Erstellt am: 14. 6. 2009 - 13:21 Uhr
Der Lärm in der Stadt

radio FM4
Früher waren die Städter irgendwie toleranter. Wenn sich beim nächtlichen Rumlärmen ein Nachbar beschwerte, antwortete man mit einem frechen: “Dann zieh doch nach Ruhleben!??" (Außenbezirk Berlins), aber das ist lange her, und die Leute werden immer empfindlicher. Das mag daran liegen, dass sich die Bevölkerungsstruktur in den "Trendbezirken" ändert. Menschen, die einst aus provinzielleren Teilen Deutschlands ins quirlige Berlin gezogen waren, erfreuten sich die ersten Jahre noch an all dem Trubel, wollten mitten drin zwischen Club, Café und netten Läden wohnen, werden nun aber älter, pflanzen sich fort, gehen nicht mehr so viel aus und beschweren sich.
Lärm ist ein Jugendrecht, und auch bei Konzerten gilt noch das alte Sprichwort "If it’s too loud, your too old??" - aber die Intoleranz wächst nicht unbedingt mit zunehmendem Alter und Jugend schützt vor Torheit und Spießigkeit nicht. Wer in einer Kneipenstraße wohnt, wo die Leute bis nachts um eins oder zwei draußen sitzen, mag wirklich Grund haben, sich zu beschweren, andererseits kann man halt nicht gleichzeitig in einem lebendigen Szenekiez wohnen und bei offenem Fenster schlafen. Die Toleranzgrenzen sinken, die Beschwerden werden immer absurder.

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Schon wurden die ersten Kindergärten wegen Lautstärkeproblemen geschlossen. Im alten Punkerschuppen S0 36 lärmt und tanzt man seit 30 Jahren auf höchstem Niveau - jetzt muss wegen eines einzigen Nachbars eine Lärmschutzwand für 80 000 Euro eingebaut werden, was der Clublegende finanziell das Genick brechen könnte.
Aber auch die Hochkultur hat’s nicht leichter. Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wird innen umgebaut, auf dem Platz davor hat man eine hölzernen Agora - eine zentrale Versammlungsstätte im alten Athen - gebaut, um dort weiter zu spielen. Eine schöne Idee, aber die Nachbarn spielen nicht mit: Bei der Bearbeitung der Aristophanes-Komödie "Die Vögel" schreien die Schauspieler zu laut.

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Das altehrwürdige Protestinstrument Menschenkette, bekannt aus der Anti-AKW-Bewegung, von Anti-Rassismus-Demos und Antifaschistischen Aktionen, wird jetzt von den Spießbürgern am Kollwitzplatz/Prenzlauer Berg gegen den beliebten Gemüsemarkt eingesetzt. Das samstägliche Markttreiben ist einfach nicht mehr zumutbar, weil es die Lebensqualität der Anwohner stark beeinträchtigt.
Was soll man dazu sagen? Vielleicht nur die berühmten Worte des Dichters Kurt Tucholsky:
Das Ideal
Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn -
aber abends zum Kino hast du's nicht weit.