Erstellt am: 9. 5. 2009 - 14:12 Uhr
Backstage-Tätigkeiten
Wie alles so sind auch die Sitten und Gebräuche im Backstage einem ständigen Wandel unterworfen. In den 80ern wurde dort hauptsächlich von wüsten Männerbands gesoffen und dumme Sprüche gemacht als die Hamburger-Schule Bands einen neuen Stil einführten: Da arbeitete man auch schon mal einen Heidegger-Text durch, bevor man dem Skatspiel verfiel.Die Auswahl der Tätigkeiten zwischen Soundcheck und Auftritt ist begrenzt: Essen, rumhängen, Zeitschriften durchblättern.
So nannte ich schon in jungen Jahren diese quälenden Stunden in fensterlosen Räumen mit zerbrochenem Mobiliar " Die Bleierne Zei".
Es bleibt nichts zu tun, zum Trinken ist es noch zu früh, es bleibt noch die Reihenfolge (auch "Setlist" genannt) zu schreiben. Jeden Tag dasselbe: Zuerst die Stoffsammlung: Wieviele Stücke haben wir? Methode "Wechselbad der Gefühle" - das heißt traurige und muntere Songs wechseln sich ab oder legt man Emotionsblöcke an? Darüber kann man eine Stunde diskutieren.

Bonaparte
Als ich jedoch letztens zu Besuch im Backstage des Übel und Gefährlich in Hamburg war, bemerkte ich: Die Zeiten haben sich geändert: Es wird gebastelt und geturnt was das Zeug hält. Bands wie Bonaparte fummeln schon Stunden vor dem Auftritt in Unterhosen an ihren Kostümen, drapieren Kopfbedeckungen, üben Luftsprünge, stretchen, posen sich warm. Kurz danach sollte meine Band zusammen mit Kevin Blechdom in Leipzig spielen. Alle freuten sich schon auf das Zusammentreffen mit der außergewöhnlichen Musikerin.
Aber statt ihr Banjo hatte Kevin Blechdom elf Menschen mit - gebracht, um die Musiktheaterrevue "Slaughterin Slobbersville" aufzuführen. Da wurde vielleicht gebastelt! Da wurden Masken gebaut, Stoffzelte genäht, Plastikblumen gewunden, Rüstungen gebogen, Visiere getaggert, Fransenkleider arrangiert. Das Konzert war dann auch recht performativ und gar nicht so sehr kurzweilig. Klar zitiert ihre Show die amerikanische Vaudeville-Tradition und experimentelles Theater der Sechziger Jahre, klar wurden dabei in vorbildlicher Weise Geschlechterstereotype ad absurdum geführt, mit Sehgewohnheiten und Bühnenkonventionen gebrochen. Aber am Schönsten war es eigentlich, wenn Kevin Blechdom allein am Klavier saß und sang.
Hinter dem großen Spektakel steht bei manchen Bands doch auch eine Dienstleistungsmentalität: Wir spielen nicht nur unsere Songs, wir bieten auch noch was fürs Auge, wir turnen, tanzen, wir setzen unseren ganzen Körper ein, wir leisten was! Dabei war es doch einst eine gewisse coole Verweigerung, die den Rockglam ausmachte. Aber die Stoikerin schaut sich das Gebastel und Geturne an, rührt sich nicht und wartet ab: Denn irgendwann ist diese Mode auch wieder vorbei.