Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Wolfgang Amadeus Phoenix"

Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

24. 5. 2009 - 15:09

Wolfgang Amadeus Phoenix

Das französische Quartett Phoenix pendelt zwischen Discobeats und Gitarrenpop, Popart und bad taste, sowie Champagnerexzessen und schlaflosen Nächten.

Die Koffer werden auf den Boden gestellt, die halb geöffneten Schuhe mit eleganter Bewegung in die Ecke befördert und die Lederjacken landen unsanft am Teppich. Müde und ausgebrannt lassen sich Thomas, Christian, Laurent und Deck auf die Couch fallen. Man greift eher zu Mineralwasser als zum Sprudelwein und streckt die Füße aus.

So, oder so ähnlich muss es sich wohl im Hause Phoenix abgespielt haben, als das französische Quartett von seiner ausgedehnten Tour vor zwei Jahren endlich wieder zuhause ankam. Als es darum geht, herauszubekommen, warum sich Phoenix für ihr viertes Studioalbum ihre hass-geliebte Heimatstadt ausgesucht haben, bestätigt Gitarrist Christian Mazzalai den erwähnten Erschöpfungszustand.

"Wir haben uns für Paris entschieden, weil wir wieder zur Ruhe kommen wollten. Nachdem wir das letzte Album in Berlin aufgenommen haben und anschließend eine zweijährige Tour am Programm stand, wollten wir zurück zu unseren Wurzeln. Außerdem wollten wir uns viel Zeit nehmen, um erstmals einen anderen Entstehungs- und Aufnahmeprozess auszuprobieren."

Das noch nie dagewesene Alphabet

Phoenix

Spulen wir fünf Jahre zurück. Damals haben sich Phoenix mit ihrem Musikalphabet nicht unbedingt aus der Asche, aber zumindest aus dem Stand in die oberste Liga des Pop-Olymps katapultiert. Auf dem zweiten Werk Alphabetical spielten die Franzosen scheinbar leichtfüßig mit Samples ihres Mikrokosmos und produzierten, eingeschlossen in einem kleinen Studio, fast aus dem strukturellen Nichts große Popperlen. Da bedurfte es manchmal lediglich zweier abgestoppt gespielter Töne auf der Akustikgitarre, die mit Triangel, satter Bassdrum und dem unverwechselbaren Gesang von Thomas Mars plötzlich zum unausrottbaren Ohrwurm mutierten. Die textliche und manchmal auch musikalische Abstraktion mündete dabei oft in wundervollen Melodien, treibenden Discorhythmen und Hooks mit Mitsingqualität.

Phoenix

Doch dann packten Phoenix all ihre elektronischen Instrumente und Geräte in die Ecke, hievten die alten Gitarrenverstärker und Instrumentenkoffe in einen Bus und fuhren direkt nach Berlin. Ebenfalls wieder abgeschottet vom Rest der Musikwelt erforschten sie in einem alten, aufgelassenen Radiofunkhaus im Ostteil der Stadt, wie schnell man eine rohe Rockplatte aufnehmen könnte. Der Titel It's Never Been Like That war also Programm. Das Ergebnis waren ungeschminkte Songs, musikalisch direkt und textlich sehr persönlich, wie etwa die famose Single "Long Distance Call". Der Schreib- und Aufnahmeprozess stellt bei Phoenix eindeutig die Weichen für eine neue Richtung.

Truffaut und das Puzzelspiel

Nachdem Thomas Mars und seine Band wieder zu Kräften gekommen waren, gründeten sie ihr eigenes Label Loyauté (in Cooperation mit Glassnote Records), um so über ihr Budget keine Rechenschaft ablegen zu müssen und um sich gleich einen Traum erfüllen zu können. Ganz nach der Arbeitsweise eines ihrer Vorbilder, dem französischen Regisseur François Truffaut, mieteten sie sich in ein Hotelzimmer ein (irgendwo in New York), um ausschließlich dort an neuem Material zu arbeiten.

Als die vier Franzosen nach drei Wochen das ganze Hotelpersonal mit Vornamen kannten, war es an der Zeit, den nächsten Schritt folgen zu lassen. Das Sondieren des Materials und das Aufnhemen.

"Wir hatten ganze fünfzehn Stunden aufgenommen, Skizzen, Ideen und dreißigsekündige Songelemente. Dann haben wir begonnen, wie bei einem Puzzle die Teile ineinanderzufügen. Während wir auf dem letzten Album versucht haben, in den Songs einzelne Ideen auszudrücken, ging es diesmal darum, viele verschiedene Ebenen in einen Song zu packen."

NicolasToutain/Emi France

So hatten sie das Prince Album Around The World In A Day im Kopf, als es darum ging, aus all den verschiedenen Stilstückchen ein schillerndes Mosaik zu basteln. Schon in der Single "1901" verbinden sich zerrende Synthiebässe mit den gewohnten Schengel-Gitarren zu einem treibenden Discofeger, wobei sich die Glitzerkugel über der Tanzfläche durch Thomas Mars "Hey hey hey"-Rufe schneller zu drehen scheint.

Champagner Rausch und schlaflose Nächte

Dass "Wolfgang Amadeus Phoenix" derart perfekt funktioniert, hat auch mit der Produktion zu tun. Dafür zeichnet sich Philippe Zdar von Cassius verantwortlich. Zwar hat er das erste Album United produziert, danach die Band jedoch nur mehr von außen beobachtet. Als Phoenix Philippe dann für ihr neues Werk engagierten, hatte er schon eine Vision im Kopf, sein "Traum-Phoenix-Album", wie es Gittarist Christian Mazzalai ausdrückt. Darüber hinaus spiegelt die unorthodoxe Arbeitsweise des Produzenten die Gefühlsachterbahn der Band während den Aufnahmen wieder.

NicolasToutain/Emi France

"Phillipe ist ein recht extremer Mensch. Er gab uns einfach die Schlüssel zu seinem Studio in Montmartre und tauchte dann meist unvorhergesehen auf. Manchmal sahen wir ihn einen ganzen Tag nicht. Doch am Ende fast jeder Aufnahmesession hatte er zwei Flaschen seines Lieblingschampagners dabei. Enorm teuer, aber Philippe ist das egal denn er lebt nach dem Motto: Life is too short. Also feierten wir unsere guten Sessions ausgiebig. Die meiste Zeit waren wir jedoch nicht zufrieden mit dem, was wir da gerade aufgenommen hatten. Es war für uns ein Disaster und als wir nachhause gingen, konnten wir vor lauter Selbstzweifel oft nicht schlafen. Es war eine Zeit zwischen extremen Hochs und Tiefs."

Aber es hat sich ausgezahlt, wie man an den ersten Takten von "Lasso" hören kann. Die Nummer beginnt mit einem lockeren Rhythmus der Tom-Toms, bis ein einfacher Drumbeat einsetzt, bei dem man das Gefühl hat, als würde das Schlagzeug im eigenen Wohnzimmer stehen. Ein satter, ausgewogener sowie direkter und roher Sound. Laut Christian ist es ihnen mit diesem Liebeslied geglückt, genau die richtige Rezeptur zwischen mathematischer Berechenbarkeit und jugendlicher Euphorie zu erwischen.

Zwischen Popart und bad taste

Phoenix

Als der Albumtitel bekannt wurde, ging ein Raunen durch die Presse. Manche empörten sich mit Aussprüchen wie "Sowas kann man doch nicht machen!", andere ließen zwischen den Zeilen nur eine Kopfschüttelten erahnen. Verständnisslosigkeit machte sich auch unter den Eltern der Band breit, die fürchteten, ihre Söhne würden sich über die großen Komponisten lustig machen. Schließlich spielen Phoenix auch in ihrer Eröffnungsnummer "Lisztomania" mit dem Popstarimage eines Komponisten (wie übrigens auch der englische Regisseur Ken Russell in seinem gleichnamigen Film Mitte der Siebziger).

Das alles passt perfekt zu dem überbordenden Stilmix und dem Sound, der an der Grenze zur Überproduktion die Popästhetik auf die Spitze zu treiben scheint.

"Es war das erste Mal, dass der Titel uns beim Prozess der Aufnahmen geholfen hat. Thomas kam eines Tages mit der Idee ins Studio, und wir waren begeistert. Wir wollten einen farbenfrohen, schrillen Namen. Von da an war klar, dass das Album und die Präsentation in Richtung Popart gehen und darüber hinaus vielleicht auch das Feld des bad taste ausloten sollte."

So fügt sich auch das Cover mit seinen roten und blitzblauen Bomben, die wie Bonbons von einem pinken Himmel fallen, ins Konzept.

"This is showtime, this is showtime, this is showtime"

Übersteigert, übertrieben, überzeichnet, ausgelassen und doch zum Teil berechnet, knallen uns Phoenix ein perfektes Popalbum vor den Latz, an dem man nicht vorbei kann. Außer natürlich man verweigert sich grundsätzlich dieser bunten Plastikwelt. Klar kann man hier von zu wenig Tiefgang sprechen, aber Thomas Mars federt dieses Argument ab, indem er uns gleich zu Beginn in "Lisztomania" verklickert: "This is showtime, this is showtime...".

NicolasToutain/Emi France

Ausserdem sind einige Nummern vom Arrangement her richtige Geniestreiche. So wie das Instrumentalstück "Love Like A Sunset Part 1", das die Franzosen mutig in der Mitte des Albums plaziert haben. Der zweite, gleich darauf folgende Teil ist eine verträumte Skizze die klingt, als würden die befreundeten Air sich mit akustischer Gitarre und Synthies an einer zweiminütigen Nummer mit Prog-Athmosphäre versuchen. Doch was wirklich alles in dieser Platte steckt, kann man aus dem Highlight "Rome" heraushören. Diese viereinhalb Minuten vereinigen das ganze Phoenixuniversum. Die abgestoppt gespielten Einzeltöne der Gitarren, aus denen schon bei "Alphabetical" ganze Songs entstanden sind, rauhere Rockakkorde, die auf "It's Never Been Like That" das Klangbild beherrschen und die wundervollen Synthie- und Keyboardflächen, die auch schon auf "United" zu finden waren. Nach einem kurzen Mittelteil, in dem Thomas Mars brüchiger Gesang nur von einer akustischen Gitarre begleitet wird, schraubt sich der Song zu einem grand finale hoch, das Philippe Zdar durch seine Produktion in aller Dichte und mit stampfenden Beat über uns hinwegrollen lässt.

"Wolfgang Amadeus Phoenix" ist auch in gewisser Weise eine charmant unverschämte Platte. Denn Phoenix zitieren sich darauf ohne Scham ununterbrochen selbst. Und trotzdem wirken diese Selbstreferenzen nicht wie Kopien, was wahrscheinlich daran liegt, dass das neue Werk alle Merkmale vereint, die Phoenix sich in der letzten Dekade erarbeitet haben. Für alle, die diese Band lieben: Mehr Phoenix als auf dieser Platte geht wohl kaum noch. Aber lassen wir uns überraschen was den Jungs in den nächsten Jahren alles so einfallen wird.

Tipp:

Eine ausführliche Listening Session zu dem neuen Phoenix Album könnt ihr morgen Montag 25. Mai ab 15:00 Uhr in FM4 Connected hören!