Bilder, die Orte, die man kennt, wünscht sich dabei zu sein, weil nichts ist schlimmer als hilflos und unnütz vor dem Bildschirm zu sitzen. Ein junges Mädchen stirbt auf der Straße, nachdem sie angeschossen wurde. Hunderte Verletzte, Tränengas und immer wieder Nachrichten, die man nicht verifizieren kann. Berichte von Leichen wechseln sich mit Berichten ab, wonach Menschen Verletzte und Verfolgte bei sich aufnehmen und pflegen. Berichte, wonach einige Botschaften (danke an dieser Stelle an Australien, Frankreich, Italien, Portugal und Finnland) Verwundete aufnehmen. Ein solidarisches Team eben, das kämpft und beißt und die Herzen erobert.

Ich sehe nochmal das Video von dem Mädchen, das erschossen wurde und auf der Straße stirbt. Ich denke dabei an P. und Z., von denen ich bis jetzt nichts gehört habe. Ich denke an L., der sich auch noch nicht gemeldet hat. Morgen ist wieder ein Tag, morgen gibt es wieder Demonstrationen, morgen werden wieder Leute sterben, morgen wird wieder in irgendeiner ausländischen Zeitung ein Kommentar erscheinen, der versucht zu erklären, wie Ahmadinejad doch gewonnen hat, morgen geht es wieder los und heute war doch nicht der entscheidende Sieg. Immerhin meldet sich P. Sie sind alle gesund, Kommunikation in die Außenwelt ist eher schwer, Telefongespräche werden unterbrochen, Auslandsgespräche unmöglich, Facebook geht nur schwer. Immerhin, sie leben. Und morgen ist wieder ein Tag.