Erstellt am: 30. 4. 2009 - 16:22 Uhr
Post-Colonial Tension
Mich reißt’s jedesmal ein wenig, wenn ich die hier gern wiederholte Phrase von der "tiefsten Rezession seit dem Krieg" höre. Seit dem Krieg, ja ist der etwa schon vorbei? Was machen denn dann all die britischen Soldaten noch im Irak und in Afghanistan?
Einwurf: Manchmal, wenn ich mich hier besonders heimelig fühle, leg ich meinen englischen FreundInnen einen metaphorischen Arm um die Schulter und behaupte weinselig, dass ich mir ihr Land unbewusst wohl eigentlich deshalb ausgesucht hab, weil es for better or for worse so ganz anders aber doch so gleich ist wie Österreich (einmal abgesehen von der Popkultur und all dem).
Aber ansonsten ist alles - wenngleich hin und wieder genau verkehrt herum ist, so wie die Löcher im Salz- und Pfefferstreuer - einem doch irgendwie von daheim her vertraut: Der Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem großen Bruder (da Deutschland, dort USA). Die ständige Bestätigung des eigenen Nationalismus in seiner neurotischen Negation. Der Wasserkopf am Rand des Lands (da Wien, dort London) mit seinen übergroßen Verwaltungsgebäuden, gedacht für ein mittlerweile längst zerfallenes Empire. Die ganze Nostalgie und Sentimentalität, die damit einhergeht. Und die schulterzuckende, sich als Erdulden tarnende Ergebenheit gegenüber der Bürokratie.
Aber natürlich ist dies nur ein oberflächlicher, koketter Gedanke, der auf beiden Beinen hinkt (und damit in sich zusammenfällt, um die Metapher jetzt einmal vollständig auszuquetschen). Einerseits weil die Briten schlau genug waren, die faschistische Phase dazwischen auszulassen, andererseits weil sie im Gegensatz zu den – mit Ausnahmen wie der Mockistischen Kroatienpolitik zu Zeiten des jugoslawischen Bürgerkriegs – vom imperialem Größenwahn weitgehend geheilten ÖsterreicherInnen ihr verlorenes Kolonialreich nie wirklich sein gelassen haben.*
"Wo sie uns brauchen"
Nur so erklärt sich, wie all die anderen kleinen Kriege, in die das Vereinte Königreich seit dem existenzbedrohenden Zweiten Weltkrieg gezogen ist, letztlich in der "Peacetime"-Routine kolonialer Scharmützel untergehen.
Aber wo waren wir gleich? Ach ja, im Irak, mit Betonung auf "waren". Denn gestern hat die Britische Armee mit ihrem Abzug aus Basra begonnen. Einfach so, ohne große Paukenschläge. Sechs Jahre, nachdem Millionen gegen die Invasion demonstriert hatten, hält ein Fernsehreporter einem britischen Soldaten sein Mikro ins Gesicht und fragt ihn, mit welchen Gefühlen er nach Hause fährt.
Er sei froh, nicht mehr in "this theatre" zurückkehren zu müssen, sagt der, wie üblich im bemüht unbeteiligten Stil des Fußballer-Post-Match-Interviews. Und er sei stolz auf seinen "gut erledigten" Job. Bereit, zum nächsten Schauplatz zu fahren, "wo sie uns brauchen".
Und tatsächlich, sagt der Moderator danach, Basra fühle sich heute Abend „sicherer“ an als noch vor ein paar Jahren.
Hallo? Wie ist das wieder gemeint? Sicherer als zur Zeit der britisch-amerikanischen Bombardements zum Beispiel?
Durch die vor lauter falscher Anteilnahme ganz angelaufene Brille der BBC sieht die britische Mission im Irak im Nachhinein beinahe wie ein humanitäres Hilfsprojekt aus.

BBC
Neben der vom Abzug aus Basra gab es da gestern aber noch eine kleine Meldung, die's nur einmal in die Nachrichten geschafft hat: Nach einem "Freedom of Information Request" wurden die ratlosen E-Mails veröffentlicht, die zwischen dem Außen- und dem Verteidigungsministerium herumgeisterten, als das seriöse Medizinermagazin The Lancet 2004 und 2006 Schätzungen der nicht gezählten Toten des Irakkriegs veröffentlichte. Zuerst war von 98.000 die Rede gewesen, dann vom über 650.000. Tony Blair wies die Zahlen öffentlich als unglaubwürdig zurück. Gleichzeitig fürchteten hinter den Kulissen die Beamten, dass die Regierung „in der Luft zerrissen“ würde, wenn sie die seriösen Zählmethoden von The Lancet in Zweifel zöge. „Ich denke, wir brauchen mehr Informationen darüber, warum unsere Soldaten nicht zählen können", schrieb einer an seine KollegInnen, "Wenn unsere Soldaten Leute töten, können sie sie auch zählen.“
Nicht unbedingt, wenn man aus der Luft bombardiert. Aber das sind Fragen, die zu stellen heutzutage fast schon schmerzhaft uncool scheint.
Als vor zwei Wochen In The Loop, Armando Ianuccis bitterböse brillante Polit-Satire über das interne Werken der britischen Regierung, in die Kinos kam, war das Einzige, was die Kritiker daran auszusetzen hatten, der semi-fiktive Sub-Plot über einen gemeinsam mit der US-Administration ausgeheckten Kriegsvorwand. Das sei wohl schon etwas passé und gegessen. Time to move on.
"The ultimate sacrifce"
Immerhin, die Zahl der toten britischen SoldatInnen war bekannt, als heute die Armee ihren Abzug mit einem Gedenkakt an all jene markierte, die das „ultimate sacrifice“, d.h. ihr Leben, für ihre Heimat gegeben hatten: 179.
Obwohl der Reverend dann in seiner Predigt verwirrenderweise von 234 sprach. Weil ja nicht alle, die bei britischen Operationen starben, auch Briten waren.
Eine gar nicht unwesentliche Unterscheidung, vor allem im aktuellen Zusammenhang der Abstimmung, die Premier Gordon Brown gestern im Unterhaus verloren hat.
In der britischen Armee kämpft nämlich ein beachtlicher Anteil von Gurkha-Kriegern aus Nepal, die von der British East India Company im anglo-nepalesischen Krieg 1816 unterworfen und seither von der britischen Armee als legendär loyale Söldner angeworben werden - soviel zum nie überwundenen kolonialen Erbe.
Abgerüstete Gurkha-Veteranen kämpfen schon seit Ewigkeiten um ihr Aufenthaltsrecht in Großbritannien nach Beendigung ihres Kriegsdiensts. Die britische Regierung hatte vor der gestrigen Parlamentsdebatte eine ziemlich unverschämte Regelung ausgearbeitet, die – aus budgetären Gründen – fast alle ehemaligen Gurkhas davon ausgeschlossen hätte (es sei denn, sie wären hohe Offiziere, schwer verwundet gewesen, oder hätten 20 Jahre lang gedient – ein besonders zynischer Passus, zumal die Dienstzeit eines Gurkha 15 Jahre beträgt).
Nick Clegg, der Parteichef der Liberaldemokraten, pochte dagegen auf das Prinzip, dass alle, die bereit gewesen wären, für Großbritannien zu sterben, auch ein Recht hätten, dort zu leben. Er verbündete sich mit den Konservativen und einer großen Zahl von Labour-Rebellen, und die Regierung verlor das Votum über ihre umstrittene Gurkha-Regelung.

BBC
Die Schauspielerin Joanna Lumley, selbst Tochter eines Gurkha-Offiziers und Anführerin einer Kampagne für die Rechte der nepalesischen Soldaten, posierte nach diesem unverhofften Etappensieg zusammen mit Clegg und dem Konservativen David Cameron für die Kamera, umrahmt von Gurkhas. Alles sehr legitim und ein Bild ehrlicher Freude.
Und doch auch ein Bild dreier weißer Gönnergesichter, die lachen, während die, um die es eigentlich geht, dankbar im Hintergrund bleiben, in seiner Bildsprache also erst recht wieder eine Manifestierung kolonialistischer Denke.
In der Zwischenzeit hat Tony Blair, der Mann, der die britische Armee inklusive der Gurkha-Regimenter der mehrheitlichen Meinung seiner Bevölkerung zum Trotz in den Irak-Krieg schickte, heute im Guardian einen einspaltigen Kommentar dazu veröffentlicht, warum die Zukunft von Sierra Leone bzw. Afrika im Tourismus liegt.
Sein kleines mesopotamisches Scharmützel, mit dem er - wie so mancher seiner Vorgänger - einmal in die Geschichtsbücher kommen wollte, ist ja schon lange her.